Zum Inhalt springen

Ursula Nonnemacher spricht zum Zwischenbericht der Enquete-Kommission 5/2

>>> Redemanuskript als PDF

- Es gilt das gesprochene Wort !

Anrede!

Vor eineinhalb Jahren haben wir uns hier in diesem Hause gemeinsam auf den Weg gemacht und die Enquetekommission 5-2 „"Kommunal- und Landesverwaltung - bürgernah, effektiv und zukunftsfest - Brandenburg 2020" ins Leben gerufen.
Allen war klar, dass die ersten Sitzungen der Bestandsaufnahme dienen würden. Vielleicht war nicht allen bewusst, wie umfangreich diese Bestandsaufnahme werden würde - auch wenn der Einsetzungsbeschluss schon einen Hinweis geben konnte, dass eine Menge Arbeit vor uns liegen würde.
Ich möchte mich an dieser Stelle für die bisher gute und konstruktive Zusammenarbeit bedanken. Ein ganz besonderer Dank gilt dabei den nichtparlamentarischen Mitgliedern der Kommission. Ihre Erfahrung und Kompetenz als WissenschaftlerInnen und ExpertInnen sind für unsere Arbeit unverzichtbar. Gut, dass Sie bereit waren, sie einzubringen!

Die Breite der Themen in der Enquetekommission reichte von der Bürgerbeteiligung bis zur Aufgabenverteilung zwischen dem Land und den Kommunen. Die Erfahrungen aus Sachsen-Anhalt wurden genauso geprüft wie die Strukturen in Baden-Württemberg oder die Reformen unserer europäischen Nachbarn im Norden und Süden. WissenschaftlerInnen kamen ebenso zu Wort wie VertreterInnen aus Ministerien, Verwaltung und der kommunalen Familie in ihrer ganzen Breite. Wahrscheinlich blieb kaum ein Experte auf den Gebieten, die von uns bearbeitet wurden, von der Enquetekommission unbehelligt.

Ich denke, wir haben gelernt, dass es bei den Themen, die uns bewegen, keine wissenschaftlich begründbaren, absoluten Wahrheiten gibt. Am Ende müssen wir alles Fachwissen, jeden Blickwinkel an unsere Brandenburger Verhältnisse anpassen. Dabei sind oftmals Details entscheidend und manch einer stellt dann plötzlich fest, dass auch beim Vergleich von Äpfeln und Birnen der Apfel ein Apfel bleibt und die Birne eine Birne: Die Aufgaben von Kreisen, Gemeindeverbänden und Gemeinden unterscheiden sich in den Bundesländern erheblich. Selbst die Vergleichbarkeit von Gemeinden untereinander ist mittlerweile ein schwieriges Geschäft, da es in den einzelnen Gemeinden ganz unterschiedliche Formen der Aufgabenerfüllung gibt. Die wenigsten Gemeinden erfüllen alle Aufgaben durch die Kernverwaltung: Es gibt Eigenbetriebe, kommunale GmbHs, einige Aufgaben werden von privaten Trägern übernommen. Das erschwert die Vergleichbarkeit und macht die Gewinnung unumstößlicher Erkenntnisse nicht einfacher. An diese Grenzen ist auch das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg gestoßen, das für die Enquete-Kommission Daten zur Kassenstatistik geliefert hat.


Entsprechend schwierig ist es auch, die letzte Gemeindegebietsreform bewerten zu wollen: Die Zeit bleibt nicht stehen. Große Veränderungen für die Kreise, Gemeinden und Ämter gab es nach den Reformen der Agenda 2010. Neue Formen der Aufgabenwahrnehmung sind hinzu gekommen und nicht zuletzt die Doppik hat in den Kommunen eine ganz neue Buchführung erforderlich gemacht.
Wird ein Kreis Optionskommune, hat dies wesentlichen Einfluß auf seinen Personalbestand in der Verwaltung. Konjunkturzyklen mit ihren Auswirkungen auf die Finanzausstattung pflegen sich auch nicht linear und vorhersehbar zu verhalten – von einer Krise, wie wir sie 2008 und folgende erlebt haben, mal ganz abgesehen. Hieraus objektivierbare Erkenntnisse für ganz Brandenburg ableiten zu wollen erscheint mir ein Ding der Unmöglichkeit. Wahrscheinlich werden wir nie erfahren, ob die Reform 2003 eine Fusionsrendite erbracht hat.

Nach mehr als einem Jahr intensiver Arbeit haben aber wahrscheinlich alle Parteien festgestellt, dass es so, wie es ist, nicht bleiben kann. Wer vor einem Jahr noch Zweifel hatte, ob überhaupt Reformbedarf besteht, wird dies jetzt höchstwahrscheinlich mit Ja beantworten. Der Druck durch die demografische Entwicklung und den zu erwartenden Rückgang der Einnahmen lässt daran keinen Zweifel. Auch die Ansprüche der BürgerInnen an ihre Verwaltung ändern sich. Die Zeit des Untertanen, der sich geduldig in eine Schlange auf dem Amt einreiht und demütig darauf wartet, sein Anliegen vortragen zu können, ist lange vorbei. Die Flexibilität, die die BrandenburgerInnen an den Tag legen müssen, erwarten sie auch von ihrer Verwaltung.

Jetzt müssen wir also mit der Diskussion über tragfähige Zukunftsmodelle für Brandenburgs Kommunal- und Verwaltungsstrukturen beginnen und weitreichende politische Schlussfolgerungen ziehen. An dieser Stelle kommt es dann auch wieder auf politische Grundsätze und Ansichten an.

Meine Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen, legt Wert auf die Schaffung längerfristig stabiler Verwaltungsstrukturen, die nicht im Zehnjahresrhythmus geändert werden müssen, die aber auch ausreichend flexibel sind. Zentral für uns ist zudem eine deutliche Stärkung direkter und indirekter demokratischer Mitwirkungsmöglichkeiten.

Meine Damen und Herren, jetzt wird es also spannend. So langsam müssen die Karten auf den Tisch. Wir BündnisGrünen sind in die Vorhand gegangen. Mit dem von uns in Auftrag gegebenen „Gutachten zur Reform der Landes- und Kommunalverwaltung Brandenburg“, erstellt vom Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer, haben wir die Debatte nicht nur bereichert, sondern daraus abgeleitet auch konkrete Vorschläge auf den Tisch gelegt.

Sieben Leitthemen, über die wir uns unterhalten müssen, stehen für mich in den nächsten Monaten im Mittelpunkt:
Erstens die Frage der Funktionalreform: Welche Aufgaben sollen wo erledigt werden? Auf welche Aufgaben können wir evtl. verzichten? Welche Bereiche müssen ggf. gestärkt werden?
Zweitens müssen wir uns auf ein zukunftsfähiges Gemeindemodell einigen. Wir Bündnisgrünen schlagen vor, die Ämter zu direkt demokratisch legitimierten Verbandsgemeinden weiter zu entwickeln.
Dabei müssen wir uns drittens auch über Mindestgrößen von Einheitsgemeinden und Verbandsgemeinden in Hinblick auf die zu übertragenden Aufgaben verständigen. Ich halte die Aussage für plausibel, dass gestärkte Gemeinden, die mehr Aufgaben wahrnehmen, eine Mindestanzahl von EinwohnerInnen haben sollten. Die aktuellen Reformbeispiele zeigen, dass diese bei rund 10.000 EinwohnerInnen liegen könnten. Eine solche Zahl darf aber kein Dogma sein.

Aufgrund der disparaten Siedlungsstruktur in Brandenburg müssen viertens flexible Lösungen möglich bleiben. In dünnbesiedelten peripheren Räumen sollte es eine Flächenobergrenze geben, um zu ausgedehnte Gemeindeverbände zu vermeiden. Schon heute befinden sich einige der flächengrößten Einheitsgemeinden Deutschlands in Brandenburg. So hat die Gemeinde Wittstock/ Dosse eine Fläche von fast 420 Quadratkilometer. Diese Obergrenzen sollten wir nicht wesentlich überschreiten.
Eine Orientierung an den Mittelzentren - wie sie die sozialdemokratische SGK nun vorschlägt - schießt wohl übers Ziel hinaus, wenn damit Gemeinden entstehen, die über 1.200 km² groß sind. An dieser Stelle werden die Nachteile einer Vergrößerung, die Raumüberwindungskosten, die Skalenvorteile einer Maßstabsvergrößerung mit Sicherheit übersteigen. Oder, wie es bei einigen Wissenschaftlern so schön heißt: Mit der Größe wachsen auch die „Frustrationskosten“.

Fünftens muss die Frage der Kreiszuschnitte geklärt werden. Das Beispiel Mecklenburg-Vorpommern zeigt, dass riesige Regionalkreise kaum Vorteile aber viele Nachteile mit sich bringen. Ich gehe davon aus, dass sich auch die SPD bald von dieser Option lösen wird und wir an dieser Stelle über moderate Änderungen diskutieren werden. Auch hier sind jüngste Vorschläge durchaus ermutigend.
Sechstens – und das ist mir ganz wichtig: All diese Änderungen ergeben nur einen Sinn, wenn wir Bürgerbeteiligung und Mitbestimmungsrechte ausbauen. Unser Gemeinwesen, unsere Kommunen leben vom Engagement der BürgerInnen. Dort, wo die vielbeschworene Zivilgesellschaft nicht funktioniert, gibt es keine Zukunft und die letzte macht das Licht aus. Neben einer Demokratisierung der Ämter scheint mir das der entscheidende Punkt zu sein. Zu einer lebendigen Demokratie gehören heute selbstverständlich mehr Beteiligungsmöglichkeiten, mehr Transparenz und bessere Rahmenbedingungen für ehrenamtliches Engagement.

Wenn wir es schaffen, an diesen sechs Punkten zu einer Übereinkunft zu kommen und ein Leitbild zu entwickeln, das auch die Perspektive einer Fusion mit Berlin offen hält, müssen wir siebtens einen Fahrplan zur Umsetzung dieser Maßnahmen aufstellen..


Liebe Kolleginnen und Kollegen,


mit dem Zwischenbericht der Enquete-Kommission 5/2 liegen viele Fakten auf dem Tisch. An einigen Stellen müssen wir noch nacharbeiten – ich denke da an die Frage der Bürgerbeteiligung, die wir bisher nur gestreift haben oder den Aspekt der Schaffung angepasster Verwaltungsangebote wie sie mobile Bürgerbüros darstellen oder die Möglichkeiten des E-Government, mit denen Bürgernähe und Effektivität des Verwaltungshandelns auf allen Ebenen deutlich verbessert werden können.


Ich freue mich auf die weitere Debatte und hoffe, dass wir in vielen Punkten einem Konsens möglichst nahe kommen. Meine Fraktion ist dazu bereit.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.