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Fachgespräch „Seiteneinstieg qualifizieren!“

Fachgespräch Seiteneinstieg qualifizieren Foto: Wiebke Vetter / Fraktion

Zusammenfassung des Fachgesprächs

Vorstellung des Fachkonzepts der Landesregierung durch Dr. Evelyn Junginger (Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (MBJS)) und anschließende Podiumsdiskussion mit:

  • Dr. Evelyn Junginger (MBJS)
  • Prof. Dr. Andreas Borowski (Direktor des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung (ZeLB))
  • Ines Mülhens-Hackbarth (Schulleiterin der Grundschule Fichtenwalde, Vorsitzende des Landesschulbeirats (LSB), Sprecherin des Landeslehrerrats (LLR))
  • Birgit Rosenfeld (Vorstandsmitglied der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW))
  • Dr. Holger Wahl (stellv. Geschäftsführer des Instituts für Weiterbildung und Qualifizierung im Bildungsbereich an der Universität Potsdam (WiB) e. V.)

Moderation: MARIE LUISE VON HALEM, bildungspolitische Sprecherin FRAKTION BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für 22. März 2018 luden MARIE LUISE VON HALEM und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Brandenburger Landtag zu einem Fachgespräch „Seiteneinstieg qualifizieren“. Am 13. März 2018 wurde ein Konzept der Landesregierung zur Qualifizierung von Seiteneinsteiger*innen im Kabinett beschlossen. Als Seiteneinsteiger*innen werden Lehrkräfte bezeichnet, die über keine anerkannte Lehramtsbefähigung verfügen. Ca. 1900 Seiteneinsteiger*innen, also rund ein Zehntel aller Lehrkräfte, unterrichten bereits an Brandenburger Schulen. Da die Zahl der zu besetzenden Stellen auch in den nächsten Jahren die Ausbildungskapazitäten für das Lehramt übersteigen wird, wird auch die Zahl der neueinzustellenden Seiteneinsteiger*innen weiter wachsen. Bildungsministerin Ernst rechnet nach eigener Aussage mit bis zu 50 Prozent Seiteneinsteiger*innen bei den kommenden Neueinstellungen, das entspräche rund 500 Seiteneinsteiger*innen jährlich.

Vor diesem Hintergrund hat der Landtag Brandenburg im März 2017 aufgrund einer bündnisgrünen Initiative einen gemeinsamen Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und DIE LINKE beschlossen, der die Landesregierung auffordert, ein Konzept vorzulegen, „wie Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger eine vollständig anerkannte Qualifikation für ihren Beruf erlangen können“. Das nun vorgelegte Konzept für den Seiteneinstieg ist im Kontext der geplanten Änderung des Lehrerbildungsgesetzes zu bewerten. Es orientiert sich an einem sächsischen Vorbild. Allerdings begeben sich beide Bundesländer auf Neuland, Erfahrungswerte liegen noch nicht vor.

Eckpunkte des Konzeptes der Landesregierung zur Qualifikation von Seiteneinsteiger*innen:

Das Konzept basiert auch auf Vereinbarungen der Landesregierung mit der GEW von November 2017. Demnach sollen Seiteneinsteiger*innen einen Arbeitsvertrag über 15 Monate erhalten. Lehrkräfte ohne Lehramtsbefähigung sollen in einem dreimonatigen 500-Stunden-Grundkurs, der mindestens zweimal im Jahr angeboten werden soll, vor der Aufnahme der Unterrichtstätigkeit qualifiziert werden. Parallel zur Unterrichtspraxis sollen weitere Fortbildungsmaßnahmen erfolgen. Der Start für die erste Vorabqualifikation ist für den 1.11.2018 für zunächst 75 Seiteneinsteiger*innen geplant, die nächste für den Unterrichtsstart am 1.8.2019 beginnt entsprechend im Frühjahr 2019. Für Seiteneinsteiger*innen, die während der laufenden Schulhalbjahre unterjährig eingestellt werden, soll es auch weiterhin eine berufsbegleitende Grundqualifikation geben, die auf dann ebenfalls 500 Stunden erhöht wird. Wird nach Ablauf der 15 Monate eine Bewährungsfeststellung durch das staatliche Schulamt im Einvernehmen mit der Schulleitung getroffen, wird der Vertrag in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis überführt.

Zur Unterstützung der dreimonatigen und unterjährigen Qualifikation werde das BUSS-Berater*innensystem um zehn VZE Schulrät*innen aufgestockt. Statt der durch Landtagsbeschluss geforderten Schulkoordinator*innen für den Seiteneinstieg für jede Schule sollen die Schulen für die schulinterne Begleitung eine Anrechnungsstunde pro Seiteneinsteiger*in erhalten. Lehrkräfte, die sich als Mentor*innen zur Verfügung stellen, sollen zudem eine Zulage erhalten.

Zu den unterschiedlichen Voraussetzungen der Seiteneinsteiger*innen: Bei Seiteneinsteiger*innen mit universitärem Abschluss in zwei Fächern werden jeweils die Bedingungen für den Abschluss auf Lehramt geprüft. Seiteneinsteiger*innen mit einem Lehramtsabschluss in zwei Fächern, die bereits vor dem Vorbereitungsdienst unterrichten, können den Vorbereitungsdienst berufsbegleitend absolvieren. Für Seiteneinsteiger*innen, bei denen das zweite Fach nicht vollständig abgeschlossen ist, wird ein Vorbereitungsstudium durch das WiB für die Primarstufe angeboten als Erfordernis für ein berufsbegleitendes Aufbaustudium. Für die Sekundarstufe I werden zudem ab Oktober vom WiB die Fächer Deutsch, Mathematik, WAT und Englisch als zweites Fach berufsbegleitend angeboten, gefördert durch Abminderungsstunden. Über die geplante Änderung des Lehrerbildungsgesetzes soll der berufsbegleitende Vorbereitungsdienst auch Fachhochschulabsolvent*innen offen stehen, was bisher nur im Berufsschulbereich möglich war. Ebenso soll über die Änderung des Lehrerbildungsgesetzes möglich sein, dass nach Abschluss eines Bachelorstudiums, das nicht mit dem Ziel Lehramt absolviert wurde, auf ein Masterstudium für das Lehramt gewechselt werden kann. Die Änderungen des Lehrerbildungsgesetzes müssen aber noch durch den Landtag beschlossen werden.

Ansonsten werde auch das Refugee Teachers Programm weitergeführt.

Für die zusätzlichen Qualifizierungs- und Unterstützungsmaßnahmen strebt das MBJS Aufwendungen von zusätzlich 13 Mio. Euro pro Jahr über den zu beschließenden Doppelhaushalt 2019/20 an.

Aus der Diskussion:

Von vielen Diskussionsteilnehmer*innen wurde kritisiert, dass nicht rechtzeitig auf den wachsenden Lehrkräftebedarf reagiert worden sei. Bei allen positiven Impulsen, die man sich von Quereinsteiger*innen erhoffe, wird von einigen Redner*innen ein Qualitätsverlust befürchtet, der noch lange nachwirken werde. Andere Stimmen stellten das Lehrkräftebildungssystem generell in Frage, und thematisierten, ob der vermehrte Seitenstieg nicht Anlass sein sollte, dieses System grundsätzlich zu überdenken. Dem wurde vor allem von Hochschulseite entgegen gehalten, dass ein wissenschaftlicher Anspruch an das Lehramt nicht verloren gehen dürfe, insbesondere bezüglich der Fachdidaktik. Es entstehe ein zunehmender Widerspruch zu den hohen Ansprüchen der KMK für die Kompetenzen und Standards für die Lehrerbildung und den geringen qualitativen Voraussetzungen durch den Seiteneinstieg. Es gebe zunehmend Studierende, die vorzeitig in die Schulpraxis strebten, um anschließend berufsbegleitend den Vorbereitungsdienst zu absolvieren. Zur Forderung nach mehr Lehramtsstudienplätzen wurde berichtet, dass das Angebot in Potsdam für Erstsemester um 50 auf 700 Plätze ausgeweitet worden sei. Ein weiterer Ausbau werde verhandelt.

Von gewerkschaftlicher Seite wurde betont, dass es keine Ungleichbehandlung bezüglich Seiteneinsteiger*innen der Vorbereitungskurse und der unterjährig berufsbegleitend qualifizierten Seiteneinsteiger*innen geben dürfe. Für das MBJS betonte Frau Dr. Junginger, dass die unterjährig eingestellten Seiteneinsteiger*innen, die berufsbegleitend vorbereitet würden, nun auch die vollen 500 Stunden Qualifizierung erhielten. Derzeit werde ein Onlinekonzept zur Fortbildung von Seiteneinsteiger*innen entwickelt, um lange Wege für sie zu vermeiden. Das MBJS sei auch dabei, Fortbildungsprogramme für Schulleiter*innen für den Umgang mit Seiteneinsteiger*innen zu entwickeln. Planungen zum Seitenstieg für Schulen in Freier Trägerschaft würden auf einem bevorstehenden Treffen besprochen werden. Zudem werde der Webauftritt des MBJS zum Seiteneinstieg in Kürze überarbeitet.

Das WiB fühlt sich für den anstehenden Ansturm auf die Vorbereitungsplätze gerüstet, die Ausschreibungen seien erfolgt. Allerdings habe es in der Vergangenheit erstaunlicher Weise zunächst wenige Anmeldungen für fachspezifische Nachqualifikationsangebote gegeben.

Einige anwesende Seiteneinsteiger*innen fühlten sich nicht genug Wert geschätzt, bemängelten die hohen Hürden und die langen Zeitabläufe bis zu einer Anerkennung als Lehrkraft und die schlechte Bezahlung der Seiteneinsteiger*innen (TVL E 9 oder E 10) bei gleicher Berufstätigkeit wie die vollausgebildeten Kolleg*innen.

Von vielen anwesenden Schulleiter*innen wurde bemängelt, dass den Schulleitungen durch ihre Beteiligung an der Bewährungsfeststellung eine weitere Aufgabe aufgebürdet werde, für die sie sich vor allem als Fachfremde weder ausreichend qualifiziert noch angemessen entlastet ansähen. Die zunehmende Zahl an Seiteneinsteiger*innen erschwere die Stundenplangestaltung, da sie nur vier Tage zur Verfügung stünden. Eine Stunde als Entlastung für Mentoring bei Seiteneinsteiger*innen mit zwei Fächern sei zu wenig. Ebenso wurden die 75 Euro Zuschlag für Mentor*innen als zu niedrig bemängelt. Dazu hieß es von MBJS-Seite, man stehe mit dem Finanzministerium bezüglich einer Änderung der Zulagenverordnung zwecks Erhöhung auf 100 Euro in Verhandlung.

Es wurde von einer Lehrerin berichtet, die mangels routinierterer Fachkräfte unmittelbar nach ihrem Berufsabschluss zur Seminarleiterin ernannt worden sei. Ferner wurde bemängelt, dass der berufsbegleitende Vorbereitungsdienst nur eine begleitete Stunde pro Lehrkraft beinhalte, dabei gebe es bei Einzelnen weit mehr Unterstützungsbedarf.

Es wurde von Vielen weiterer Informations- und Diskussionsbedarf für weitere Veranstaltungen ähnlicher Art geäußert. MARIE LUISE VON HALEM dankte allen Beteiligten und stellte in Aussicht, dass sich auch die Fachausschüsse des Landtags mit dem ihnen nun vorgelegten Konzept befassen würden.