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Marie Luise von Halem spricht zum Brandenburgischen Aufarbeitungsbeauftragtengesetz

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir ändern heute ein Gesetz, das vor einem halben Jahr im Landtag verabschiedet worden ist. Als Angehörige einer damals noch nicht im Landtag vertretenen Partei frage ich mich angesichts des jetzt herrschenden großen Konsenses: Warum nicht gleich so? Was hat die damals beteiligten Parteien davon abgehalten, die der Landesbeauftragten jetzt konzedierte Unabhängigkeit sofort ins Gesetz zu schreiben? War es nach der unrühmlichen Episode Jörn Mothes, der dann doch lieber Referatsleiter im Schweriner Kultusministerium wurde, etwa die Angst der beteiligten Parteien, einer noch undefinierten Person zu viel Unabhängigkeit zuzugestehen? Wenn diese Beobachtung zutrifft, was führte dann jetzt dazu, dies Unbehagen zu überwinden?

(Frau Wöllert [DIE LINKE]: Das waren bestimmt die Grünen!)

Oder ist es vielmehr der Druck der öffentlichen Debatte, der die Toleranz erzwingt, die es vor einem halben Jahr noch nicht gab? Aber schauen wir nach vorn! Jetzt gibt es diese Einigkeit. Wir Bündnisgrüne unterstützen selbstverständlich die Anbindung der Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur beim Landtag. Wir unterstützen ihre Unabhängigkeit, ihr Recht, sich in Wahrnehmung ihres Amtes jederzeit öffentlich zu äußern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was erwarten wir eigentlich von der Einrichtung dieses neuen Amtes? Nachdem alle anderen ostdeutschen Bundesländer unmittelbar nach dem Mauerfall Stasibeauftragte berufen haben, tun wir das erst jetzt, zwanzig Jahre danach. Auch ein Brandenburger Weg - nachdem die Hälfte der Zeit, welche die DDR überdauert hat, nach ihremEnde noch einmal vergangen ist.

Was wollen wir jetzt? Natürlich steht die Opferberatung an allererster Stelle. Dass den Opfern über zwei Jahrzehnte hier kein ständiger Ansprechpartner zur Verfügung gestanden hat, wurde als völlig unzureichend wahrgenommen. Viele hätten sich eine bessere Unterstützung in ihren Rehabilitationsverfahren gewünscht. Ein Wunsch, den wir jetzt - spät - erfüllen. Darüber hinaus erwarten wir Beratung der Verwaltung. So könnte beispielsweise für personalführende Stellen des öffentlichen Dienstes eine Handreichung zur Überprüfung von Beschäftigten und Bewerbern auf eine Tätigkeit für das MfS erstellt werden, wie sie unser Nachbarland Sachsen schon seit den 90er Jahren hat. Dann würde es künftig vielleicht nicht versäumt werden, zum Beispiel einen Leiter des Serviceteams Außenwirtschaft bei der ZukunftsAgentur Brandenburg bei seiner Einstellung nach einer Tätigkeit für das MfS zu befragen.

Aber als wichtigste der in § 2 des Brandenburgischen Aufarbeitungsbeauftragtengesetzes beschriebenen Aufgaben erscheint mir die Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Wirkungsweise diktatorischer Herrschaftsformen in enger Zusammenarbeit mit den für politische Bildung zuständigen Stellen. Hier geht es um Erwachsenenbildung, aber auch um das politische Bewusstsein unserer Kinder.

Christoph Schlingensief sagte kürzlich in einem Interview, in dem er zu seinen Projekten im afrikanischen Burkina Faso und zu seinen Wünschen für 2010 befragt wurde: „Politisch wünsche ich mir, dass wir Deutschen allmählich
kapieren, welch einen riesigen Schatz wir mit unserem Demokratiemodell haben. Dieser Schatz benötigt unser Engagement. Lieber Klappe auf als Stimme weg.“

Das wünsche ich mir für unsere Kinder. Sie müssen lernen, dass es sich lohnt, die Klappe aufzumachen, und dass ein System, das das gewährleistet, auch gepflegt werden muss. Ich wünsche mir von der neuen Stasibeauftragten Unterstützung unserer Schulen bei der Vermittlung von Zeitzeugen und Historikern sowie Beratung für Lehrer bei der Planung von Projekttagen und Unterrichtseinheiten zur DDR-Geschichte. Die Biografien der allermeisten von uns, auch die meine, sind geprägt von innerfamiliären Ost-West-Beziehungen, von der Teilungsgeschichte dieses Landes, ganz egal, ob wir im Osten oder im Westen aufgewachsen sind. Eine bessere Aufarbeitung der SED-Diktatur wird sowohl öffentliche als auch in den Familien geführte Diskussionen neu beflügeln und letztlich zu mehr Verständnis füreinander führen.

In diesem Sinne wünsche ich der neuen Beauftragten Ulrike Poppe Mut und Offenheit für diese Aufgaben.

(Beifall GRÜNE/B90 und vereinzelt FDP)