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Ursula Nonnemacher spricht zum Familien- und Kinderpolitischen Programm

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- Es gilt das gesprochene Wort! -

Ein afrikanisches Sprichwort sagt „Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen." In Brandenburg wurden die Politikfelder von sieben Ministerien sowie das Landesjugendamt und die Kommunen miteinander vernetzt, um verlässliche und stabile Rahmenbedingungen für ein Leben mit Kindern zu entwickeln und Brandenburg zur familienfreundlichsten Region in Europa zu machen.

Allen Kindern soll nach dem Leitbild des „Vorsorgenden Sozialstaats" die Teilhabe an der Gesellschaft mit gleichen Chancen ermöglicht werden. Das Programm für Familien- und Kinderfreundlichkeit „Die Brandenburger Entscheidung: Familien und Kinder haben Vorrang!" aus dem Jahr 2005 wurde neu gebündelt und mit Maßnahmepaketen für den sozialen Zusammenhalt versehen. Weiterbildungsangebote für die Familienbildung stehen neben der Förderung von Ganztagsangeboten und familienbewusster Personalpolitik in Unternehmen.

Das Programm reflektiert erneut die demografische Entwicklung im Land und die soziale Lage vieler Kinder. Dass in Brandenburg weiterhin jedes 4. Kind als armutsgefährdet gilt und 25 % der Kinder unter 7 Jahren Sozialgeld beziehen, ist ein absolut bedrückender Befund und lässt an der Wirksamkeit solcher Programme Zweifel aufkommen.

Das Familien- und Kinderpolitische Programm verarbeitet Erkenntnisse aus dem Lebenslagensbericht zur Armutsbekämpfung und aus Berichten über die Situation Alleinerziehender und Zugewanderter. Dass Armut nicht nur als ein Mangel an Einkommen, sondern auch als Mangel an Teilhabe und Chancen begriffen wird und Bildungsaspekte stärker in den Vordergrund gerückt werden, begrüßen wir sehr.

Vom Programm profitieren sollen besonders alleinerziehende Mütter und Väter, Familien mit mehreren Kindern und Familien mit Migrationshintergrund sowie pflegende Angehörige.

Das Maßnahmenpaket erliegt dann aber wieder der Versuchung, alle möglichen bestehenden Infrastrukturprogramme aufzulisten. Ob Lärmschutz an Hauptverkehrsstraßen, Radwegebau, Stadtumbauprogramme oder die Förderung der integrierten ländlichen Entwicklung - diese Maßnahmen kommen der gesamten Bevölkerung zugute und sind nicht spezifisch für Familienförderung. Wenn die Förderung der nachhaltigen Stadtentwicklung aus EFRE Mitteln in Höhe von 115 Millionen Euro für die aktuelle EU-Förderperiode auftaucht, so droht das Maßnahmenpaket in Beliebigkeit zu versacken.

Ein weiteres, auch in anderen sozialpolitischen Maßnahmepaketen des Landes Brandenburg häufiger anzutreffendes Phänomen ist, dass die beschriebenen Maßnahmen bei Veröffentlichung schon ausgelaufen sind. Dies trifft zum Beispiel auf das von mir sehr geschätzte audit berufundfamilie zu, welches die familienfreundliche Unternehmenskultur in kleinen und mittleren Betrieben fördern soll, aber im März 2011 leider ausgelaufen ist.

Im Programmteil II geht es um Verbesserung von Bildungschancen der kommenden Generation. Zum Schülerbafög sage ich jetzt lieber gar nichts, wohl aber zur sprachlichen Bildung. Dieser Bereich ist fundamental förderungswürdig! Über die Sprache wird Bildung erst möglich! Obwohl frühe und integrierte Sprachförderung und Sprachstandsfeststellungen seit 2006 finanziert werden, müssen wir feststellen, - ich verweise hier auf die „Evaluation bestehender Instrumente und Vorschriften zur Kindergesundheit und des Kinderschutzes", (siehe S. 18), - dass es eine Zunahme von Sprach- und Sprechstörungen gibt und vermehrt logopädischer Förderbedarfs besteht. Gerade Kinder im Alter von 2 1/2 bis 4 1/2 Jahren weisen die häufigsten Befunde auf. Hier muss nachgebessert werden, sonst geht das Programm an der Realität vorbei!

Um Brandenburg zu einen familien- und kinderfreundlichen Land zu machen, finden sich im Programm insgesamt viele gute Maßnahmen. Die Leitbildorientierung am vorsorgenden Sozialstaat und die Formulierung der zentralen Aufgaben 1. Gesundes Aufwachsen 2. Gute Bildung 3. Qualifizierte Ausbildung findet unseren ausdrücklichen Beifall.

Trotzdem befällt mich manchmal leichte Trauer. Familie ist da, wo Kinder leben. Dass in den letzten 10 Jahren die Anzahl der Familien um ein Drittel rückläufig war, ist ein alarmierender Befund. Wenn in 224.400 brandenburger Familien 750.000 Menschen leben, so ist das weniger als ein Drittel der Bevölkerung. Trotz vieler schöner Lyrik vom familienfreundlichsten Land in Europa und der familienfreundlichsten Stadt und dem familienfreundlichsten Landkreis droht der Familie die Marginalisierung. Dagegen haben bisher die schönsten Programme nichts ausrichten können.