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Ursula Nonnemacher spricht zur Aktuellen Stunde "Brandenburg zukunftsfest machen - Herausforderungen des Demografischen Wandels aktiv gestalten"

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- Es gilt das gesprochene Wort !

Anrede!

Ich widerstehe der Versuchung, mich dem Thema, wie wir Brandenburg zukunftsfest machen und in allen Landesteilen lebenswert erhalten können, in fünf Minuten umfassend zu nähern. Von der Neuausrichtung der Finanzbeziehungen auf allen Ebenen, dem Erhalt unserer Verkehrsinfrastruktur, der Funktional- und Gebietsreform, der Ineffektivität unserer Familienförderung bis zur Überlastung unserer sozialen Sicherungssysteme – jedes dicke Brett dieser Welt lässt sich dazu aufrufen. Ich möchte mich beschränken auf das Thema der stärkeren Beteiligung Älterer am Arbeitsmarkt und der Umverteilung von Arbeit.

Der demografische Wandel wird hauptsächlich durch zwei Faktoren gekennzeichnet: konstant niedrige Geburtenraten und eine seit über 150 Jahren zu beobachtende rasante Steigerung der Lebenserwartung. Diese verläuft immer noch linear ohne Abflachungstendenz und beschert uns pro Geburtsjahrgang drei zusätzliche Lebensmonate. Im vergangenen Jahrhundert ist die Lebenserwartung in Deutschland um rund 30 Jahre gestiegen. Bei der Einführung der Rentenversicherung im Deutschen Reich 1913 lag sie bei etwa 50 Jahren gemittelt für beide Geschlechter. Das Renteneintrittsalter von 65 Jahren hat sich in diesen hundert Jahren dagegen nicht verändert.

Ein heute geborenes Kind hat eine gut 50%ige Wahrscheinlichkeit, hundert Jahre alt zu werden. Die niedrige Geburtenrate und die beschriebene Entwicklung der Lebenserwartung führt zu zwei Effekten: ohne Zuwanderung wird pro Generation die Bevölkerung um etwa ein Drittel abnehmen und die Alterszusammensetzung ändert sich gravierend hin zu den älteren Jahrgängen. Die Bertelsmannstiftung hat in ihrer Länderprognose von Oktober 2011 das Medianalter für Brandenburg im Jahr 2030 mit 54,2 Jahren angegeben und fast eine Verdoppelung der Zahl der Hochbetagten prognostiziert.

Aus solchen statistischen Angaben speisen sich dann oft Visionen, die Gesellschaft würde „überaltern" oder gar „vergreisen", die Zukunft sei von Siechtum und explodierender Pflegebedürftigkeit überschattet. Diese negative Sicht auf die Zukunft verstellt, dass wir nicht nur immer älter, sondern auch immer gesünder älter werden. Ging die Steigerung der Lebenserwartung zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch auf das Konto der rapide sinkenden Säuglings- und Kindersterblichkeit, so ist sie heute größtenteils auf die sinkende Sterblichkeit der über 65jährigen zurückzuführen!

Der demografische Wandel ist kein Schreckgespenst! Wir werden älter und die gesunde Lebensspanne, die uns zur Verfügung steht, wird sich höchstwahrscheinlich im gleichen Maß verlängern wie die Lebenserwartung.

Wir werden also durchschnittlich im Alter immer aktiver sein und Ältere können und wollen mehr Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen. Das geht selbstverständlich auch mit längerer Beteiligung am Arbeitsleben einher. Bis die Rente mit 67 im Jahr 2029 umgesetzt sein wird, ist die Lebenserwartung erneut um weitere 3 Jahre gestiegen. Aber es geht gar nicht darum, jetzt die Rente mit 70 oder mit 72 zu propagieren. Wir brauchen flexible Lösungen für die Beteiligung Älterer am Arbeitsmarkt sowie verstärkt Teilzeitmodelle.

Viele Vorurteile geraten langsam ins Wanken: ältere Arbeitnehmer sind durchaus produktiv und nachlassende körperliche Kraft oder partiell abnehmende kognitive Fähigkeiten werden durch hohes Erfahrungswissen und soziale Kompetenz oft kompensiert. Altersgemischte Teams sind häufig besser als homogen jüngere!

Es geht aber nicht nur um eine verlängerte Teilnahme am Arbeitsleben, es geht auch um grundsätzliche Umorganisation von Lebensarbeitszeit. Wenn wir zukünftig 90, 95 oder gar 100 Jahre alt werden, macht eine klassische Aufteilung in Ausbildungszeit – Familiengründung/Arbeitsphase – und Ruhestand keinen Sinn. Wir müssen aus der rush hour des Lebens Druck heraus nehmen. In der Zeit der beruflichen Konsolidierung und Familiengründung geraten immer mehr Frauen und Männer unter Stress, die psychischen Belastungen nehmen dramatisch zu. Wir brauchen flexible Lebensarbeitszeiten mit Entlastung in der Familienphase, lebenslangem Lernen bis ins höhere Alter und längeren Verbleib in der Erwerbstätigkeit. Mehr Bildung, kürzere Arbeitszeiten verteilt auf ein längeres Arbeitsleben: das könnte sowohl die Geburtenrate als auch Gesundheit und Zufriedenheit aller Jahrgänge steigern.

Ein Land wie Brandenburg, dem jetzt schon die Fachkräfte ausgehen, wird diesen Weg verstärkt verfolgen müssen. Natürlich ist dies ohne bundesgesetzliche Regelungen nicht allein möglich. Aber dies trifft bei der Demografiepolitik auf fast alle Bereiche zu. Natürlich brauchen wir auch Zuwanderung! Aber damit wäre das nächste dicke Brett aufgerufen ....