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Neues Bundesteilhabegesetz würde neue Barrieren schaffen – Landesregierung muss sich im Bundesrat für Nachbesserungen starkmachen

Plakat "Euer Gesetz behindert" auf der Demo vor dem Landtag gegen das Bundesteilhabegesetz am 14.7.2016 © Seema Mehta/Fraktion Foto: Seema Mehta/Fraktion
Demonstration vor dem Landtag gegen das Bundesteilhabegesetz am 14.7.2016

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Brandenburger Landtag fordert die Landesregierung auf, sich im Bundesrat für Verbesserungen des geplanten Bundesteilhabegesetz einzusetzen. Ein entsprechender Antrag steht an diesem Freitag auf der Tagesordnung des Landtagsplenums. Darin kritisiert die bündnisgrüne Fraktion insbesondere die mit dem neuen Bundesteilhabegesetz verbundene Einschränkung des ohnehin schon begrenzten Wunsch- und Wahlrechts behinderter Menschen hinsichtlich von Eingliederungshilfen, die zunehmende Verpflichtung zur gemeinsamen Inanspruchnahme sogenannter persönlicher Assistenzleistungen und die absehbare Verkleinerung des Kreises der Leistungsberechtigten.

Das Bundesteilhabegesetz soll erreichen, dass die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen verbessert und Eingliederungshilfen im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention weiterentwickelt werden. Die schwarz-rote Bundesregierung hatte sich in ihrem Koalitionsvertrag 2013 darauf geeinigt, Menschen mit Behinderung „aus dem bisherigen Fürsorgesystem“ herauszuführen und die Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht weiterzuentwickeln.“ Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) begann im Frühjahr 2014 mit der Erarbeitung des Gesetzes. Der Entwurf soll im September von Bundestag und Bundesrat beraten werden.

„Der nun vorliegende Kabinettsentwurf ist ein Spargesetz, mit dem es für Menschen mit Behinderungen keine gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe geben wird“, kritisierte die sozialpolitische Sprecherin der Fraktion URSULA NONNEMACHER. „Er bringt keine wesentlichen Verbesserungen für die Teilhabe behinderter Menschen. Teilweise wird es sogar Verschlechterungen im Vergleich zur aktuellen Rechtslage geben.“

„Teilhabeleistungen müssen sich am menschenrechtlich gebotenen Ziel der vollen und gleichberechtigten Teilhabe orientieren. Deshalb müssen die Entscheidungsmöglichkeiten behinderter Menschen, wo und mit wem sie leben und auch mit wem sie eventuell gemeinsam Unterstützungsleistungen in Anspruch nehmen möchten, im Gesetzentwurf deutlich verbessert werden. Bereits unter der geltenden Rechtslage erleben Menschen mit Behinderungen häufig, dass die Leistungserbringer ein stationäres Angebot der ambulanten Unterstützung vorziehen, Sachleistungen gegenüber einem persönlichen Budget und Pflegedienste gegenüber selbstorganisierten Arbeitgebermodellen. Bestehende Rechte sollen zukünftig nun noch stärker eingeschränkt werden, indem nur noch `angemessene´ Wünsche der LeistungsbezieherInnen berücksichtigt werden sollen. Dadurch würde beispielsweise das Wohnen von Menschen mit Behinderungen zuhause oft nur dann möglich sein, wenn es günstiger ist oder ein Leben im Heim unzumutbar wäre.“

Eine freiwillige gemeinsame Inanspruchnahme von Teilhabeleistungen, das sogenannte „Poolen“, unter die beispielsweise Fahrdienste, oder Ruf- und Nachtbereitschaften fallen, sollte möglich sein. Abzulehnen ist jedoch, dass Träger der Eingliederungshilfe die Möglichkeit bekommen sollen, dafür zu sorgen, dass solche Teilhabeleistungen vorrangig gepoolt in Anspruch genommen werden müssen. Wenn Betroffene zukünftig beispielsweise gezwungen werden, sich einen Assistenten zu teilen, schränkt das ihr Selbstbestimmungsrecht massiv ein.

Die bündnisgrüne Fraktion fordert zudem, die willkürliche Regelung zu überarbeiten, dass zukünftig nur leistungsberechtigt sein soll, wer in wenigstens fünf von neun Lebensbereichen Unterstützung braucht. Viele der heute Leistungsberechtigten werden diese Kriterien nicht erfüllt können. Damit wird das Bundesteilhabegesetz zu einer deutlichen Verkleinerung des Kreises der Leistungsberechtigten führen. So haben beispielsweise sinnesbehinderte Menschen häufig nur Unterstützungsbedarf in den Bereichen Bildung, Arbeit oder Kommunikation, nicht jedoch in anderen Bereichen. Auch für die meisten psychisch beeinträchtigen und zahlreiche in ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen wird es schwer werden, diesem Kriterium zu entsprechen.

URSULA NONNEMACHER: „Menschen sind nicht behindert, sie werden behindert. Ziel muss weiterhin eine inklusive Gesellschaft und die gleichberechtigte Teilhabe und Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderung sein. Wenn das neue Bundesteilhabegesetz jedoch neue Barrieren und Einschränkungen mit sich bringt, ist es mit diesem Ziel unvereinbar. Die Landesregierung muss ihre Stimmen im Bundesrat nutzen, um diese zu erwartenden Barrieren sofort einzureißen.“