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Offener Brief an die Agentur für Erneuerbare Energien: Dieser Leitstern führt in die Irre

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Agentur für Erneuerbare Energien verleiht alle zwei Jahre den Leitstern an die Bundesländer, die sich vorbildlich für Erneuerbare Energien einsetzen. Die gut gemeinte Auszeichnung, mit der Brandenburg im Dezember 2012 zum dritten Mal in Folge als Gesamtbester ausgezeichnet wurde, droht jedoch aufgrund einseitiger Vergabekriterien stark an Bedeutung zu verlieren.

Alle, die in Brandenburg leben und arbeiten oder schon einmal in der Lausitz waren, wissen, dass in Brandenburg zwar viel Strom aus Windenergie, Photovoltaik und Biomasse erzeugt wird, dass aber die unverändert stark auf Braunkohleverstromung setzende Energiepolitik in ihrer Gesamtheit alles andere als vorbildlich ist.

Genau darin liegt das Dilemma dieser Preisverleihung: Bewertet die Agentur nur – scheinbar objektiv – die nüchternen Zahlen beim Ausbau der Erneuerbaren Energien oder gibt der Leitstern (wie viele annehmen) darüber hinaus auch Auskunft über eine zukunftsfähige Entwicklung eines Bundeslandes, zu einer CO2-armen, sozialen und umweltgerechten Energieerzeugung?

Brandenburg ist mit 22,8 t CO2 pro Kopf und Jahr das Bundesland mit den höchsten CO2-Emissionen pro Kopf in Deutschland, dieser liegt damit fast zweieinhalb mal über dem deutschen Durchschnitt (9,2 t pro Kopf) und ist immer noch ein Drittel höher als der durchschnittliche pro Kopf-Ausstoß der US-Amerikaner (16,9 t pro Kopf). Eine positive Tendenz ist nicht erkennbar: Ganz im Gegenteil steigen die CO2-Emissionen Brandenburgs durch die zunehmende Braunkohleverstromung seit 2009 Jahr für Jahr weiter an und entfernen sich von dem bescheidenen Ziel der Landesregierung, bis 2020 wieder die Emissionswerte von 1995 erreichen zu wollen. Die Energiestrategie 2030 sieht völlig losgelöst von klimapolitischen Zielen vor in der Lausitz zwei neue Braunkohletagebaue (Welzow-Süd, Teilfeld II und Jänschwalde Nord) ohne weitere Bedarfsprüfung aufzuschließen. Dennoch bewertet die dem Preis zugrunde liegende Statistik den Bereich „energiepolitische Programmatik“ mit 5,0 oder 100%, was Platz 1 entspricht.

Vattenfall, durch seine Braunkohlekraftwerke in Brandenburg Hauptverursacher der Emissionen, kündigt seit Jahren an, die Firmenpolitik zu ändern. Es ist, besonders für die Bewohner der Lausitz, ein Hohn, wenn der CEO von Vattenfall, Øystein Løseth, noch im November diesen Jahres in einer Pressemitteilung ankündigt: „Mit den Erträgen aus der Braunkohle wollen wir unseren Ausbau der Erneuerbaren Energien vorantreiben.“ Nachhaltige Energiepolitik wird in Brandenburg weder von der Landesregierung noch von den größten Unternehmen betrieben. Die Indikatoren des Leitsterns ignorieren den hohen Primärenergieverbrauch (PEV) des Landes, der im Kohlebereich zu zwei Drittel als Wärme durch die Schornsteine in die Atmosphäre verpufft. Bewertet wurde stattdessen lediglich der Anteil der Erneuerbaren Energien am PEV, ein Kriterium, das Brandenburg Platz 4 in dieser Kategorie beschert.

Allein die Steigerung der regenerativen Stromerzeugung ist keine Garantie für eine umweltgerechtere und nachhaltigere Wirtschaft. So wie die NGO's zu recht gigantische Staudamm Projekte in China und im Amazonasbecken kritisieren, kann auch eine ungesteuerte Biomassepolitik verheerende ökologische Folgen haben. Die Leitsterne 2008 und 2010 wurden mit einer Energiestrategie 2020 gewonnen, die Emissionsminderungsziele u.a. durch die den massiven Ausbau der energetischen Nutzung von Biomasse erreichen wollte.

Zwei Drittel der Biomasse sollten nach den damaligen Planungen importiert werden. In der Folge entstanden in Brandenburg neben einer Vielzahl von Biogasanlagen und Biomassekraftwerken überdimensionierte Ethanol- und Biodiesel-Raffinerien. Diese wurden oder werden heute immer noch in Kurzarbeit betrieben oder sind bereits stillgelegt, weil die einheimischen Flächenpotentiale nicht ausreichten und der Transport regional erzeugter Biomasse nur über kurze Distanzen wirtschaftlich ist. Auch dort, wo der Anbau von Energiepflanzen noch in ausreichender Menge vor Ort erfolgt und die Nahrungsmittelproduktion nicht unmittelbar bedrängt wird, wird häufig die früher übliche betriebseigene Futtermittelproduktion nun durch Sojaimporte substituiert. Mit hohem Düngemittel-und Pestizideinsatz wird der Mais-und Energiepflanzenanbau in Brandenburg in nicht zu verantwortender Weise immer weiter ausgeweitet, während die Biodiversität auf den Äckern dramatisch abnimmt. Die Systematik der Indikatoren des Leitsterns kennt hier nur einen Blickwinkel: Je mehr, desto besser.

Die neue Energiestrategie 2030 der Brandenburger Landesregierung versucht durch Absenkung des Biomasseziels den Importbedarf zu verringern, doch längst hat die ungebremste Ausweitung der Biospritproduktion Agrarsteppen weiter anwachsen lassen und droht regionale Kreisläufe der Nahrungsmittelproduktion in Mitleidenschaft zu ziehen.

Die Korrekturen in der Energiestrategie 2030 gegenüber der Energiestrategie 2020 erfolgten unter anderem durch Aufschiebung und Absenkung der Klimazielschutzziele, was zudem ermöglicht, die Braunkohle weiter als „Partner der Energiewende“ darstellen zu können. Die Stiftung Warentest hat für solche Fälle nur ein (Leit-) Sternchen: „*führt zur Abwertung, -mangelhaft-“, heißt es dort bei Produkten, die zwar günstig und schick, aber technisch gefährlich oder giftig sind.

Der Leitstern der Agentur droht damit zur Farce zu verkommen. Ursache ist ein einseitiger Blick auf die Erneuerbaren Energien und ein Ausblenden der konventionellen Stromerzeugung. Brandenburg scheint bei unveränderter Fortführung dieses Kriterienkatalogs ein Abonnement auf die Auszeichnung zu haben, obwohl hier, mit der Braunkohle, eine Art der Stromerzeugung gefördert wird, die mit unflexiblen Kraftwerksblöcken die Stromnetze verstopft und somit eine Substitution der klimaschädlichen Kohle durch Erneuerbare Energien behindert. Bei hoher Stromproduktion aus Erneuerbaren Energien, sehen sich besonders Betreiber von Windenergieanlagen zunehmend mit Abschaltungen konfrontiert, während die Braunkohlekraftwerke mit verminderter Leistung am Netz bleiben, um ihren Strom exportieren zu können.

Wir fordern die Agentur für Erneuerbare Energien auf, die Indikatoren des Leitsterns kritisch, im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung, endlich weiter zu entwickeln. In zwei Jahren kann dann der aufpolierte Leitstern wieder strahlen. Wenn die Klimabilanz bis dahin stimmen sollte, gerne auch wieder über Brandenburg.

Mit freundlichen Grüßen,

Axel Vogel, Fraktionsvorsitzender
Michael Jungclaus, Sprecher für Energiepolitik

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>> Antwort der Agentur für Erneuerbare Energien (pdf-Datei)