Zum Inhalt springen

Flüchtlinge und Asylsuchende nicht am Stadtrand isolieren, sondern in unsere Kommunen integrieren

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Brandenburger Landtag

I.

Der Landtag stellt fest:

In den ersten neun Monaten dieses Jahres sind nach Auskunft der Landesregierung in der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes 3.914 Menschen als Asylsuchende registriert worden. Dies bedeutet, dass in den ersten drei Quartalen des Jahres fast 20% mehr Erstaufnahmen stattfanden, als zuvor im gesamten Jahr 2013. Es ist nicht damit zu rechnen, dass die steigende Anzahl von Menschen, die Schutz und Perspektive in Deutschland suchen, sich in absehbarer Zeit verringert. Die globale sicherheitspolitische Lage wird auch weiter dazu führen, dass Menschen verzweifelte Versuche unternehmen werden, die Außengrenzen der EU zu überwinden und Asyl in Europa zu beantragen.

Der Bundestag hat in seiner Sitzung am 06.11.2014 die Initiative des Bundesrates „Entwurf eines Gesetzes über Maßnahmen im Bauplanungsrecht zur Erleichterung der Unterbringung von Flüchtlingen“ aufgegriffen und mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD eine Änderung des Baurechts beschlossen. Damit wird es zukünftig möglich sein, Asylsuchende in Gewerbegebieten und im Außenbereich unterzubringen.

Unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung auf der Bundesebene darf der Grundsatz des Bundesverfassungsgerichts von 2012 nicht in Frage gestellt werden, dass die im Grundgesetz garantierte Menschenwürde „migrationspolitisch nicht zu relativieren ist“. Über Fraktionsgrenzen hinweg eint uns die Auffassung, dass Flüchtlingen und Asylsuchenden in Brandenburg eine menschenwürdige und integrationsfördernde Unterbringung zu gewähren ist.

II.

Der Landtag möge beschließen:

Die Landesregierung wird gebeten darauf hinzuwirken, dass

  • die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylsuchenden weiterhin prioritär in Wohnungen und kleineren Gemeinschaftsunterkünften in Wohn- und Mischgebieten erfolgen soll,
  • die vom Landtag angeforderten Verbesserungen der Qualitätsstandards der Unterbringung und sozialen Betreuung weiterhin verfolgt und umgesetzt werden. Dazu sind die Kommunen durch neuerliche Sonderprogramme finanziell zu unterstützen. Die Kopplung der Mittelvergabe aus dem Nachtragshaushalt 2013/14 an eine Mindestfläche von 8 qm pro Bewohner zeigt dabei eine gute Möglichkeit der Qualitätssteigerung auf. Die im Oktober 2014 mit den Kommunen vereinbarte Absenkung der Mindeststandards auf bis zu 5 qm für 3 Monate sollte jedoch auslaufen und keinesfalls verlängert werden,
  • Standortentscheidungen sich weiterhin primär daran orientieren, dass für die Flüchtlinge integrationsfördernder Zugang zur sozialen Infrastruktur gewährleistet ist,
  • die Schulpflicht für Kinder aus Flüchtlingsfamilien eingeführt und für ausreichende Vermittlung von Sprachkenntnissen gesorgt wird. Die Kommunen sind bei der Bereitstellung von Kita- und Schulplätzen und der Bereitstellung von qualifiziertem Personal zu unterstützen,
  • die beschlossenen befristeten Änderungen im Baugesetz in Brandenburg äußerst sparsam im Sinne einer ultima-ratio-Lösung angewendet werden,
  • die kritische Einzelfallprüfung von geeigneten Bestandsimmobilien Vorrang vor Neubauprojekten in Gewerbegebieten und im Außenbereich hat, um nicht problematische Standorte als Dauerlösungen zu etablieren,
  • die Programme des sozialen Wohnungs- und Städtebaus für den Bau, Umbau und die Modernisierung von Flüchtlingsunterkünften genutzt werden,
  • die Instrumente der Bauleitplanung dazu genutzt werden, Flächen im Innenbereich zur Errichtung von Flüchtlingsunterkünften auszuweisen,
  • weiterhin Immissions- und Gesundheitsschutz im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zwingend Beachtung finden.

Begründung:

Die in der Bundestagssitzung vom 06.11.2014 verabschiedeten Änderungen im Baurecht, die auf eine Bundesratsinitiative Hamburgs zurückgehen, sind Ausdruck der Hilflosigkeit und des enormen Drucks, unter dem sich die Länder und die Kommunen sehen. Gerade in Großstädten mit stark angespanntem Wohnungsmarkt besteht die Gefahr, dass auf hochproblematische Notlösungen wie Container, Zelte oder Turnhallenbelegungen zurückgegriffen werden muss. Vor diesem Hintergrund mag es in begründeten Einzelfällen vertretbar sein, Bestandsgebäude in gutem Zustand und übersichtlicher Größe heranzuziehen, auch wenn sie planungsrechtlich nicht zu Wohnzwecken vorgesehen sind. Die beschlossenen Änderungen können zu einer kurzfristigen Entspannung beitragen und eine schwierige Unterbringungssituation kurzfristig mildern.

Hingegen müssen die integrationspolitischen Auswirkungen der bundesgesetzlichen Änderung in den einzelnen Kommunen am Einzelfall geprüft und entschieden werden. Es besteht die große Gefahr, dass sich die soziale Lage der Flüchtlinge verschärft und ihre Integration dauerhaft behindert wird mit allen nachteiligen Langzeitfolgen. Die Einbindung in die soziale, gesundheitliche oder politische Infrastruktur der Gemeinden muss dem Leitsatz des Bundesverfassungsgerichts entsprechen, dass für Flüchtlinge keine reduzierten Grundrechte etabliert werden dürfen. Wenn der deutsche Anwaltsverein bei der Anhörung zum Gesetz von einer „immissionsschutzrechtlichen Zwei-Klassen-Gesellschaft“ und Gesundheitsgefährdungen spricht, so erscheint genau dies einzutreten.

Zeitlich befristete Notlösungen bergen immer die Gefahr, dass aus dem Provisorium eine Dauerlösung wird, die die Ausgrenzung und Isolation von Asylsuchenden zur Folge hat. Es besteht die Gefahr wieder genau die problematischen Unterkünfte abseits jeglicher Anbindung zu schaffen, deren Zeit eigentlich für immer abgelaufen sein sollte. Neu errichtete Gebäude im Außenbereich und in Gewerbegebieten werfen nach 2019 zudem die Frage des Bestandsschutzes auf. Dies könnte dazu führen, dass die in Deutschland planungsrechtlich beabsichtigte Trennung zwischen Wohnen und Gewerbe langfristig konterkariert wird.

Es bleibt dabei: eine menschenrechtskonforme Unterbringung von Flüchtlingen und Asylsuchenden setzt Zugang zur sozialen Infrastruktur, insbesondere Gesundheitsversorgung, Bildung und sanitären Versorgung voraus. Dazu muss es einheitliche, verbindliche Qualitätsstandards bezüglich Raumgrößen, sanitären Anlagen, Spielmöglichkeiten und Gemeinschaftsräumen geben. Die Würde des Einzelnen und eine weitgehende Eigenverantwortlichkeit für das tägliche Leben müssen gewahrt werden. Dies lässt sich am besten bei dezentraler Unterbringung in Wohnungen oder Wohnverbünden sowie überschaubaren Gemeinschaftsunterkünften gewährleisten. Befristete Notfalllösungen können hilfreich sein – aber eben nur befristet.

>> Der Antrag als pdf-Datei.