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Mehr Rechte für die Dörfer – was die Politik tun muss

Beitrag von Alexandra Tautz und Benjamin Raschke im Magazin der Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

Mit der letzten Gemeindegebietsreform 2003 sind viele Brandenburger Dörfer zu Gemeinden zusammengeschlossen worden und existieren damit rechtlich nur noch als Ortsteile. Doch damit sind die Anliegen und Probleme der Dörfer nicht verschwunden, sie werden nur weniger gehört. Das muss sich ändern. Denn: Das Leben auf dem Dorf prägt das Leben im ländlichen Raum.

Gemeinsam für lebendige Dörfer

Für Brandenburg galt lange Zeit das Klischee: Alle Dörfer sterben – Schuld ist der demografische Wandel. Während der Speckgürtel rund um Berlin boomt, dünnen die ländlichen Regionen fernab der Städte aus. Die jüngeren Einwohner*innen ziehen weg, Kita und Dorfladen verschwinden und mit ihnen schwindet auch die Attraktivität der Wohnorte.

Die Wirklichkeit ist differenzierter: Es zieht die Menschen nicht nur in Großstädte, viele bleiben bewusst auch in ländlichen Räumen verwurzelt, ob dauerhaft oder als Pendler*innen. Mehr als die Hälfte der Einwohner*innen Deutschlands lebt in ländlichen Räumen, etwa ein Drittel davon auf dem Dorf. Auch Brandenburgs Siedlungsstruktur ist geprägt von Dörfern. Fakt ist: Dörfer erleben gerade ein Comeback – es gibt immer mehr Dörfer, in denen sich die Bewohner*innen für ihre Regionen engagieren und dazu beitragen, dass sich ländliche Lebensverhältnisse nicht ausschließlich negativ entwickeln und sogar Zuzug wieder möglich wird.

Im Sommer 2015 wurde auch deshalb auf Initiative der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN durch einen gemeinsamen Antrag mit den Fraktionen von CDU, SPD, DIE LINKE und BVB Freie Wähler im Landtag Brandenburg die Enquetekommission „Zukunft der ländlichen Regionen vor dem Hintergrund des demografischen Wandels“ ins Leben gerufen. Sie setzt sich für eine nachhaltige und zukunfts orientierte Entwicklung der ländlichen Regionen in Brandenburg ein und erarbeitet Handlungsempfehlungen für die Landespolitik. Zudem ist sie Plattform für alle Akteure in den ländlichen Regionen, die sonst kein Gehör finden.

Es lebe das Dorf – mehr Mitwirkungsrechte für die Dörfer

Das ist offenbar auch dringend notwendig: Viele Bürger*innen in den ländlichen Räumen wünschen sich mehr Aufmerksamkeit und mehr Mitbestimmung. Dies belegten Anhörungen von Expert*innen, Ortsbesuche und eine Umfrage der Enquetekommission eindrücklich: Demnach finden die Dörfer in der Kommunal- und Landespolitik kaum Gehör und haben nur wenige Gestaltungsmöglichkeiten. Nur ein Drittel der Brandenburger*innen vertraut der Gemeindeoder Stadtverwaltung vor Ort voll. 21 % der Befragten betonten ausdrücklich, dass sie der Verwaltung misstrauen. Nur 25 % der Befragten können der Aussage zustimmen „Den politischen Akteuren an meinem Wohnort kann man voll vertrauen.“ 27 % der Befragten lehnten dies sogar ab. Ein Fünftel hat demnach kein Vertrauen mehr in die kommunale Verwaltung. Auch bei der Einschätzung, dass die örtlichen Interessen von den Landesund Kommunalpolitiker*innen berücksichtigt werden, überwiegen die negativen Zustimmungswerte.

Eine Ursache hierfür ist die letzte Gemeindegebietsreform im Land Brandenburg, bei der viele Dörfer zu größeren Gemeinden zusammengelegt wurden. Dies brachte in vielen Fällen Synergieeffekte – die Einwohner*innen profitieren von einer stärkeren Verwaltung. Mit der Eingemeindung der Gemeindevertretungen gingen aber auch die Entscheidung über eigene Haushaltsmittel – und damit politische und ehrenamtliche Beteiligungsmöglichkeiten – verloren. Vor der Reform waren es rund 13.500 Ehrenamtliche, die sich im Gemeinderat für ihr Dorf eingesetzt haben, danach nur noch etwas mehr als 6.000. Ihre Anliegen in den Rat der nun größeren Gemeinde einzubringen, geht nicht in allen Fällen gut. Überall im Land treffen wir auf Beispiele, in denen die Kernstadt die Dörfer dominiert oder ganze Ortsteile im Gemeinderat „vergessen“ werden. Um die Dörfer in Brandenburg zu stärken, empfiehlt die Kommission in ihrem Zwischenbericht daher eine Reihe von Maßnahmen: Etwa selbstverwaltete Ortsteilbudgets, die Einbeziehung von Ortsvorsteher*innen in die Gemeindevertretungen, ein aufschiebendes VetoRecht für Ortsbeiräte und eine bessere Vernetzung und gegenseitige Unterstützung im Rahmen eines sog. „Parlaments“ der Dörfer im Sinne der Vorschläge der brandenburgischen und europäischen Dorfbewegung.

Mehr Geld!

Bürgerschaftliche und politische Beteiligung als „kommunale Selbstgestaltungsaufgaben“ sind jedoch ohne ausreichende Finanzen nicht denkbar. Daher ist mehr finanzieller Spielraum für die kommunale Ebene nötig, damit Gemeinden und Dörfer nicht nur gerade so ihre Pflichtaufgaben erfüllen können und die Bewohner*innen sich an Lösungen vor Ort beteiligen können. Alle Kommunen in Haushaltssicherung im Land Brandenburg befinden sich in den ländlichen Regionen, ebenso nahezu alle Kommunen mit Kassenkrediten! Da ist bei der kommunalen Finanzierung etwas faul im System, der derzeitige kommunale Finanzausgleich in Brandenburg etwa begünstigt größere Städte und blendet Sonderfaktoren aus.

Die Enquetekommission als Testfeld für mehr politische Beteiligung

In vielen ländlichen Regionen muss sich die Landespolitik das Vertrauen der Menschen neu verdienen. Die Literatur empfiehlt dafür lokale Präsenz vor Ort sowie Anerkennung und Lösung der vorliegenden Probleme. Die Enquete selbst wurde daher bewusst als Testfeld für mehr Bürgerbeteiligung gestaltet: Viele der Sitzungen finden nicht in Potsdam, sondern im ländlichen Raum statt. Hier wird auch eine Sprechstunde für Bürger*innen angeboten. Bei Sitzungen in Potsdam werden die Sitzungen im Livestream übertragen. Zudem bearbeitet die Kommission viele Zuschriften von Bürger*innen – ein oder mehrere Kommissionsmitglieder machen sich dann vor Ort ein Bild, versuchen zu vermitteln und Lösungen zu finden. Schließlich gibt es ein Dialogportal, in dem Bürger*innen ihre Anliegen online vorbringen und an den Beschlüssen der Enquetekommission mitarbeiten können. Bisher läuft der Test zufriedenstellend: Nach den Erfahrungen der Enquetekommission übertragen nun auch weitere Landtagsausschüsse ihre Sitzungen im Internet. Die Sprechstunde wird von den Bürger*innen (in unterschiedlichem Maße) genutzt, das Dialogportal hat wertvolle Hinweise gebracht – hier sind die Klickzahlen aber noch zu gering.

Endspurt bis März 2019

Der Zwischenbericht ist auf der Homepage der Kommission veröffentlicht. Hinweise dazu und was die Kommission bis zum Endbericht noch ändern und berücksichtigen sollte, können jederzeit an die Enquetekommission gesendet werden.

Der Abschlussbericht der Enquetekommission wird im Frühjahr 2019 vorliegen und auch Handlungsempfehlungen für eine moderne Infrastruktur enthalten. Bis dahin beschäftigt sich die Enquete noch damit, was bürgerschaftliches Engagement im Zusammenhang mit der Sicherung der regionalen Daseinsvorsorge leisten kann und was nicht.

* Der Artikel erschien im Magazin der Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Ausgabe 03/2018 Ländlicher Raum mit Schwerpunkt „Dorf- und Regional­entwick­lung: politisch – sozial – kreativ“ (pdf-Datei)