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Ursula Nonnemacher spricht zum Antrag unserer Fraktion „Flüchtlinge und Asylsuchende nicht am Stadtrand isolieren, sondern in unsere Kommunen integrieren“

>> Zum Antrag unserer Fraktion

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher! Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich im April 2011 den Antrag der Bündnisgrünen-Fraktion „Eine menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern im ganzen Land Brandenburg sicherstellen“ vorgestellt habe. Presseberichte über abseits am Waldesrand liegende marode Unterkünfte, von der Decke fallender Putz sowie eine Dokumentation der Flüchtlingsräte mit dem Titel „Ausgelagert - zur Unterbringung von Flüchtlingen in Deutschland“ hatten uns bewogen, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Viele der besonders in der Kritik stehenden lagerähnlichen Gemeinschaftsunterkünfte waren der restriktiven Asylpolitik der 90er-Jahre geschuldet. Isolation und Ausgrenzung statt Willkommen und Integration. Wir forderten damals die Mindeststandards für den Betrieb von Gemeinschaftsunterkünften und die soziale Betreuung dahin gehend zu überarbeiten, dass die Unterbringung in Wohnungen oder in abzutrennenden Wohneinheiten Gemeinschaftsunterkünften vorzuziehen ist, dass die Unterbringung zentrumsnah und die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr erfolgt, der Zugang zur sozialen Infrastruktur gewährleistet sein muss und der Schlüssel für die soziale Betreuung deutlich verbessert wird.

Diese Forderungen, meine Damen und Herren, sind nach wie vor hochaktuell, und die Umsetzung der Forderungen steht weiterhin aus. Unser Antrag wurde in Form eines ähnlich gelagerten Entschließungsantrages aufgenommen, was an sich nicht schlecht ist, denn wir wollen in der Sache weiterkommen. Ihr heutiger Entschließungsantrag, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, ist leider nicht sonderlich ambitioniert; da hatten Sie zur Abwehr von Grünen-Anträgen in der Vergangenheit schon bessere Entschließungsanträge gebracht.

(Beifall B90/GRÜNE)

Die Frage ist nur: Sind wir in der Sache weitergekommen? Im Juni 2012 hat der Landtag die sehr bemerkenswerte Drucksache 5/5420 zur Verbesserung der Lebenssituation von Flüchtlingen und Asylbewerbern mit einer breiten Mehrheit verabschiedet. Darin wurde die Erarbeitung eines Unterbringungskonzeptes gemeinsam mit den Kommunen erbeten und wurden sehr konkrete Vorgaben bezüglich baulicher Voraussetzungen, Verweildauer in Gemeinschaftsunterkünften, Bedarfe für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge bis hin zur Sicherung von Traumaberatungsstellen formuliert.

Ein weiteres Jahr später, nämlich Ende August 2013, mussten wir das Scheitern der Verhandlungen zwischen dem Sozialministerium und den Kommunen zur Kenntnis nehmen. Ein Unterbringungskonzept konnte nicht auf den Weg gebracht werden, und eine Novellierung des Landesaufnahmegesetzes, das derzeit noch Fehlanreize setzt und die Wohnungsunterbringung von Flüchtlingen gerade nicht fördert, wurde auf 2015 vertagt.

Die Debatte wird immer vor dem Hintergrund der steigenden Flüchtlingszahlen geführt. Ich erinnere an Folgendes: In den 90er-Jahren lebten etwa 32 000 Asylsuchende in Brandenburg in Heimen; im Jahre 2007 hatten wir mit 570 Erstanträgen einen Tiefstand erreicht. 2013 wurden 3 305 Personen registriert; die aktuelle Prognose liegt bei 6 100 Menschen für 2014. Obwohl die Zahlen bezogen auf eine Wohnbevölkerung von 2,5 Millionen zeigen, dass Negativmetaphern von der Asylantenflut absolut unangebracht sind, so bereiten doch die Zunahme und vor allem die Unsicherheit der Prognosen den Verantwortlichen in Land und Kommunen Schwierigkeiten. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat die Prognosen in diesem Jahr schon fünfmal korrigieren müssen und rechnet jetzt deutschlandweit mit 200 000 Asylanträgen.

Dies schlägt sich erst einmal in der Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt nieder. Dort herrscht bedrückende Enge durch das Aufstellen von Containern, Notbetten stehen in der Turnhalle. Durch Erweiterung um ein ehemaliges Jugendheim und die Oderland-Kasernen in Frankfurt (Oder) konnte die Kapazität auf 1 600 Plätze erweitert werden, die aber schon zum 31. Oktober nahezu ausgeschöpft waren. Weitere Zusatzstandorte für die Erstaufnahme sind in Frankfurt, Schwielowsee und Doberlug-Kirchhain geplant und im Entstehen. In den Kommunen wurden in den letzten Monaten immerhin 2 320 Plätze neu geschaffen, leider etwa nur ein Viertel in Wohnungen. Bei den geschilderten Schwierigkeiten in der Unterbringung besteht die große Gefahr, dass die vom Landtag für dringend notwendig erachtete Verbesserung bei den Qualitätsstandards der Unterbringung und Betreuung völlig unterzugehen drohen. Positive Ansätze wie etwa die Koppelung der Vergabe von Mitteln aus dem Nachtragshaushalt 2013/14 an einen gesteigerten Standard von 8 m2 Fläche geraten aus dem Blick oder werden konterkariert, da jetzt - zeitlich befristet - die Quadratmeterzahl sogar auf 5 abgesenkt worden ist. Weitere Probleme drohen mit dem Beschluss des DeutschenBundestages vom 6. November 2014 zur Veränderung des Baurechts.

Damit wird es jetzt möglich sein, Asylsuchende in Gewerbegebieten und im Außenbereich unterzubringen. Auch dies ist eine Maßnahme, die aus der Not geboren wurde, aber erhebliches Konfliktpotenzial enthält. Abgesehen von wenigen sinnvollen Anwendungsbereichen droht die Gefahr, dass jetzt in großem Umfang Flüchtlinge gerade wieder abseits von sozialer Infrastruktur und ihren deutschen Mitbürgern in Randlagen untergebracht werden - von Problemen des Emissions- und Gesundheitsschutzes in Gewerbegebieten gar nicht zu reden. Wir müssen sehr aufpassen, dass wir nicht die Fehler der 90er-Jahre wiederholen und integrationsfeindliche Notlösungen an den Start bringen, die sich dann etablieren und uns wiederum jahrzehntelang anhängen. Containersiedlungen, Kasernen und Unterkünfte im Gewerbegebiet dürfen sich nicht verfestigen.

Stattdessen müssten wir uns auch unter schwierigen Bedingungen auf Konzepte verständigen, die ohne Not- und Sammelunterkünfte auskommen und den Menschen erlauben, sich selbst zu versorgen, Sprachkenntnisse zu erwerben und zu arbeiten. Leitlinie muss für uns bleiben, Flüchtlinge dezentral, aber nicht vereinzelt unterzubringen.

(Beifall B90/GRÜNE)

Gerade in Brandenburg haben wir nicht durchgängig einen angespannten Wohnungsmarkt. Der Wohnungsleerstand beträgt in Forst 15,4 %, in Guben 14 %, in Wittenberge 14,7 % und in Lauchhammer 11,6 %. Bei ähnlichem Leerstand gelingt es nur in der Prignitz, eine hundertprozentige Wohnungsunterbringung zu gewährleisten - sie hält nämlich keine Sammelunterkünfte vor. Brandenburg rangiert bezüglich der Wohnungsunterbringungsquote von Flüchtlingen mit etwa 40 % im Ländervergleich ganz unten, schlechter ist nur Baden-Württemberg. Andere vergleichbare Flächenländer haben Ende 2013 Quoten von 70 bis 90 % realisiert.

Die beschlossenen Änderungen im Baurecht dürfen gerade bei uns wirklich nur als Ultima-Ratio-Lösung verstanden werden. Die normalen Instrumente der Bauleitplanung geben genügend Möglichkeiten, Flächen auch im Innenbereich für die Errichtung von Flüchtlingsunterkünften auszuweisen. Der sozialen Einbindung und insbesondere den Bildungsangeboten für die Kinder muss besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die hier Zuflucht suchenden Menschen werden zu einem erheblichen Anteil bei uns bleiben. Sie willkommen zu heißen und zu integrieren sollte uns ein menschliches Anliegen sein.

(Beifall B90/GRÜNE)

Um auch in schwierigen Zeiten überprüfbare Qualitätsstandards und integrationsfördernde Bedingungen bei der Unterbringung nicht aus dem Blick zu verlieren, bitten wir Sie um Zustimmung zu unserem Antrag. - Danke schön

(Beifall B90/GRÜNE)