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Ursula Nonnemacher spricht zur aktuellen Stunde "Solidarische Finanzierung des Gesundheitssystems"

- Es gilt das gesprochene Wort !

Nach einer aktuellen Umfrage des Wissenschaftlichen Instituts der AOK liegt die Zustimmung der Deutschen zum Solidarprinzip in der Krankenversicherung zwischen 70 und 90%. Die Gesunden zahlen für die Kranken mit, die Jungen für die Alten, die Besserverdienenden für die Geringverdiener. Zusätzlich galt lange Zeit die paritätische Finanzierung: die Kosten der Krankenversicherung werden zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern geteilt.

Doch mit der solidarischen und paritätischen Finanzierung steht es schon längere Zeit nicht mehr zum Besten. Prinzipiell stellt die private Krankenversicherung an sich einen schweren Angriff auf das Solidarprinzip dar: sie ist attraktiv für junge Gutverdiener, die aufgrund ihres Alters und ihres sozialen Status die geringsten Risiken aufweisen. Gut 10 % der bundesdeutschen Bevölkerung sind somit dem Solidarprinzip in der Krankenversicherung entzogen. Aber auch die Parität wurde in den letzten Jahrzehnten immer mehr aufgeweicht: Zuzahlungen zu Medikamenten, zu Heil- und Hilfsmitteln, zu Krankenhausaufenthalten und die Praxisgebühr, eingeführt durch so wohlklingende Gesetze wie „Kostendämpfungsgesetz" 1977, „Gesundheitsreformgesetz 1989 oder „GKV-Neuordnungsgesetz" 1997, belasteten einseitig die gesetzlich Versicherten. Endgültig beendet wurde die seit 1883 bestehende paritätische Versicherung 2005 durch den Sonderbeitrag von 0,9% eingeführt durch die Regierung Schroeder. Angriffe aufs Solidarprinzip und die Parität sind also nicht ganz so neu, meine Damen und Herren von der SPD und im Kampf um die Kostenexplosion im Gesundheitswesen waren auch alle Parteien (auch meine!) schon an diesen Angriffen beteiligt.

Was die schwarz-gelbe Bundesregierung jetzt aber nach einjährigem Gezerre plant, ist der bisher dreisteste Angriff auf ein solidarisches Gesundheitssystem, ist Klientelpolitik und Pharmalobbyismus. Die für 2011 vorgesehene Beitragsanhebung auf 15,5% wird mit dem Einfrieren der Arbeitgeberbeiträge auf 7,3% und der Beibehaltung des Sonderbeitrages von 0,9% kombiniert. Alle weiteren Kostensteigerungen werden allein von den Versicherten, von Arbeitnehmern und Rentnern bezahlt. Die Zusatzbeiträge können auf der nach oben offenen Richterskala in unbegrenzter Höhe erhoben werden. Ein Sozialausgleich wird jetzt erst gezahlt, wenn der Zusatzbeitrag 2% des Haushaltseinkommens des Versicherten übersteigt. Der sogenannte Sozialausgleich ist auch seinen Namen nicht Wert, orientiert er sich doch nicht an den realen Kosten, sondern nur an der Höhe der durchschnittlich gezahlten Zusatzbeiträge. Die Versicherten werden durch die Beitragssteigerungen und den Einstieg in die Kopfpauschale ohne realen Sozialausgleich doppelt belastet. Gleichzeitig will der Gesundheitsminister die Sperrfrist für den Wechsel in die Private Krankenversicherung, die erst 2007 auf 3 Jahre verlängert wurde, wieder verkürzen. D.h. der GKV droht eine weitere Schwächung, weil sich die Besserverdienenden wieder leichter dem solidarischen System entziehen können.

Die Pläne von Herrn Rösler, zur sogenannten Verbesserung der Transparenz die Kostenerstattung auszuweiten, d.h. unter anderemVorkasse beim Arztbesuch, sind ein weiterer Angriff auf ein solidarisches Gesundheitswesen. Noch gilt hier das Sachleistungsprinzip!

Ein solidarisches Gesundheitswesen muss aber auch ein bezahlbares bleiben. Deshalb müssen wir die Einnahmeseite neu organisieren, nicht über Kopfpauschalen, sondern über eine Bürgerversicherung, die alle Einkünfte in die Beitragsberechnung miteinbezieht. Gleichzeitig muss aber die Ausgabenseite stärker fokussiert werden. Das Gesundheitssystem darf kein Selbstbedienungsladen sein, wo sich jedes Angebot seine Nachfrage schafft und Fehlbeträge in unbegrenzter Höhe wieder den Versicherten aufgebürdet werden.

Die Einsparpotentiale sind immens, vor allem im Bereich der Pharmaka, aber nicht nur dort. Minister Rösler wollte das Preismonopol der Pharmakonzerne brechen, statt dessen ist bei der Kassenzulassung neuer Medikamente die Umkehr der Beweispflicht im Gespräch.

Röslers „Reform" macht das Gesundheitswesen wieder einmal nicht zukunftsfest, sondern unsolidarischer. Die Zusatzbeiträge werden mittelfristig explodieren, einen steuerfinanzierten Sozialausgleich wird es nicht geben und besonders Gering- und Durchschnittsverdienern bleibt weniger Netto vom Brutto.

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