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Ursula Nonnemacher spricht zum Einzelplan 07 des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Schülerinnen und Schüler!

Er ist der Leuchtturm rot-roter Arbeitsmarktpolitik und ein Renommierprojekt von hohem Symbolwert: der öffentliche Beschäftigungssektor, kurz: ÖBS. So war es auch klar, dass uns die rot-rote Koalition in Brandenburg
analog dem Berliner Vorbild ein Beschäftigungsprogramm im gemeinwohlorientierten Bereich bescheren würde. Von den im Wahlprogramm der Linken geforderten 15 000 Stellen haben 8 000 öffentlich geförderte Beschäftigungsverhältnisse, die bis 2014 schrittweise geschaffen werden sollen, Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden. Wir müssen halt ab und zu mal daran erinnern, dass die Wahlversprechen doch ganz andere waren.

(Frau Mächtig [DIE LINKE]: Das ist die Rolle der Opposition! - Frau Kaiser [DIE LINKE]: Das gilt für alle!)

Die beiläufige Formulierung „unter Nutzung der bestehenden Arbeitsmarktförderinstrumente“ führt uns gleich zum Kern der Problematik. Einerseits gingen die Interpretationen darüber, ob das noch bis Ende 2012 laufende Programm Kommunal-Kombi auf die 8 000 ÖBS-Stellen angerechnet werden soll, deutlich auseinander - je nachdem, ob der Blick aus dem Winkel der Sozialdemokratie oder der Linken erfolgte. Ein Blick in den vorliegenden Haushalt schafft Klarheit. In den Erläuterungen heißt es:

„Die Finanzierung dient dem schrittweisen Aufbau von bis zu 8 000 geförderten Beschäftigungsverhältnissen im gemeinwohlorientierten Bereich unter Berücksichtigung der im Bundesprogramm Kommunal-Kombi geschaffenen
Beschäftigungsverhältnisse.“

Da waren es von 15 000 Stellen noch 4 000. Zum anderen deutet „Nutzung der bestehenden Arbeitsmarktförderprogramme“ natürlich die größte Achillesferse des Brandenburger ÖBS an. Er findet nur statt, wenn die Kofinanzierung durch die einst von einem sozialdemokratischen Arbeitsminister Müntefering auf den Weg gebrachten Zuschussprogramme für Langzeitarbeitslose weiter gesichert wäre. Das ist jedoch nicht der Fall.

Die Umverteilung der Mittel für den Beschäftigungszuschuss nach § 16 e SGB II, dem Bundesprogramm „JobPerspektive“, durch das Haus von der Leyen spricht da eine andere Sprache. Mit der am 23.12.2009 im Bundesanzeiger veröffentlichten Eingliederungsmittelverordnung 2010 wurden die Finanzmittel für die „JobPerspektive“ nach einem neuen Schlüssel verteilt und sind nun im normalen Haushalt der Jobcenter integriert.

Der ÖBS wird aber - wir blicken nach Berlin - hauptsächlich über den Beschäftigungszuschuss und zu einem geringeren Teil über das Bundesprogramm Kommunal-Kombi finanziert. Von den 2009 bundesweit mit dem Programm „JobPerspektive“ geförderten Stellen entfielen 5 362 auf Berlin. Durch die Umverteilung der Mittel ist eine Ausweitung des ÖBS in Berlin illusorisch geworden, selbst das bestehende Niveau dürfte nicht
zu halten sein. Das Land müsste seinen ÖBS in größerem Umfang selbst finanzieren, was nicht möglich ist. Ein angedachtes Umverteilen von Geld zulasten der Qualifizierung und Förderung junger Arbeitsloser geht auch nicht. Das Vorzeigeprojekt ÖBS verschlingt in Berlin mehr als die Hälfte desGeldes für geförderte Beschäftigung und geht offensichtlich zulasten der Ausbildungsförderung.

Meine Damen und Herren! Der ÖBS ist ein sehr teures Instrument von zweifelhafter Wirksamkeit. Jede in Berlin mit dem ÖBS geförderte Stelle kostet den Steuerzahler 23 860 Euro, wenn sie über den Beschäftigungszuschuss gefördert wird, und 21 100 Euro, wenn sie über den Kommunal-Kombi finanziert wird. Trotz dieser horrenden Summen erhält immer noch knapp die Hälfte der öffentlich Beschäftigten Transferleistungen. Sie sind Aufstocker. Ein großer Teil der ÖBS-Beschäftigten verbleibt also immer noch im SGB-II-Bezug. Das ist ernst.

Der ÖBS kostete in Berlin im Jahre 2009 178 Millionen Euro für ca. 7 500 Menschen. Nicht nur Berlins Finanzsenator Nußbaum äußerte an dem Projekt massive Kritik: zu teuer, in seiner Wirksamkeit fragwürdig, von Vorteil nur für einen Bruchteil der Langzeitarbeitslosen und ohne strukturelle Effekte auf den Arbeitsmarkt. - Auch in der Berliner SPD-Fraktion hält sich die Begeisterung inzwischen in sehr engen Grenzen, und Absetzbewegungen sind unverkennbar.

Der Kommunal-Kombi, ein Beschäftigungsprogramm für Langzeitarbeitslose, das seinerzeit von Bundesminister Müntefering mit der Hoffnung verbreitet wurde, 100 000 Jobs schaffen zu können, hat diese Erwartung in keiner Weise erfüllt. Bundesweit wurden nur 15 825 Langzeitarbeitslose nach diesem Modell eingestellt. Die Akzeptanz des Programms im Westen der Republik war gleich null. Auch in Brandenburg wurde die geplante Zahl von 7 500 Stellen nicht ausgeschöpft. Es konnten lediglich 4 147 Stellen besetzt werden.

Die Probleme des Programms - Herr Görke sprach sie in seiner Zwischenfrage an -, nämlich die Kofinanzierung durch die klammen Kommunen und überhaupt Beschäftigungsfelder zusätzlicher Arbeit ohne Verdrängungseffekt auf dem regulären Arbeitsmarkt zu finden und zu definieren, sind strukturell allen Arbeitsmarktprogrammen gemein.

Wenn im Koalitionsvertrag steht: „Die Koalition strebt an, bis 2014 unter Nutzung der Bundesmittel 8 000 öffentlich geförderte Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen“, so ist doch allen klar, dass schon das finanziell besser ausgestattete Bundesprogramm Kommunal-Kombi nur unzureichend angenommen wurde. Es konnte Ihrer Aufmerksamkeit während der Koalitionsverhandlungen auch nicht entgangen sein, dass eine schwarz-gelbe Bundesregierung in Berlin wohl kaum darauf wartet, den ÖBS in Berlin und Brandenburg üppig zu finanzieren. Sie betreiben hier reine Symbolpolitik und setzen darüber hinaus falsche Signale.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU - Zuruf von der Fraktion DIE LINKE)

Wo bleibt das Signal, dass das oberste Ziel von Arbeitsmarktpolitik die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu sein hat, so wie wir es in unseren Vorschlägen eines ökologisch nachhaltigen Umbaus der Wirtschaft, den Green New Deal, vorgelegt haben?

Wo bleibt das Signal,

(Zuruf der Abgeordneten Wöllert [DIE LINKE])

dass die Integration in den ersten Arbeitsmarkt das Hauptanliegen von Arbeitsmarktpolitik zu sein hat? Und wo bleibt das Signal zur Qualifizierungsoffensive auf einem Arbeitsmarkt, auf dem sich sowohl Arbeitskräfte- als auch Fachkräftemangel abzuzeichnen beginnt und der gerade deshalb auch schon Chancen für Ältere und Arbeitslose bietet?

Wenn Ihnen selbst von der ver.di-Vorsitzenden Frau Stumpenhusen vorgehalten wird,

(Frau Lehmann [SPD]: Das hat sie so nicht gesagt!)

dass der öffentliche Beschäftigungssektor bisher noch nie als Brücke in den ersten Arbeitsmarkt funktioniert hat und allenfalls vorher gestrichene Arbeitsplätze durch hochsubventionierte ersetzt, so stehen Sie da im politischen Aus, bevor überhaupt eine einzige zusätzliche Stelle nach dem Programm geschaffen worden ist.

Gemeinsinn und Erneuerung, nein, diesem Anfang, meine Damen und Herren, wohnt kein Zauber inne. Ich möchte anmerken, der einzige, der gestern für mich wirklich glaubwürdig vermitteln konnte, dass dieses rot-rote Projekt Inhalte transportiert und Aufbruch verschaffen will, war Herr Krause, der in einer sehr persönlichen Rede gesagt hat, er freue sich, er finde, er habe gute Arbeit geleistet. Das hat er auch. Ich gratuliere Ihnen zu Ihrem Erfolg.

(Beifall der Abgeordneten Kaiser [DIE LINKE])

Die Mittel für die Jugendlichen hochzusetzen, das war prima. Aber sonst ist das doch hier keine Aufbruchstimmung. Sie klatschen ja nicht einmal bei Ihren eigenen Redebeiträgen.

(Beifall GRÜNE/B90, CDU und FDP)

Nein, wir Grünen sind nicht gegen Programme für Langzeitarbeitslose, wir fordern sogar einen sozialen Arbeitsmarkt, ohne das Ziel, auch Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, aufzugeben. Den hier betriebenen Etikettenschwindel mit Umwidmung anderer arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen, ohne Schaffung zukunftsfähiger Jobs und in dem Wissen, dass die Bundesmittel eben nicht fließen werden, wollen wir nicht mitmachen. Wir haben die 1,44 Millionen Euro aus dem Haushaltsansatz „Programm für öffentlich geförderte Beschäftigung“ in unserem Änderungsantrag gestrichen. Für Maßnahmen zur Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen können sie aber gerne Verwendung finden.

(Beifall GRÜNE/B90 und der Abgeordneten Blechinger [CDU])

Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, Ihr arbeitsmarktpolitischer Tiger ÖBS wird vermutlich bald lautlos vors Bett schweben, und er wird dort neben dem bildungspolitischen Tiger Schüler-BAföG seine letzte wohlverdiente Ruhestätte finden.

(Beifall GRÜNE/B90, CDU und FDP)

In einer sehr instruktiven Stellungnahme des DGB, Bezirk Berlin-Brandenburg - die haben die Fusion schon geschafft - zur öffentlich geförderten Beschäftigung wird übrigens noch auf ein weiteres Problem hingewiesen. Ich zitiere aus der Stellungnahme: „Und nicht zuletzt ist der ÖBS für Beschäftigungsträger ein Beschäftigungsfeld, das auch zur Sicherung der eigenen Existenz, zur Finanzierung der Stammbelegschaft genutzt wird, was unter Einschränkung zulasten der ÖBS-Beschäftigten und der Ziele des ÖBS geht.“ Das ist ein ernstes Problem. Das bedeutet im Klartext: Wir müssen auch ein Auge darauf haben, dass Beschäftigungsprogramme für die Ärmsten dieser Gesellschaft nicht zur Arbeitsbeschaffung für die Träger dieser Programme werden.

(Beifall GRÜNE/B90 und vereinzelt CDU)

In Verbindung mit der sogenannten Maserati-Affäre und einzelnen Unregelmäßigkeiten bei freien Trägern und Sozialvereinen

(Zuruf des Abgeordneten Petke [CDU])

- das ist Ihre Interpretation, Herr Petke, die teile ich nicht unbedingt - fordern BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Minister eindringlich auf, den angekündigten Ehrenkodex in Absprache mit den Wohlfahrtsverbänden schnell zu erarbeiten. Dass wir uns nicht nur die Arbeitsmarktprogramme, vielleicht die Träger der Förderprogramme, bestimmt aber die Abrechnung der Maßnahmen genau ansehen müssen, beweist leider sehr eindrücklich die LASA.

(Frau Lehmann [SPD]: Das hat nichts mit dem Träger zu tun!)

Zeitgleich mit den angelaufenen Haushaltsberatungen erschüttert das Daten- und Abrechnungsdebakel der Landesagentur für Struktur und Arbeit das Land. Über die Probleme der LASA werden wir an anderer Stelle noch reden; es liegt ein Antrag vor. Ein entsprechender Hinweis ist aber auch in der Haushaltsdebatte durchaus am Platz, da dem Land durch die Vorkommnisse finanzieller Schaden entsteht und möglicherweise noch Ausfälle in Millionenhöhe drohen. Auch wenn genauere Ausfallzahlen selbstverständlich noch nicht vorliegen können, so sprach der Minister von Zinsausfällen für 2009 in Größenordnungen von 430 000 Euro. Hinzu kommen 110 000 Euro für IT-Beratungen, 30 000 Euro für Wirtschaftsprüfungen, 42 000 Euro für angefallene und ausgezahlte Überstunden der Mitarbeiter, nochmals 90 000 Euro zur Überprüfung des Smart-LASASystems. Sie sehen, meine Damen und Herren, diese Kosten summieren sich leicht auf Hunderttausende und sind durchaus haushaltsrelevant. Sollte sich im Laufe des Jahres herausstellen, dass Brandenburg bestimmte Zahlungen nicht in geforderter Qualität belegen
kann, würden uns diese Kosten in Höhe von bis zu 12 Millionen Euro nicht erstattet werden.

Ich möchte zum Ende noch kurz auf die Bereiche Behindertenpolitik und Frauenpolitik eingehen. Die schon länger diskutierte Novellierung des Brandenburgischen Behindertengleichstellungsgesetzes steht bevor. Der Landesbehindertenrat hat im Vorfeld schon wertvolle Arbeit geleistet. Der neue Landesbehindertenbeauftragte Jürgen Dusel wird dieser Tage seine verantwortungsvolle Tätigkeit aufnehmen. Wir gratulieren ihm von dieser Stelle aus noch einmal zur Wahl.

(Beifall GRÜNE/B90, FDP und SPD)

Als bedauerlich sehen wir an, dass die vom Landesbehindertenrat angemahnte Überprüfung der Ansiedlung des Beauftragen beim Sozialminister nicht kritisch überprüft wurde. Die für den Sommer angesetzten fünf behindertenpolitischen Regionalkonferenzen begrüßen wir außerordentlich und hoffen, dass die Vorschläge der Betroffenen auch gehört werden. Die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen entscheidet sich immer vor Ort im Alltagsleben. Wir mahnen an, dass die notwendigen Verbesserungen zur Schaffung von Barrierefreiheit nicht wieder auf dem Altar des Konnexitätsprinzips geopfert werden. Die Regierungskoalition hat in ihrem Koalitionsvertrag die konkrete Umsetzung der UN-Konvention im Alltag versprochen. Daran muss sie sich messen lassen. Ausdrücklich erinnert sei noch einmal an den Satz: „Bei Sanierung und Neubau von öffentlichen Gebäuden soll Barrierefreiheit durchgesetzt werden.“

Das werden wir beobachten. Die Erarbeitung des Gleichstellungspolitischen Rahmenprogramms begrüßen wir sehr. Die Arbeit des Frauenministeriums ist durchaus positiv zu bewerten. Die zügige Besetzung des Postens der Gleichstellungsbeauftragten und die Arbeit von Frau Dr. Haase werden von uns geschätzt.

Da in der restlichen Landesregierung das Bewusstsein für die Querschnittsaufgabe Genderpolitik noch etwas unterentwickelt ist, verbinden wir mit dem Gleichstellungspolitischen Handlungsprogramm gewisse Hoffnungen.

Die Grünen haben zum Einzelplan 07 noch einen weiteren Änderungsantrag gestellt. Sowohl die Kollegin Wöllert als auch Frau Lehmann haben darauf Bezug genommen. Wir möchten, dass die Zuschüsse für Frauenhäuser um 300 000 Euro erhöht werden, die an die Kreise weiterverteilt werden, um daraus die sozialtherapeutische Arbeit für im Frauenhaus lebende und von Gewalt betroffene Kinder finanzieren zu können. Sie haben erklärt, die Kosten müssten woanders angesiedelt werden. Wir sind der Meinung, dass auch da Hilfe aus einer Hand die richtige Antwort ist. Diese Kinder leben mit in den Frauenhäusern, und sie müssten auch dort betreut und therapiert werden. Aber immerhin freuen wir uns, dass unser Anliegen doch auf Interesse und offene Ohren stößt. Vielleicht können wir demnächst da noch einmal zusammenkommen.

Ich bin am Ende meiner Rede. Die Grünen sind bisher ja viel gelobt worden. Das war schon fast rufschädigend.

(Holzschuher [SPD]: Nicht nur! - Weitere Zurufe)

Ich glaube, dass sich das inzwischen in Grenzen hält.

(Holzschuher [SPD]: Nicht übermütig werden!)

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall GRÜNE/B90)