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Krach auf der Kippe

Peter Immekus, Netzwerk Bergbaugeschädigter NRW Foto: ideengruen.de / Markus Pichlmaier
Peter Immekus, Netzwerk Bergbaugeschädigter NRW

Bergbaubetroffene haben mit Heimatverlust und Naturzerstörung, Staubbelastung und Grundstücksschäden zu kämpfen – und jetzt auch noch mit unzumutbarem Lärm. Die Tag und Nacht arbeitenden Tagebaue rücken immer näher an die Orte heran. brandGRÜN spricht mit Peter Immekus, Sachverständiger für Bergschäden aus dem Rheinischen Kohlerevier.

Bergamt und Vattenfall sagen, es werden keine Lärm-Richtwerte in der Lausitz überschritten…

P. Immekus: Ärzte z. B. kennen keinen Grenzwert für Schall – sie schauen sich an, wie Lärm auf einen bestimmten Menschen wirkt. Aufeinander reibende Eisenteile, quietschende Bagger und Förderbänder – solche unangenehmen schrillen Geräusche bringen Menschen um den Schlaf und den Verstand. Vattenfall und Bergamt behaupten, bergbaubedingten Lärm aus Messungen nicht herausrechnen zu können. Das ist Unsinn. Heerscharen von spezialisierten Gutachtern haben das Fachwissen und die Technik dafür. Das Bergamt muss den Lärm dauerhaft über mehrere Jahre und durchgehend messen lassen. Wenn nur wie jetzt einen Monat lang gemessen wird, arbeitet der Bagger eben so lange an einer anderen Stelle.

Wohin können sich Betroffene denn wenden?

Das ist das Problem: Das Bergamt ist für Betroffene nicht unabhängig, weil es in den Augen vieler gemeinsame Sache mit Vattenfall macht. Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hat eine Transparenzvereinbarung mit den Bergbauunternehmen geschlossen, ein 24-Stunden-Bürgertelefon funktioniert dort gut. In NRW hat die Politik quer durch alle Parteien gelernt, dass man für die Akzeptanz die Sorgen der Menschen ernst nehmen muss. Alle Fraktionen wollen eine Beweiserleichterung im Bundesberggesetz, die bessere Regulierung bei Bergschäden, die Errichtung der Schlichtungsstelle und das Aufstellen von Messgeräten. Politiker aus den großen Parteien in Brandenburg trauen sich aber kaum, sich gegenüber Vattenfall auf die Seite der Betroffenen zu stellen.

Was raten Sie den Bürgerinnen und Bürgern?

Wichtig ist, dass das Thema in der öffentlichen Diskussion bleibt – dann stellen sich auch immer mehr Politiker hinter die Forderungen der Betroffenen und Vattenfall kann sich irgendwann nicht mehr wegducken. Im nächsten Sommer soll in der Lausitz eine große Veranstaltung mit Bürgerinitiativen aus ganz Deutschland stattfinden. Und in NRW arbeiten wir zunehmend auch mit Ärzten zusammen – die kommen auf uns zu, da sie die Gesundheitsschäden täglich in der Praxis sehen.

Was halten Sie von Maßnahmen wie z. B. einem Nachtarbeits verbot?

Wenn z. B. größere Städte in der Nähe von Tagebaurevieren wie Köln oder Cottbus merken, dass die hohe Feinstaubbelastung nicht nur vom Autoverkehr in der Stadt, sondern auch vom benachbarten Tagebau herrührt, fürchten die Betreiber zu Recht, dass ihre Tagebaue eine Zeitlang stillgelegt werden könnten. Warum soll das beim Lärm nicht ähnlich sein?

Demonstration zum Anhöhrungsverfahren Welzow Süd II Foto: ideengruen.de / Markus Pichlmaier
Demonstration zum Anhöhrungsverfahren Welzow Süd II

Mit der Kohle geht's bergab

Mehr als 120.000 Einwendungen gegen den geplanten Tagebau Welzow Süd II sind eingegangen und wurden Ende 2013 öffentlich verhandelt. Wir bleiben dabei: Welzow Süd II ist nicht genehmigungsfähig. Gar keine bzw. kaum eine Rolle haben die Existenzen der von einer Abbaggerung betroffenen Gewerbe- und Landwirtschaftsbetriebe sowie die Gesundheit der umzusiedelnden Menschen gespielt. Der Plan ist unserer Ansicht nach auch nicht mit der EU-Wasserrahmenrichtlinie vereinbar: Mit jährlich 100 Millionen Kubikmetern wird enorm viel Grundwasser entnommen. Die Qualität des später wieder ansteigenden Grundwassers verschlechtert sich erheblich. Die Braunkohleverstromung behindert die erneuerbaren Energien; mit nur einem neuen Tagebau erreicht Brandenburg nicht mehr seine Klimaschutzziele. Die bisher genehmigten Tagebaue reichen bis weit nach 2030. Bis dahin ist der Ausstieg aus der Braunkohle sozialverträglich und versorgungssicher zu machen.

Braune Brühe bleibt

Die Braunfärbung der Spree führt uns die negativen Langzeitfolgen des Kohlebergbaus vor Augen. Die Beseitigung des Eisenockers kommt nur schleppend voran. Von den zehn Anfang 2013 verkündeten Sofort(!)maßnahmen wurden erst sieben begonnen. Kaum geht es an den Quellen voran, an denen zu viel neues Eisen nachströmt. Auch wie und wo der Eisenschlamm deponiert werden soll, ist noch ein Rätsel. Der von den Behörden beklagte Personalmangel lässt vermuten, dass die Spreeverockerung lediglich in Sonntags- bzw. Landtagsreden Priorität genießt. Und für das sulfatbelastete Wasser gibt es überhaupt noch keine technisch ausgereifte und finanzierbare Lösung.

Stress, Staub und Schäden

Für die Klagen der Anwohner_innen der aktiven Tagebaue über Grundstücksschäden, Dreck und mit startenden Düsenjets vergleichbaren Lärmbelastungen ist Vattenfall taub. In Nordrhein-Westfalen hat die Regierung mit den Bergbauunternehmen eine Transparenzvereinbarung geschlossen, die in den Kohlerevieren u. a. mehrjährige Lärmmessungen und ein 24-Stunden-Bürgertelefon vorsieht. Auf Druck unserer Fraktion will sich Wirtschaftsminister Christoffers nun für eine Schiedsstelle für Braunkohlebetroffene und eine gemeinsame Bundesratsinitiative mit NRW zur Beweislastumkehr einsetzen – die Beweislast für bergbaubedingte Grundstücksschäden liegt dann nicht mehr bei den Betroffenen, sondern beim Unternehmen. Mehr Transparenz insgesamt wäre auch mit der von uns vorgeschlagenen „Landesinformationsstelle Bergbau“ gegeben, die alle Fakten über laufende und geplante Vorhaben sowie umweltrelevante Daten online bereithalten soll.