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Gerechtigkeit für Neusiedler-Erben? Zum umstrittenen Umgang mit der Bodenreform nach 1990

Bauern, Genossen, Landeigentümer: bei der Transformation der Landwirtschaft in Brandenburg ging es drunter und drüber. Experten sprechen von „verwerflichen Praktiken"

Das gab es lange nicht: dort, wo normalerweise die Enquetekommission Aufarbeitung tagt und der große rechteckige Tisch von Politikern und Sachverständigen besetzt wird, nahmen am 06. Dezember 2012 vor allem Betroffene Platz: Menschen, oftmals schon älteren Jahrgangs, die allesamt eine Unrechtserfahrung teilen. Es geht ihnen um das Eigentum, das sie oder ihre Familie als vererbbaren Wert im Zuge der „sozialistischen Bodenreform" erhielten. Doch was heißt „erhielten"? Dass Bodenreformland unentgeltlich verteilt wurde, ist eine der Legenden, mit denen an diesem Abend endgültig aufgeräumt wurde. Viele Betroffene schilderten, wie sie über Kredite und Naturalien jahrelang, manchmal bis in die 80er Jahre hinein, ihr Land abbezahlen mussten.

Dann, nach der Friedlichen Revolution und der Einheit Deutschlands, als alle in der Hoffnung auf Recht und Gerechtigkeit ihre oft unter Zwang kollektivierten Flächen bzw. ihr Inventar zurückforderten, kam es dann aber ganz anders. Auf der einen Seite rechneten sich viele der alten und neuen LPG-Chefs arm und versuchten mit Tricksereien Ausscheidungswillige mit Niedrigstbeträgen abzuspeisen. Auf der anderen Seite wurde denjenigen, die ihr Land geerbt hatten, mit unterschiedlichsten Begründungen die sogenannte „Besserberechtigung" darauf abgesprochen. Dass Menschen, die ihr Land unter strengen Auflagen abbezahlt hatten, dadurch oftmals ihr letztes Hab und Gut verloren, interessierte nicht. Viele von ihnen wurden durch Rechtsstreitigkeiten in den Ruin getrieben, Privatinsolvenzen und Altersarmut inklusive. War es zuerst der Bundesgerichtshof, der rechtsirrtümlich annahm, Bodenreformeigentum sei nicht vererbbar und diese Haltung später teilweise korrigierte, entstanden später neue Ungerechtigkeiten durch die Ungleichbehandlung derjenigen Erben, die ihr Eigentum bis zur gesetzlichen Frist im Oktober 2000 anzeigten und anderen, die bis dahin nicht aktiv wurden. Erstere mussten in der Regel ihr Eigentum an den Fiskus übergeben, letztere hingegen nach Fristablauf nicht mehr. All dies trug verständlicherweise zu dem verbreiteten Unrechtsgefühl bei, das sich in den 90er Jahren über den ländlichen Raum legte.

Alles Geschichte? Axel Vogel hofft, dass die Veranstaltung „als Türöffner" wirkt, um hier doch noch Gerechtigkeit auf dem Lande herzustellen. Dass das noch möglich sei, meinten auch die eingeladenen Experten, die konkrete Maßnahmen vorschlugen. Vor allem aber müsse endlich der Gerechtigkeitsanspruch höher gewichtet werden als die Begehrlichkeiten des Fiskus. Nur so könne der besonders rigide Brandenburger Sonderweg verlassen und den durch Enteignung und Rechtsstreit oft hochverschuldeten Menschen geholfen werden. Die Flächen, um die es hier gehe, seien zum großen Teil noch im Besitz des Landes. Diese Chance gelte es zu nutzen, meinte Axel Vogel in seinem Abschlussstatement.

Unsere Gäste:

Rechtsanwalt Dr. Thorsten Purps

  • Dozent an der Universität Potsdam seit 1994 (Lehrauftrag für Insolvenzrecht 2002/2003)
  • Gutachter für die Enquetekommission
  • Autor des Buches: ,,Vom Staat enterbt. Die Bodenreformaffäre - eine Skandalchronik aus dem Land Brandenburg" (2009)


Rechtsanwältin Catherine Wildgans

  • Expertin zum DDR-Folgerecht, dazu gehören offene Vermögensfragen, Rückgabe von Immobilien nach Enteignung bis 1989, Bodenreform, Rentenrecht (Benachteiligung der Ost- Rentner)
  • Expertin für Entschädigungsrecht (EALG, begünstigter Flächenerwerb)

Rechtsanwalt Rainer Stumpf

  • 1990 während der letzten Legislaturperiode Justiziar an der Volkskammer sowie Sonderberater der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages
  • Experte im Bereich der Vermögensauseinandersetzung in der ostdeutschen Landwirtschaft
  • Vertretung in mehr als 1500 gerichtlichen Verfahren in den zurückliegenden Jahren von ehemaligen LPG-Mitgliedern
  • mehrfach als Gutachter für den Deutschen Bundestag tätig, namentlich 1996 im Rahmen der Novellierung des LwAnpG
  • Herausgeber des Handbuches zum LwAnpG

Rechtsanwälting Dr. Dr. Beate Grün

  • Rechtsanwältin und Privatdozentin
  • Habilitation zum Thema "Deutsche Rechtsangleichung im Bodenrecht"
  • Mitautorin im von Bamberger/Roth herausgegebenen Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch und Verfasserin von über 40 Fach-publikationen in juristischen Zeitschriften.



Das Fachgespräch war eine gemeinsame Veranstaltung der
Landtagsfraktionen von CDU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen.

Vertreten durch

  • Axel Vogel (Fraktionsvorsitzender BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN),
  • Dieter Dombrowski (Fraktionsvorsitzender CDU)
  • Andreas Büttner (FDP-Fraktion)