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Ursula Nonnemacher spricht zur aktuellen Stunde "Sozial gesichert, aktiv leben - für alle Generationen"

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- Es gilt das gesprochene Wort !

Anrede!

Letzte Woche unterhielt ich mich am Rande eines Benefizkonzertes mit einer Frau über ihre Arbeit an der „Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung" in Kassel, über Radfahren und regelmäßiges Schwimmen. Die Dame war 85 Jahre alt. Nach der Terminologie des Seniorenpolitischen Maßnahmenpakets der Landesregierung (Einführung Seite 4) sprach da eine Mitfünfzigerin in der Spätphase ihrer Berufstätigkeit mit einer Hochbetagten über 80 über Aspekte der Frauenbewegung. Damit wären wir wieder - wie schon bei der Debatte zur Großen Anfrage „Seniorinnen und Senioren im Land Brandenburg" – beim Ärgernis der fehlenden Trennschärfe des Seniorenbegriffs. In einer Gesellschaft, die immer älter wird, müssen diese Begrifflichkeiten neu definiert werden.

Das Durchschnittsalter wird in Brandenburg 2030 bei 53 Jahren liegen – im äußeren Entwicklungsraum noch einige Jahre höher. Die Lebenserwartung eines neugeborenen Mädchens lag 2009 in Deutschland bei 82,4 Jahren. Auf der Basis dieser Daten müssen wird aufhören, Fünfzigjährige als Senioren und Menschen, die die durchschnittliche Lebenserwartung erreichen als Hochbetagte zu bezeichnen.

Neben der bekannten Problematik, dass wir uns älter rechnen, als wir sind, missfällt mir im Editorial des Maßnahmenpakets die Aussage, dass Seniorenpolitik unlösbar mit der Pflegepolitik des Landes verbunden sei. Die Aussage, etwa jeder 7. Brandenburger über 65 Jahre sei pflegebedürftig, heißt doch im Umkehrschluss, 86% dieser Altersgruppe sind es eben nicht. Im übrigen beinhaltet Pflegebedürftigkeit vom begrenzten Unterstützungsbedarf bei gut erhaltener Lebensqualität bis zur rund- um -die- Uhr -Betreuung durch qualifiziertes Personal ein sehr weites Feld. Auch wenn chronische Erkrankungen, degenerative dementielle Syndrome und Pflegebedürftigkeit in all ihren Facetten im höheren Lebensalter eine erhöhte Prävalenz aufweisen, so warne ich doch ausdrücklich davor, Seniorenpolitik auf Pflegebedarf zu reduzieren. Pflegebedürftig sind in unserer Gesellschaft auch schwerbehinderte Kinder und Jugendliche, Opfer von Unfällen und Schwerstkranke aller Altersgruppen. Seniorenpolitik geht weit über Pflegegesichtspunkte hinaus und sollte nicht darauf verengt werden. Auch die Betrachtungsweise einer Seniorin als potentiellem Pflegefall, der durch aktivierende Maßnahmen hinausgezögert werden kann, lehnen wir ab! Der demographische Wandel sollte nicht als Massenanfall von Siechtum problematisiert werden. Historisch betrachtet waren ältere Menschen noch niemals so vital, autonom, gebildet und lange gesund wie heute.

„Wir werden älter – na und?" dieses Motto wünsche ich mir für die Seniorenpolitik in unserem Land. Wir steuern in keine demografischen Horrorszenarien, sondern wir genießen die Früchte von Modernisierungsprozessen. Menschen altern vom Beginn ihres Lebens an bis zum Tod. Um den unvermeidlichen Alterungsprozess optimal zu gestalten, müssen von Jugend an körperliche, geistige und soziale Aktivitäten gepflegt werden. Frei nach der Devise „wer richtig lebt, wird besser alt" sind gesunde Ernährung, lebenslanges Lernen und geistige Regsamkeit, ein gefestigtes familiäres Umfeld, kontinuierliche sportliche Betätigung, ein erfülltes Arbeitsleben und vielfältige Sozialkontakte die besten Garanten für einen gelungenen Alterungsprozess.

Glücklicherweise finden sich diese aktivierenden und positiven Aspekte auch reichlich in den aktualisierten Leitlinien zur Seniorenpolitik und im kürzlich vom Kabinett verabschiedeten seniorenpolitischen Maßnahmenpaket. Die Darstellung eines differenzierten Altersbildes jenseits vom Oma-Klischee, die Betonung von bunten und individuellen Lebensentwürfen, geschlechtsspezifische Aspekte und eine Politik des aktiven Alterns begrüßen wir als Grüne ausdrücklich. Unter den 40 Maßnahmen finden sich denn auch eine ganze Menge guter Ideen von der Überprüfung diskriminierender Altersgrenzen über Vermittlung differenzierter Altersbilder bis zum altersgerechten Tourismus und zum Netzwerk „Gesund Älterwerden in Brandenburg". Viele Maßnahmen sind kleinteilig, dies ebenso wie die konkrete Untersetzung mit meist überschaubaren Summen muss aber kein Nachteil sein. Gute Politik muss nicht immer Millionen verschlingen.

Auch wenn das Maßnahmenpaket an einigen Stellen in die Terminologie des Frühverrentungswahnes zurückfällt, so sehen wir doch viele positive Ansätze und unterstützen die Auffassung, dass Seniorenpolitik zu den zentralen sozialpolitischen Handlungsfeldern in Brandenburg zählt.