Zum Inhalt springen

„Piatto“ als Zeuge vor dem NSU-Untersuchungsausschuss

(Nr. 101) Der ehemalige Verfassungsschutz-Informant „Piatto“ alias Carsten Szczepanski ist am kommenden Montag, dem 11. Juni 2018, als Zeuge vor den NSU-Untersuchungsausschuss Brandenburg geladen. Er steht im Zentrum des Untersuchungsauftrags, weil er im Herbst 1998 von Bewaffnungs- und Überfallplänen eines flüchtigen Neonazi-Trios berichtet hat, das heute als „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) bekannt ist.

„Piatto ist eine Schlüsselfigur für den NSU-Untersuchungsausschuss“, sagte URSULA NONNEMACHER, die bündnisgrüne Fraktionsvorsitzende und Obfrau im NSU-Untersuchungsausschuss „Ein Brandenburger Verfassungsschützer hat die drei Bombenbauer aus Jena aufgrund der Piatto-Hinweise damals zutreffend als ,Rechtsterroristen‘ eingeordnet – trotzdem hat die Verfassungsschutzbehörde diese Hinweise nicht an die Polizei in Thüringen und Sachsen weitergegeben“, sagte URSULA NONNEMACHER. „Daraus leitet sich der zentrale Untersuchungsauftrag des Ausschusses ab: Zu klären, inwieweit Brandenburgs Verfassungsschutz mitverantwortlich dafür ist, dass Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe nicht gefasst werden konnten, bevor die Mordserie des NSU begonnen hat.“

Die bündnisgrüne Fraktion hat im Untersuchungsausschuss herausgearbeitet, dass Szczepanski als Häftling im Dienste des Verfassungsschutzes relativ häufig die Führungskader der Neonazi-Szene in Chemnitz aufgesucht hat – „und zwar just ab dem Zeitpunkt, als das Trio in der Stadt untergetaucht ist“, sagte URSULA NONNEMACHER. „Ich hoffe, dass er sich bei seiner Vernehmung an seine damaligen Aufträge erinnern kann. Denn seine einstigen V-Mann-Führer – darunter der heutige Verfassungsschutz-Präsident in Sachsen – hatten leider bei wichtigen Fragen Erinnerungslücken.“

„Piatto“ unterhielt auch enge Kontakte zu militanten Neonazis in England: Er bekam sogar die Adressen der deutschen „Combat 18“-Interessenten übermittelt, die an das Londoner Postfach der Terrorgruppe geschrieben haben. Zudem nutzte er ein Postfach des brandenburgischen Verfassungsschutzes unter anderem als Bestelladresse für eine „Combat 18“-Broschüre und als Kontaktadresse für das „National Socialist Movement“, in dem sich ein Teil der britischen „Combat 18“-Mitglieder nach einem internen Streit gesammelt haben.

„Ich erwarte, dass uns Szczepanski darlegt, welche Rolle der Verfassungsschutz über ihn als Informant bei der Ausbreitung des militanten Rechtsextremismus von Großbritannien nach Deutschland tatsächlich gespielt hat“, sagte URSULA NONNEMACHER. Seine V-Mann-Führer wussten angeblich nicht, wie die Anfragen terroraffiner Neonazis aus Deutschland beantwortet worden sind, die in den Postfächern des „Combat 18“ und des Brandenburger Verfassungsschutzes eingegangen sind.

Szczepanski hat aufgrund von Verjährungsfristen praktisch nichts mehr zu befürchten, da selbst eine Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach zehn Jahren verjährt wäre. URSULA NONNEMACHER hofft deshalb auf die Auskunftsbereitschaft des Ex-Informanten: „Uns interessiert, mit welchen Sicherheitsbehörden er über den brandenburgischen Verfassungsschutz hinaus Kontakt hatte, wie Skinhead-Fanzines in der Justizvollzugsanstalt Brandenburg hergestellt werden konnten und wie es möglich war, dass er als Häftling ein Praktikum im Szene-Laden ,Sonnentanz‘ nahe Chemnitz machen konnte.“

Die bündnisgrüne Innenpolitikerin geht davon aus, dass diese Vernehmung von Carsten Szczepanski am Montag nicht seine letzte ist: „Die Beweisaufnahme im ,Piatto‘-Komplex ist noch lange nicht zu Ende. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass Szczepanski auch zu Aussagen von Zeugen befragt werden muss, die bisher noch nicht vor dem Untersuchungsausschuss erschienen sind.“

Die Tagesordnung für die Sitzung des NSU-Untersuchnungsausschusses am 11.6.18:

https://www.parldok.brandenburg.de/starweb/LBB/ELVIS/parladoku/w6/einladungen/UA61/27.pdf