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„Grenzgänger gehören zur Gesellschaft“

Die Haasenburg-Heime in Brandenburg sind geschlossen, das Kapitel Haasenburg ist es aber nicht. Das zuständige Bildungsministerium(MBJS) ist eine Antwort schuldig: Welche Lehren sind aus den Vorkommnissen in den Haasenburg-Heimen zu ziehen? Wie gehen wir mit Kindern und Jugendlichen mit schweren Biografien um? Wir sprechen dazu mit Monika Paulat, Präsidentin des Landessozialgerichts a.D. und Präsidentin des Deutschen Sozialgerichtstages e.V. Sie war Mitglied der Haasenburg-Untersuchungskommission, die u. a. die Fachtagung anregte, die das MBJS im Juli zum Thema veranstaltet.

Welches sind aus Ihrer Sicht die Lehren aus dem Haasenburg-Skandal?

M. Paulat: Die Gesellschaft und die Politik müssen bereit sein wahrzunehmen und anzuerkennen, dass Kinder und Jugendliche „Grenzgänger“ sein können, die es gilt, in die Gesellschaft zu reintegrieren und sie nicht ihrem Schicksal zu überlassen. Eine humane Gesellschaft, einen sozialen Rechtsstaat zeichnet gerade aus, wie sie mit „Grenzgängern“ umgehen. Mir scheint, dass auf diesem Feld zu viel Ideologie, zu viele Interessen jenseits der Interessen der Kinder und Jugendlichen im Spiel sind.

Wo und bei wem sehen Sie den größten –und welchen – Handlungsbedarf?

M. Paulat: Im Bereich der Politik und der Verwaltung. Die Zulässigkeit und dieZulassung großer, immer weiter wachsender privat geführter, gewinnorientierter Einrichtungen sollten überdacht werden. Für fatal halte ich die Beratung einer Einrichtung und deren Kontrolle durch das Landesjugendamt in Personalunion. Das Auseinander fallen von Konzepten und Realisierung wie bei der Haasenburg ist durch ein höhere Kontrolldichte und -tiefe durch Kontrolleure, die nicht gleichzeitig Berater sind, zu gewährleisten. Das setzt wiederum genügend und genügend qualifiziertes Personal in den Behörden voraus.

Handlungsbedarf besteht natürlich auch bei den Einrichtungen. Von ihnen muss erwartbar sein, dass sie im Führungsbereich und in der Linie Personal vorzuweisen haben, das mit Empathie, mit Herzblut und einer freundlichen Einstellung auch gegenüber sehr „schwierigen“ Betreuten an seine Aufgaben herangeht und sich stets am Kindeswohl orientiert. Die Führungskräfte müssen genügend selbstkritisch und an stetiger Verbesserung interessiert sein; sie müssen offen sein für den Vergleich mit anderen Einrichtungen, um im Sinne eines Benchmarking von anderen zu lernen – die Haasenburg zeichnete sich nach den Feststellungen der Untersuchungskommission durch Abschottung aus.

Was muss bei der Fachtagung des MBJSherauskommen?

M. Paulat: Von der Fachtagung muss ein Signal, nein, noch mehr ein Fanal ausgehen dafür, dass die Entscheidungsträger die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen zukunftsfähiger,noch mehr am Wohl der Minderjährigenorientiert gestalten wollen und werden.