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Ursula Nonnemacher spricht zur Evaluierung der Gemeindegebietsreform 2003

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- Es gilt das gesprochene Wort !

Anrede!

Auf der Tagesordnung steht heute die Evaluierung der Gemeindegebietsreform. Der vorliegende Bericht der Landesregierung hat im Vorfeld Erwartungen geweckt, die er nicht halten kann. In den Vorbemerkungen gibt man sich denn auch bescheiden: der Bericht enthalte lediglich Fakten und stelle Probleme dar. Vor der Enquetekommission „Brandenburg 2020" sprach der Vertreter des Innenministeriums gar nur von einem „ersten Aufschlag". Der Städte- und Gemeindebund mahnt an, erst einmal Untersuchungskriterien und Prüfmaßstäbe für eine Evaluierung zu entwickeln.

Es lohnt sich in der Rückschau auf die Gemeindegebietsreform noch mal die Leitlinien von 2000 in den Blick zu nehmen. Mit der Reform wurden viele hehre Ziele verbunden: Die Verwaltungs- und Leistungskraft der Städte und Gemeinden und Ämter sollte dauerhaft gestärkt werden, die Weiterentwicklung zu einheitlichen Lebens- und Wirtschaftsräumen sollte ermöglicht werden und die Gemeindestrukturen sollten zur Stärkung der bürgerschaftlichen Beteiligung beitragen.

In Erinnerung sind aber im wesentlichen die zahlreichen Konflikte geblieben, die mit Zwangsfusionen von Gemeinden verbunden waren und zu 255 Klagen von Gemeinden führten. Auch wenn diese Klagen fast alle zurückgewiesen wurden, wirkt die Reform in vielen Orten und Gemeinden doch bis heute nach und ist noch nicht überall grundsätzlich akzeptiert. In Großgemeinden sank z.B. die Zahl der Gemeinderäte bis zu 84%. Damit sind zahlreiche Orte gar nicht mehr in ihren Gemeinderäten vertreten. Welche Auswirkungen dies für die lokalen Gemeinschaften hat, auch hier besteht noch Evaluationsbedarf.

Ähnliches gilt für die Zukunft der Ämter. Welches Ausmaß hat die Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben von den Gemeinden auf die Ämter? Ist diese Übertragung schon so umfänglich, dass das Amt zum Gemeindeverband geworden ist und somit einer unmittelbar gewählten Volksvertretung bedarf?

Schon 2003 war abzusehen, dass zukünftig zahlreiche neu gebildete Ämter und Gemeinden die vorgesehene Mindestgröße von 5.000 Einwohner/innen nicht würden halten können. Auf Basis der aktuellen Bevölkerungsprognose können wir davon ausgehen, dass im Jahr 2030 63 von 201 amtsfreien Gemeinden und Ämtern, also 30%, unter diese Grenze fallen. Die demografischen Daten von damals haben sich als zu optimistisch erwiesen sowohl was den Bevölkerungszuwachs im berlinnahen Raum, als auch den Bevölkerungsrückgang im äußeren Entwicklungsraum angeht. Insbesondere wurde aber der sich z.T. dramatisch ändernden Altersstruktur nicht genügend Augenmerk gewidmet. Vor allem aber standen die finanzielle Leistungsfähigkeit der Kommunen und die Verwaltungskosten nicht so im Focus des Interesses.

Der Bericht der Landesregierung erfüllt nicht die Aufgabe einer systematischen Evaluation, trotzdem ist er nicht schlecht – ganz im Gegenteil. Weil er in seinen Analysen des Ist- Zustandes und seinen Problembeschreibungen über die damalige Reform hinausgeht und neue Rahmenbedingungen und mögliche Handlungsoptionen skizziert, wie z.B. die neuen Kommunikationstechnologien.

Wir Grüne fühlen uns durch diesen Bericht in unserer Haltung bestätigt, dass eine Diskussion, die sich nur mit der Verschiebung von Gebietsgrenzen beschäftigt, zu kurz greift. In der letzten Sitzung der Enquetekommission wurden nach intensiven Diskussionen gleich konkrete Schritte eingeleitet, um die leeren Stellen dieses Berichtes zu füllen. Wir müssen uns erst mit der Aufgabenverteilung von Land und Kommunen beschäftigen, nicht nur über die Neuverteilung, sondern auch über die Neuorganisation der Aufgaben. Wir müssen ganz neue Organisationsformen prüfen, damit die Kommunen in Zukunft handlungsfähig bleiben. Dabei müssen wir immer die Menschen und ihre Möglichkeiten mitzugestalten im Blick haben.

Insofern hat die Landesregierung mit ihrem „ersten Aufschlag" durchaus produktiv gewirkt. Der Ball wurde gespielt, die Enquetekommission hat ihn aufgefangen und kreisen lassen. Die Sitzung am 26.8.2011 war erfreulicherweise vom allgemeinen Bemühen geprägt, frühzeitige Konfrontationen zu meiden und die umfangreichen Themenfelder konstruktiv abzuarbeiten. Der Arbeitsplan steht, jetzt erst geht es richtig los. Der Bericht der Landesregierung war ein guter Einstieg. Aber wir wissen alle, das wir nicht an einer Gemeindegebietsreform 2.0 arbeiten.