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Ermittlungen gegen LKA-Direktor verhindert

Brandenburgs Justizministerium hat im Sommer 2003 mit dem Generalstaatsanwalt vereinbart, dass die Staatsanwaltschaft Potsdam nicht gegen den damaligen Leiter des Landeskriminalamtes ermittelt. Eine Oberstaatsanwältin hegte gegen ihn einen Anfangsverdacht auf Strafvereitelung im Amt. Damit hat sich der NSU-Untersuchungsausschuss am 11. Januar 2018 beschäftigt.

Der V-Mann Christian K. hat am 6. Februar 2001 an den Neonazi-Versandhändler Sven Schneider eine Durchsuchungsaktion verraten, bei der sich die Polizei Erkenntnisse zur terrorverdächtigen „Nationalen Bewegung“ erhoffte. Das Landeskriminalamt hörte das Telefonat des V-Mannes mit dem rechtsextremistischen Geschäftemacher ab – kurze Zeit später wussten die Ermittler auch, dass es sich bei dem Verräter um einen Spitzel des brandenburgischen Verfassungsschutz handelt. Diese Information gelangte bis hinauf zum Leiter des Landeskriminalamts. Eine Anzeige wegen des Verdachts auf Geheimnisverrat wurde aber nie gestellt.

Anfangsverdacht auf Strafvereitelung im Amt

Durch eine Presseanfrage aufmerksam geworden, ermittelte die Staatsanwaltschaft Potsdam im Sommer 2003 aber doch noch wegen des Geheimnisverrats. Nach der Vernehmung von etlichen Polizisten und Verfassungsschützern verfügte die Oberstaatsanwältin Marianne Böhm am 10. Juli 2003, dass LKA-Chef Axel Lüdders wegen eines Anfangsverdachts auf Strafvereitelung im Amt als Beschuldigter nachgetragen wird – am 25. Juli 2003 ließ sie ihn bereits wieder austragen.

Was war in diesen zwei Wochen passiert? Der Leitende Oberstaatsanwalt Heinrich Junker kam aus seinem Urlaub zurück und erklärte das Verfahren zur Chefsache. Er habe die Beschuldigten-Eintragung „nicht mittragen“ können, sagte Junker am 11. Januar 2018 als Zeuge vor dem NSU-Untersuchungsausschuss. „Meine persönliche Entscheidung war noch nicht abgeschlossen.“ Und am Ende sei er zu dem Ergebnis gekommen, dass dem LKA-Chef hinsichtlich einer etwaigen Strafvereitelung „zumindest der subjektive Vorwurf nicht gemacht werden konnte“.

Akten des Justizministeriums, die dem Untersuchungsausschuss vorliegen, ergeben etwas anderes.

Ein Referatsleiter im Justizministerium, Professor Dr. Michael Lemke, vermerkte nach einem Gespräch zwischen Staatssekretär Hans-Georg Kluge und Potsdams Leitendem Oberstaatsanwalt am 1. August 2003, dass Junker bezüglich LKA-Chef Lüdders „einen Anfangsverdacht“ bejahe.

Auch Chef-Staatsanwalt wollte Verfahren einleiten

Der Leitende Oberstaatsanwalt „bevorzuge hinsichtlich des weiteren Vorgehens die klassische Vorgehensweise“, schrieb Lemke. Das bedeute, „dass aus seiner Sicht ein Ermittlungsverfahren formal eingeleitet und LKA-Chef Lüdders als Beschuldigter eingetragen werde, sodann jedoch das Verfahren unmittelbar […] eingestellt werde“. Junker halte es für „wenig zweckdienlich, ausgerechnet in einem so schwierigen und öffentlichkeitswirksamen Verfahren wie diesem von der klassischen Verfahrensweise abzuweichen“.

Weiterhin vermerkte Referatsleiter Lemke, dass Generalstaatsanwalt Professor Dr. Erardo Cristoforo Rautenberg mitgeteilt habe, „dass er dafür Sorge tragen werde, dass der LKA-Chef nicht eingetragen wird“ – als Beschuldigter. „Noch bevor die Staatsanwaltschaft Potsdam zu einem Vorermittlungsergebnis gekommen ist, haben Justizministerium und Generalstaatsanwalt vereinbart, dass nicht gegen den LKA-Chef ermittelt wird“, kritisiert Ursula Nonnemacher, die bündnisgrüne Obfrau im NSU-Untersuchungsausschuss. „Hier wurde die Arbeit der Staatsanwaltschaft also zugunsten eines führenden Beamten politisch beeinflusst.“

Untersuchungsausschuss fand brisantes „Non Paper“

Aus einer als „Non Paper“ deklarierten Vorbereitung für die Kabinettsitzung am 5. August 2003, die ebenfalls Referatsleiter Lemke verfasst hat, geht hervor, was Justizministerium und Generalstaatsanwalt vereinbart haben: „Die Staatsanwaltschaft Potsdam wird […] einen Absichtsbericht hinsichtlich LKA-Chef Lüdders übermitteln. Dieser Bericht wird voraussichtlich die Absicht, ein Strafverfahren einzutragen und sodann sofort […] einzustellen, enthalten. Der Generalstaatsanwalt wird je nach Formulierung des Absichtsberichts entweder selbst entscheiden, dass nach seiner Auffassung die Fallkonstellation auch schon nicht die Eintragung eines Strafverfahrens trägt, oder dies in einem weiteren Prüfauftrag der Staatsanwaltschaft Potsdam mitteilen. […] Derzeit zu erwartendes Ergebnis: Gegen LKA-Chef Lüdders wird, sei es schon aus objektiven, sei es zumindest aus subjektiven Gründen gar nicht erst ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.“

„In die allergünstigste Richtung“ für den LKA-Chef

Im selben Papier heißt es: „Zugunsten des LKA-Chefs Lüdders läuft der Vorgang in die für ihn allergünstigste Richtung, obwohl es gut begründbare, teilweise deutlich ungünstigere Wege der weiteren Abwicklung gibt. […] Der Verzicht auf letztlich unnütze Ermittlungen gegen Unbekannt wegen Geheimnisverrats (Teilaspekt LKA-Chef Lüdders) bedeutet zugleich den Verzicht auf weitere Ermittlungen im Bereich des Innenministeriums.“

Der damalige Referatsleiter Lemke meinte sich als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss zu erinnern, dass dem Leitenden Oberstaatsanwalt Junker sogar eine Weisung in diesem Sinne erteilt worden sei. Junker konnte sich als Zeuge jedoch weder an eine Weisung erinnern, noch daran, dass er ein Strafverfahren gegen den LKA-Chef einleiten wollte: „Da muss mich mein Gedächtnis total im Stich gelassen haben.“

Bündnisgrüne sorgten für öffentliche Beweisaufnahme

Die Akten, aus denen all diese Erkenntnisse stammen, waren Monate lang im Geheimschutzraum weggeschlossen. Nur aufgrund wiederholter Anträge der bündnisgrünen Fraktion auf Herunterstufung beziehungsweise Ausstufung der Dokumente, was ihren Geheimhaltungsgrad betrifft, konnten sie am 11. Januar 2018 erstmals zur öffentlichen Beweisaufnahme genutzt werden.