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Ursula Nonnemacher spricht zur Aktuellen Stunde "Die gesundheitliche Versorgung in allen Regionen des Landes zukunftsfähig sichern"

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>>> Zur Dokumentation der Veranstaltung unserer Fraktion "Gesundheitsversorgung in ländlichen Regionen"

- Es gilt das gesprochene Wort !

Anrede!

Es geht ein Gespenst um in Deutschland – der sogenannte Ärztemangel. Zur Einordnung des Problems will ich zu Anfang nochmals an die Tatsachen erinnern: Die Zahl der ambulant tätigen Ärzte ist von 92.200 1990 auf 139.600 im Jahr 2009 angestiegen. Die Arztdichte in Deutschland liegt bei 371 pro 100.000 Einwohner und damit im internationalen Vergleich sehr hoch; deutlich höher als z.B. in den skandinavischen Ländern und Japan, die in puncto Gesundheitsversorgung und Lebenserwartung führend sind. Die zum Stichtag 31.12.1990 bundeseinheitlich geschaffenen Planungsbezirke für die kassenärztliche Versorgung weisen in 89% eine Überversorgung und in weniger als einem Prozent eine bestehende oder drohende Unterversorgung auf. Der Grad der Überversorgung ist zum Teil grotesk hoch: in Starnberg beträgt er für Fachinternisten 510%, in Garmisch-Patenkirchen 403%. Damit kommen wir zum eigentlichen Problem:

Noch nie gab es in Deutschland so viele Ärzte wie momentan, aber sie lassen sich bevorzugt in attraktiven städtischen Regionen mit hohem Privatpatientenanteil nieder. Trotz der bundesweit eher bestehenden Überversorgung fehlen in strukturschwachen ländlichen Gebieten in Ostdeutschland und in jüngerer Zeit auch in Westdeutschland Ärzte, ebenso wie in einigen Großstadtbezirken, die von hoher Arbeitslosigkeit und hohem Migrantenanteil, ergo durch Armut gekennzeichnet sind. Auch dort machen sich niedergelassene Ärzte rar. Wir haben in Deutschland keinen Ärztemangel, sondern eine gravierende Fehlverteilung von Ärzten zuungunsten strukturschwacher Gebiete!

Eine gleichmäßige regionale Verteilung von Ärzten konnte mit der bisherigen Bedarfplanung aus den frühen 90iger Jahren mit ihren bundeseinheitlichen Verhältniszahlen für die Planungsbereich nicht erreicht werden. Die Bedarfsplanung muss dringend reformiert werden, dies soll jetzt mit einem vom Bundesgesundheitministerium geplanten Versorgungsgesetz geschehen. Eine grundlegende Erkenntnis bei jeder Neuorientierung muss aber sein: wer Unterversorgung bekämpfen will, muss auch Überversorgung abbauen. Jede weitere Praxis und jede Honararerhöhung für Vertragsärzte führt zu einer zusätzlichen Belastung der Krankenkassen und geht nach dem Ausstieg aus der Parität einseitig zulasten der gesetzlich Versicherten!

Am 6.4.2011 hatten sich BMG und die Gesundheitsminister der Länder auf Eckpunkte für das für den 1.1.2012 geplante Versorgungsgesetz geeinigt. Die Länder hatten schon über die Gesundheitsministerkonferenz im vergangenen Jahr für mehr Mitsprache bei der Bedarfsplanung gestritten. Zwei Tage später legte dann Minister Rösler die mit den Koalitionsfraktionen endgültig ausgehandelten Eckpunkte vor. Darin wurden gleich drei wesentliche Forderungen der Länder kassiert, für zukünftigen Zoff im Bundesrat ist also bestens gesorgt.

Das neue Versorgungsgesetz wird die Versorgung nicht wirklich verbessern. Statt echter Strukturreformen für mehr Qualität auf den Weg zu bringen und substanzielle Antworten auf die Gesundheitsversorgung einer alternden Gesellschaft zu liefern, doktert schwarz-gelb an einzelnen Symptomen herum. Viele kleinteilige Maßnahmen, die durchaus ihre Berechtigung haben, sind nicht wirklich neu und werden in Brandenburg bereits praktiziert, wie z.B. die nichtärztlichen Praxisassistentinnen (AGNES) oder das AGNES zwei Projekt durch die Innovative Gesundheitsversorgung in Brandenburg, einer Arbeitsgemeinschaft zwischen Krankenkassen und der KV. Auch Kredite und Umsatzgarantien bei Praxisübernahmen oder Gründungen in unterversorgten Gebieten, verschiedene Stipendiensysteme, der Ausbau von Netzwerken für Fortbildung und Telemedizin oder Zweigpraxen werden in Brandenburg seit längerem gehandhabt.

Die grundlegenden Probleme wie eine wirksame Überwindung der Trennung zwischen ambulantem und stationären Sektor, eine Aufwertung der Primärversorgung oder die Einbeziehung der nichtärztlichen Gesundheitsberufe in ganzheitliche Versorgungskonzepte, werden nicht angepackt. Wirklich grundlegende, berufsgruppen- und sektorübergreifende Antworten auf bestehende und künftige Versorgungsbedarfe sind durch diese Eckpunkte nicht zu erwarten.

Dafür gibt es mal wieder teure Geschenke an Zahnärzte, die Gründung von medizinischen Versorgungszentren wird erschwert und fragwürdige zusätzliche Planungsgremien ohne echte Kompetenzen werden ins Leben gerufen. Auch die Schaffung neuer Studienplätze dürfte vorwiegend teuer werden, an der Fehlverteilung unserer Ärzte aber nicht ändern.

Vor allem wird aber das Kardinalproblem, nämlich die kostenneutrale Umverteilung von Ressourcen zwischen überversorgten und unterversorgten Bezirken nicht angepackt.