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Vom Willkommen zum Bleiben

Mohammed Abdi, Siegfried Unger, Ursula Nonnemacher, Jutta Cordt und Monika Kadur, Foto: Janosch Raßmann

Sprache und Schule, soziale Kontakte und Arbeit – damit gelingt Integration. Flüchtlinge wollen arbeiten, für ihren eigenen Lebensunterhalt sorgen, nicht ihrem Gastland auf der Tasche liegen, wollen etwas zurückgeben. Auf dem Fachgespräch unserer Fraktion kamen die Probleme bei der Arbeitsmarktintegration auf den Tisch – und auf unsere parlamentarische To-Do-Liste.

Nichts lieber als das

Er ist 24 und spielt PlayStation und Fußball, seine Idole sind Lionel Messi vom FC Barcelona und Thomas Müller von Bayern München. Er isst gern Reis mit Hühnchen und kocht sich das auch mal nachts um zwei. Einmal im Monat fährt er nach Berlin, er liebt die Stadt. Ein ganz normaler junger Mann in Deutschland eben.

Mohammed Ali Abdi, Foto: Janosch Raßmann/Fraktion

Nichts lieber als das möchte Mohammed Ali Abdi sein. Der schmale mittelgroße junge Mann ist alleine aus Somalia geflüchtet und nun seit Sommer 2014 in Brandenburg. Zurückhaltend, lächelnd, mit wachen neugierigen Augen folgt Mohammed den Gesprächen der anderen, er versteht ganz gut deutsch. Am Vormittag hat er noch mit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband in Berlin gesprochen, jetzt sitzt er auf dem Podium unseres Fachgesprächs zur Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen – zusammen mit unserer bündnisgrünen Abgeordneten Ursula Nonnemacher, Jutta Cordt von der Arbeitsagentur Berlin-Brandenburg, Monika Kadur von der Auslandsgesellschaft und Siegfried Unger von Gefas e. V., dem Träger des Flüchtlingsheims, in dem Mohammed jetzt wohnt.

Wie es sei, ohne Familie hier in Brandenburg zu leben, wird er gefragt. Er schüttelt heftig den Kopf: „Nein, ich wohne doch in der Hegelstraße!“ Und sein Betreuer Siegried Unger „übersetzt“: „Für Mohammed ist die Fürstenwalder Gemeinschaftsunterkunft mit den 100 bis 120 jungen Männern seine derzeitige Familie.“ Ein Dutzend von ihnen durfte 2015 in einem Praktikum beim Stahlbau-Unternehmen Reuther STC den Schweißerpass machen. „In der Woche arbeiten, am Wochenende Deutschkurse – die Job-Angebote am Ende haben den Einsatz gelohnt“, freut sich Unger für seine Schützlinge. Der Jurist und Vereinsvorstand wird inzwischen von mehreren Firmen eingeladen, die händeringend nach Lehrlingen und MitarbeiterInnen suchen. Doch ohne sein ausgefeiltes Netzwerk, die persönliche Betreuung jedes einzelnen Jungen, die ständige Erreichbarkeit würde es Projekte wie den Schweißerpass nicht geben: „Nur mit Schulterklopfen“, weiß Unger, „ geht das nicht.“

Mehr als die Hälfte der Geflüchteten in Deutschland ist unter 25 Jahre alt – jung genug, um gleich eine betriebliche Ausbildung auf einem der vielen unbesetzten Plätze zu beginnen, frohlocken viele Unternehmen. Weil die Anerkennung als Flüchtling aber meist länger auf sich warten lässt, fürchten die Betriebe, gut eingearbeitete Beschäftigte plötzlich durch Abschiebung zu verlieren. Auch Jutta Cordt von der Arbeitsagentur will zuerst in eine qualifizierte Ausbildung investieren, denn diese nütze den jungen Geflüchteten und auch uns, da sich in Brandenburg schon vielerorts ein Fachkräftemangel abzeichne.

Rund ein Fünftel der Geflüchteten bringt einen Studienoder Berufsabschluss mit. Doch weit mehr sind qualifiziert. Nicht alle Berufe in Deutschland bräuchten staatliche Anerkennungen wie bei medizinischem oder Pflegepersonal, so Jutta Cordt. Die meisten Flüchtlinge seien sehr motiviert, gingen mehr als Deutsche eigene Existenzgründungen an – auch weil sie sich damit unabhängiger von den Behörden machten.

Monika Kadur, die sich in der Auslandsgesellschaft seit vielen Jahren um die Integration von MigrantInnen kümmert, wünscht sich tausende Dialogzentren im Land. Wo Flüchtlinge erleben könnten, wie das Land tickt. Wo sich Alteingesessene und Neuankömmlinge treffen und reden. Die offiziellen Sprachkurse für Flüchtlinge bauten nicht aufeinander auf. Behörden und Betriebe, Verbände und Verwaltung müssten enger zusammenarbeiten, damit Übergänge von Sprachkursen zu Ausbildungen oder Jobs besser funktionierten.

Mohammed hat neben seinen Mitbewohnern in der Gemeinschaftsunterkunft nun auch Lutz, Volker und Daniel kennengelernt. Sie sind seine Kollegen in der Firma BE Maschinenmesser in Spreenhagen, wo der junge Somalier erst ein dreimonatiges Praktikum absolvierte und jetzt eine Ausbildung begonnen hat. Mohammeds Asylverfahren läuft. Die Chancen stehen gut, ein ganz normaler zufriedener Brandenburger zu werden.

Unsere To-Do-Liste:

  • Wie bekommen wir für beschäftigte Flüchtlinge eine mehrjährige Bleibeperspektive? Wo können Flüchtlinge über 18, für die keine Schulpflicht mehr gilt, dennoch ihren Schulabschluss machen?
  • Wie wichtig ist die Anerkennung von formalen Berufsabschlüssen? Wie lassen sich Qualifikationen bewerten?
  • Ab wann werden im Land flächendeckend einheitliche Sprachkurse angeboten, vor allem auf einem Niveau, das eine Arbeitsaufnahme erst möglich macht?