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Marie Luise von Halem spricht zur Personalsituation in Kindertagesstätten

- Es gilt das gesprochene Wort -

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Eine gute Opposition muss gute Kritik üben. Im vorliegenden Fall gibt es keine gute Kritik gegen den Antrag der Koalitionsparteien, sondern nur eine gute Kritik, die den Antrag befördert. Tatsächlich ist die Verbesserung des Kita-Betreuungsschlüssels und damit die Verbesserung frühkindlicher Bildung eines der wichtigsten Vorhaben bei der Verbesserung von Bildungsqualität in Brandenburg, zumal es von Anfang an klar war, dass es hier - im Gegensatz zur Einstellung von Lehrkräften - tatsächlich um 1.000 ZUSÄTZLICHE Betreuerinnen und Betreuer geht. Allerdings: Stoff für Oppositionskritik gibt es hier auch. Der jetzt geplanten Verbesserung im Betreuungsschlüssel müssen perspektivisch weitere folgen, denn Brandenburg liegt immer noch weit unter dem Bundesdurchschnitt. Zudem bleiben viele Fragen offen:

1. Einstellungspolitik

Bis zum Jahr 2015 werden rund 2.350 (wohl in erster Linie) Erzieherinnen aus dem Berufsleben ausscheiden. In Relation zum Geburtenstand und unter Einbeziehung der geplanten Verbesserung im Personalschlüsssel geht die Landesregierung in Beantwortung einer Kleinen Anfrage unserer Fraktion davon aus, dass bis 2015 rund 2.450 vollzeitbeschäftigte Kräfte neu eingestellt werden müssen. Ein möglicher Mehrbedarf aufgrund der Einführung des Betreuungsanspruches für Kinder im zweiten und dritten Jahr ist hier noch nicht eingerechnet. 2.450 Vollzeitbeschäftigte würden – wenn der jetzige durchschnittliche Beschäftigungsumfang von 72% beibehalten würde - etwa 3.136 Teilzeitkräften entsprechen. Bis 2015! Die Frage ist: Haben wir diese Personen?

Die Antworten:

a) AbsolventInnen: 2008 haben 490 Erzieherinnen und Erzieher die Ausbildung an einer Fachschule erfolgreich beendet, die Absolventenzahl 2009 liegt bei ca. 600. Dazu kommen Absolventen des Fachhochschulstudienganges Bildung und Erziehung in der Kindheit, im Jahr 2008 erstmals 14 Abschlüsse. In den kommenden Jahren ist mit einer deutlichen Steigerung der FachschulabsolventInnen zu rechnen. Zudem soll der Zugang b) auch für andere Personen mit geeigneter Fachausbildung eröffnet werden - unter noch undefinierten Rahmenbedingungen. Und c) macht die Antwort auf unsere Kleine Anfrage deutlich, dass die Landesregierung davon ausgeht, einen Teil des künftigen Mehrbedarfs durch die Ausweitung des Beschäftigungsumfanges zu decken. Inwieweit dazu - insbesondere angesichts des hohen Durchschnittsalters und der körperlich anstrengenden Arbeit - Bereitschaft besteht, ist bislang völlig unklar.

Eine Folge der mangelhaften Einstellungspolitik der letzten Jahre ist 2. die Altersstruktur:

Insgesamt waren in Brandenburg zum 1. März 2009 nur 11% der in Kindertagesstätten tätigen Personen unter 30 Jahre alt. Ein besonders hoher Anteil von Kitapersonal über 50 Jahren ist in den Berlin-fernen Regionen zu verzeichnen: Spitzenreiter ist Ostprignitz-Ruppin mit 46,9%, gefolgt von der Uckermark mit 45,6% und Oberspreewald-Lausitz mit 45,1%. In Potsdam beträgt der Anteil der über 50-Jährigen nur 29,5%.

Hier rächen sich die Mängel in der Einstellungspolitik der vergangenen Jahre. Wie es jetzt gelingen soll, unter hohem Konkurrenzdruck anderer Bundesländer, insbesondere Berlins, das Ganztagsangebote ausbaut und die personelle Ausstattung in den Kitas verbessert, die Attraktivität der Brandenburger Angebote für junge Erzieherinnen und Erzieher zu sichern, bleibt mit vielen Fragezeichen behaftet.

Als 3. Punkt, die Qualität.

Hier hat sich in den letzten Jahren viel verbessert. Anhand der durch das Institut Infans erarbeiteten „Grenzsteine der Entwicklung“ erfolgt die Dokumentation der Entwicklung der Kinder. Für die Erzieherinnen und Erzieher ist das allerdings eine zusätzliche Aufgabe. Die Sprachstandserhebung findet bisher für 5-Jährige statt, die Koalition will sie schon für 3 bis 4 jährige Kinder auf freiwilliger Basis anregen. Ein sinnvoller Schritt: umso früher, desto besser. Wer allerdings Sprache und Ausdruck von Kindern gezielt fördern will, muss Zeit haben, mit ihnen zu reden und ihnen zuzuhören. Insofern ist die beste Sprachförderung eine Erhöhung des Betreuungsschlüssels. In großen Gruppen funktioniert die Ansprache der Kinder meistens nur noch über Kommandos. Das ist das Gegenteil von Sprachförderung.

Die Dokumentation von Entwicklungsständen und die Sprachförderung brauchen Zeit, die in den Betreuungsschlüssel nicht eingerechnet ist. Auch Ausfälle durch Krankheit und Leitungstätigkeiten sind nicht angemessen berücksichtigt. Das bedeutet de facto, dass die tatsächlichen Gruppen, die von einer Erzieherin betreut werden, oft erheblich größer sind als 6 Kinder bis 3 Jahre oder 12 im Alter von 4-6. Wer hohe Qualität in der frühkindlichen Bildung möchte, muss die Zeit für Vor- und Nachbereitung mit in den Personalschlüssel einrechnen.

Jeder, der schon mal kleine Kinder im entsprechenden Alter betreut hat, kann sich unschwer ausmalen, wie schwer individuelle Förderung mit solchen Gruppen ist. Deshalb müssen auf dem Weg weitere Verbesserungsschritte folgen, deshalb brauchen wir den in unserem Änderungsantrag geforderten Stufenplan für mehr Qualität, denn bei der Bildung kommt es auf den Anfang an!

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