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Axel Vogel spricht anlässlich der Regierungserklärung von Ministerpräsident Mathias Platzeck

Frau Vizepräsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit dem 6. November 2009 wird nunmehr auch Brandenburg von einer rot-roten Koalition regiert. Dies als historisch zu bejubeln oder zu betrauern ist wahrlich nicht unsere Sache. Denn nach Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin sind derartige Farbkombinationen nun wirklich nichts Neues mehr.

Bei aller Parteikonkurrenz, bei aller Kritik an Zielen und politischer Programmatik der Linken, trotz der Vergangenheit einzelner Politiker und auch trotz möglicher, demnächst zu Tage tretender Gedächtnisverluste Einzelner, die dann böse auf Sie zurückfallen werden, muss man doch redlicherweise feststellen: Die Linke ist nicht erst mit dieser Regierungsbildung Bestandteil des demokratischen Parteiensystems Brandenburgs geworden. Der Umgang mit ihr ist nicht erst seit gestern Teil der demokratischen Normalität für alle Parteien in diesem Lande. Ich habe noch keinen christdemokratischen Landrat oder liberalen Amtsdirektor erlebt, der sich geweigert hätte, sich mit den Stimmen der Linken gegen einen SPD-Kandidaten ins Amt hieven zu lassen.

(Beifall GRÜNE/B90 und DIE LINKE - Zurufe von der SPD)

Auch wenn der Grund für den Wechsel des Koalitionspartners einzig in der von Ihnen, Herr Ministerpräsident, heute an erster Stelle genannten Erwartung der Bürger an die Sicherstellung einer ordentlichen und geschlossenen Arbeit einer stabilen politischen Mehrheit, kurz: der Sicherstellung Ihrer Wiederwahl, gelegen haben mag, möchte ich doch am Anfang unserer Arbeit als Opposition in diesem Landtag eines deutlich sagen: Diese Regierung ist nicht nur eine durch das Ergebnis der Landtagswahlen vom 27. September 2009 formal legitimierte Regierung, sie ist auch eine legitime demokratische Regierung für dieses Land.

(Beifall GRÜNE/B90 und vereinzelt DIE LINKE)

Mit dieser Begründung hätte man doch als Ministerpräsident einfach einmal zu seiner Entscheidung stehen können - Punkt - und nicht wochenlang wie das personifizierte schlechte Gewissen mit immer neuen und immer haltloseren Begründungen und Analogieschlüssen diese Koalitionsbildung meinen verteidigen zu müssen

(Beifall der Abgeordneten von Halem [GRÜNE/B90])

und dabei so nebenher mit einer 20%-Hürde und der Existenz eines Parteizuchtmeisters als neue Kriterien, als Grundvoraussetzung für Regierungsbeteiligungen, ein sehr seltsames Politikverständnis zu offenbaren. Das hätten wir uns lieber erspart. Wir Bündnisgrünen stehen für eine sachliche Bewertung der Ziele dieser Koalition. Wir wenden uns entschieden gegen mythische Überhöhungen und Verteufelungen der jetzigen Landesregierung

(Vereinzelt Beifall Die LINKE - Zurufe bei der Fraktion DIE LINKE)

wir messen die rot-rote Koalition an ihren Inhalten und ihren Taten, nicht an einem vermeintlichen Tabubruch der Brandenburger Sozialdemokratie.

(Jürgens [DIE LINKE]: Da hätten Sie ein Alleinstellungsmerkmal der Opposition! Das wäre schön!)

Sehr geehrte Damen und Herren! Die weltweite Umweltkrise, der Verlust der biologischen Vielfalt und die Ausplünderung der Ressourcen gehen an Brandenburg nicht vorbei und verlangen genauso wie die globale Krise mutige Antworten auch in der Brandenburger Landespolitik. Aber nicht nur die an der klimaschädlichen Braunkohleverstromung ausgerichtete Energiepolitik, auch der Bildungsnotstand, das weithin sinkende Vertrauen in Demokratie und das marktwirtschaftliche System erfordern neue Konzepte. Wir brauchen einen fundamentalen
Politikwechsel. Wir brauchen den Einstieg in eine neue Art des Wirtschaftens und des Konsums. Wir brauchen einen anderen Lebensstil, wenn wir unsere Gesellschaft zukunftsfest machen wollen.

Dies erforderte eine mutige Politik. Dies erforderte die Bereitschaft, neue Wege einzuschlagen, die Bereitschaft, auch inhaltliche Auseinandersetzungen mit der Mehrheitsgesellschaft zu führen und für einen anderen Lebensstil zu werben. Dies erforderte die Bereitschaft, für einen konsequenten Ausbau des Verkehrssystems einzutreten, statt mit Herrn Ramsauer um neue Bundesstraßen zu streiten, sich für Hundert Prozent Ökolandbau statt für die Verheißungen der Gentechnik einzusetzen, mit einer solaren Bauordnung auch noch den letzten Hausbesitzer zum Einsatz der Sonnenenergie zu bringen - um nur wenige Beispiele zu nennen.

Die Lösung der fundamentalen Probleme unserer Zeit duldet keinen Aufschub. Sie anzupacken erforderte Mut und schnelles Handeln. Aber, wer auch immer hierzulande gehofft haben mag, dass jetzt rote Riesenkänguruhs zu großen Sprüngen ansetzen, muss nach der Lektüre des Koalitionsvertrages feststellen, dass er sein Fernglas verkehrt herum gehalten hat: statt muskulöser Hinterbeine Hasenfüße.

(Beifall GRÜNE/B90)

Denn mit der Bildung dieser Regierung ist der Mut der Brandenburger Sozialdemokratie auch schon erschöpft. Rot-Rot ist ihr schon Tabubruch genug. Da kommt nicht mehr viel hinterher. Nur nicht noch mehr anecken, scheint ihre Devise zu sein. Denn diese Regierung ist keine Reformkoalition, sondern setzt fast nahtlos die Politik der schwarz-roten Koalition fort. Ich will Rot-Rot und Schwarz-Rot beileibe nicht in einen Topf werfen. Natürlich gibt es Unterschiede. Die Vereinbarungen zur Residenzpflicht oder zur Verlängerung der Bleiberechtsregelung für Flüchtlinge wären mit der Brandenburger CDU wohl kaum möglich gewesen. Aber zu häufig finden sich die Unterschiede allenfalls in Nuancen. Wenn wir in der Bildungspolitik Unterschiede zur Politik der bisherigen Koalition finden wollen, dann reicht keine Lupe, dann muss man schon das Elektronenmikroskop anwerfen. Dazu wird Frau von Halem weiter ausführen.

Nehmen wir uns den Koalitionsvertrag vor. Zumeist wird an Entscheidungen von Schwarz-Rot „angeknüpft“, „weiterentwickelt“, „fortgeschrieben“, „bestätigt“. In den Einführungssätzen finden sich mitunter hervorragend klingende Lyrik aus dem Lexikon politischer Allgemeinplätze und tolle Zielformulierungen, denen jeder nur zustimmen kann. Aber Lyrik ersetzt keine Inhalte. Wir alle wollen „wirtschaftliche Entwicklung und bessere Lebenschancen“ ermöglichen. Wir alle wollen „weder Menschen noch Regionen zurücklassen“. Dann aber völlige Fehlanzeige, wenn es um die Benennung politischer Instrumente geht, um diese Ziele zu erreichen. Keine Idee dazu, wie man den Ärztemangel im ländlichen Raum beheben will. In den nächsten fünf Jahren will man erst nach Instrumenten suchen. Noch schlimmer ist, dass man in der Wirtschaftspolitik einer weiteren Konzentration das Wort redet und entgegen der erklärten Zielsetzung noch mehr Regionen abhängen wird.

Mutige Forderungen stellt man nur an die Bundespolitik, zum Beispiel zum Atomausstieg, zur Grundsicherung der Kinder, gegen die Privatisierung der Bahn oder zur Tarifvertragsgestaltung für Eisenbahner, aber nicht an sich selbst. Hier findet man Prüfaufträge, wo auch klare Beschlüsse möglich gewesen wären, sei es zum kommunalen Wahlrecht mit 16 oder zum Wassernutzungsentgelt für den Bergbau.

Dass für uns in einer derartigen Koalitionsvereinbarung die Neuausrichtung der gesamten Politik an den Prinzipien von Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit als roter Leitfaden entscheidend gewesen wäre, das ist ja klar. Nachhaltigkeit, Herr Ministerpräsident, ist etwas anderes, als den Erhalt des Seenzugangs für alle Brandenburger einzuklagen. Nachhaltige Entwicklung und Generationengerechtigkeit sind keine Ressortaufgaben der Umweltministerin, an die Sie die Verantwortung delegieren, statt sie als zentrale Aufgabe in der Staatskanzlei anzusiedeln. Eine formale Deklaration reicht uns nicht aus. Immerhin, auf Seite 42 findet man dann noch die Forderung: „Das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung muss in allen Fachpolitiken Berücksichtigung finden.“

Nachdem man alle Fachpolitiken ohne erkennbare Ansätze hierzu auf den vorherigen Seiten formuliert hat, will man sich nun im Jahr 2010 mit dem Handlungsbedarf befassen. Aber die Koalition schafft es ja nicht einmal, sich vorbehaltlos zu einer Fortsetzung der Arbeit des Nachhaltigkeitsbeirates zu bekennen. Sie wollen an der Umsetzung der nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt mitwirken, statt gleich mutig die Erarbeitung einer behördenverbindlichen Strategie der gesamten Landesregierung in den Mittelpunkt ihrer Naturschutzpolitik zu stellen. Mit der Ausgliederung der Landnutzung und der ländlichen Entwicklung aus dem Umweltministerium nehmen Sie der neuen Umweltministerin nicht nur jeden Gestaltungseinfluss auf die wichtigsten Natur- und Landschaftsnutzer, auf Landwirtschaft, Fischerei und Forst, Sie entziehen ihr zugleich den Zugriff auf die finanziellen und personellen Ressourcen, die dieses Haus in den letzten Jahren überhaupt noch am Leben erhalten hat.

(Beifall GRÜNE/B90)

Frau Tack, ich beneide Sie nicht um die Übernahme dieses ausgeweideten Ressorts, aber ich sichere Ihnen jede Unterstützung unserer Fraktion bei der Bewältigung Ihrer schwierigen Aufgabe zu. Wer heute einen Koalitionsvertrag sehen will - das klang hier schon an -, der die Zeichen der Zeit erkannt hat, der die Verbindung von Ökologie und Ökonomie zur fundamentalen Grundlage einer Politik erklärt und diesen roten Faden auch von
Anfang bis Ende durch seinen Koalitionsvertrag zieht, wer rasche Schritte zur ökologischen Modernisierung der Wirtschaft neben einer mutigen Schulpolitik in den Mittelpunkt seines politischen Handelns gestellt sehen möchte, der muss in das Saarland blicken. Es tut mir leid, das sagen zu müssen: Verglichen mit der hiesigen SPD ist die CDU im Saarland geradezu eine revolutionäre Truppe.

(Beifall GRÜNE/B90 und CDU)

Verglichen damit ist Ihr Vertrag ein Dokument der Mutlosigkeit und Reformverweigerung. Aufbruch sieht anders aus.

(Zurufe von der Fraktion DIE LINKE)

Schauen wir zur Energiepolitik, zur Klimapolitik; kurz vor Kopenhagen ja nicht ganz verfehlt. Brandenburg ist nach wie vor das Bundesland mit dem höchsten Pro-Kopf-Ausstoß des Treibhausgases CO2 und wird dies nach diesem Koalitionsvertrag auch bis in die nächste Generation hinein bleiben.

(Bischoff [SPD]: Und Spitzenreiter bei regenerativen Energien!)

Wenn PIK-Chef Schellnhuber nun fordert, dass der CO2-Ausstoß ab sofort pro Jahr um 3 % sinken muss, wenn man nicht ab 2020 in eine weltweite „Kriegswirtschaft“ eintreten will, dann müssten wir in Brandenburg den CO2-Ausstoß bis zum Ende der Legislaturperiode bereits auf 50 Millionen Tonnen und bis 2020 auf 40 Millionen Tonnen gesenkt haben. Sie dagegen wollen bis 2020 den CO2-Ausstoß wieder auf den Stand von 1995 zurückfahren. Das bedeuten Ihre 55 Millionen Tonnen. Das bedeutet Ihre lächerlich niedrige Zielsetzung einer CO2-Reduzierung um 40 % gegenüber 1990. Im Energieteil findet sich kein einziges überprüfbares Teilziel für das Ende der Legislaturperiode. Noch schlimmer - da haben Sie sich geirrt, Frau Wanka -, die Prozentsätze sind vielleicht dieselben, aber klammheimlich hat man die Jahreszahlen verschoben. Klammheimlich haben Sie die Zielvorgaben der gültigen Energiestrategie 2020 für eine erweiterte CO2-Reduzierung bis 2030 um fünf Jahre nach hinten vertagt. Dabei hatte der von Ihnen als neu angekündigte Ausbau der erneuerbaren Energien sowieso schon keinen Neuigkeitswert. Jetzt fallen Sie sogar noch gegenüber der bereits unter Schwarz-Rot beschlossenen
Energiestrategie 2020 zurück.

(Zuruf von der CDU: Auch noch!)

Auch das gehört zur Wahrheit: Ohne gleichzeitige Beschränkung der Braunkohleverstromung führt der lobenswerte Ausbau der erneuerbaren Energien nicht zu weniger Kohle und CO2, sondern nur zu mehr Strom, und der wird, wie heute auch schon, europaweit verkauft werden.

(Beifall GRÜNE/B90)

Zu behaupten, die SPD habe erfolgreich ihren Braunkohlekurs gegenüber der Linken durchgesetzt, wäre Euphemismus. Es ist noch viel schlimmer. Hieß es im SPD-Wahlprogramm noch, „neue Tagebaue wird es jedoch nur mit dem Einsatz der neuen, CO2-armen Technologie geben“, strebt die Koalition jetzt an, dass neue Braunkohlekraftwerke ab 2020 nur noch bei drastischer Reduktion des CO2-Ausstoßes genehmigt werden. Aber Sie wissen so gut wie ich, dass nie die Frage war, ob angesichts bereits bestehender und weiter wachsender Überkapazitäten im Grundlastbereich neue Braunkohlekraftwerke mit oder ohne CCS ab sofort oder erst ab 2020 gebaut werden sollen, sondern ob mit einem planungsrechtlichen Verbot neuer Tagebaue der Energiewirtschaft die Unausweichlichkeit einer neuen Energiepolitik deutlich gemacht wird. Das Bemerkenswerte daran ist: Die genannte Zielsetzung, die sich im Koalitionsvertrag findet, hat nicht das Geringste mit dem SPD-Wahlprogramm oder dem Programm der Linken zu tun. Man fragt sich also, wessen Handschrift hier in den Koalitionsvertrag hineingekommen ist.

Wenn wir über Klimapolitik reden, dann sage ich auch Folgendes: Die freudige Botschaft des vergangenen Wochenendes war: Frau Merkel muss sich in Kürze einen neuen Klimaflüsterer und unser Ministerpräsident einen neuen Kohlekumpel suchen. Für die Entlassung von Lars Joseffson durch die schwedische Reichsregierung war nicht nur seine Atompolitik ursächlich, nein, die schwedische Wirtschaftsministerin hat ausdrücklich bemängelt, dass Vattenfall die Umstellung auf erneuerbare Energiequellen zu halbherzig betrieben habe und - ich zitiere aus der „SZ“ -: „Vattenfall konzentriert sich außerhalb Schwedens auf fossile Brennstoffe wie Kohle, zum Beispiel in der Lausitz. Auch dafür sei Joseffson verantwortlich“, so die Ministerin. Ich denke, dieser Personalwechsel ist nicht nur eine zeitverzögerte Fernwirkung des von der Linken, den Umweltverbänden und uns gemeinsam betriebenen Volksbegehrens gegen neue Tagebaue für eine neue Energiepolitik. Er eröffnet uns auch Chancen für eine grundsätzliche Umorientierung der Energiepolitik in Brandenburg. Herzlichen Glückwunsch!

(Beifall GRÜNE/B90)

Es ist traurig, aber wahr, wenn die Lausitz vor dem „Verheizen“ gerettet werden soll - „Verheizen“ ist der richtige Begriff, denn zwei Drittel der in der Braunkohle steckenden Primärenergie wird als Abwärme in die Luft und in die Gewässer abgegeben -, dann retten uns eher die Schweden oder eine ambitionierte Klimaschutzpolitik der EU als das Vertrauen auf Änderung in der Landespolitik.

(Beifall GRÜNE/B90)

Wenn nicht der neue Vattenfallchef jetzt aufgrund besserer Einsicht seine Anträge zurückzieht oder gar nicht erst stellt, dann wird - das ist die Realität, Herr Christoffers - die Genehmigung neuer Tagebaue in Ihrer Verantwortung noch vor 2014 unvermeidlich. Ich bin gespannt, wie Sie mit dem Danaergeschenk des Bundes umgehen werden, die Entscheidung über Zulassung oder Verzicht auf eine CO2-Verpressung allein den Ländern zu überlassen. Wir jedenfalls werden unseren Teil dazu beitragen, dass die Entscheidung hierzulande nicht anders ausgeht als in Schleswig-Holstein.

(Beifall GRÜNE/B90)

Wer über Wirtschaftspolitik redet, sollte zunächst einmal die Grundlagen richtig beschreiben. Bei Ihnen heißt es - und es klang auch in Ihrer heutigen Rede wieder so an -: „Brandenburg ist eine Wirtschaftsregion auf industrieller
Grundlage und soll auch in Zukunft ein Industrieland bleiben.“ Ist Ihnen da vielleicht irgendetwas entgangen? Ein rechtzeitiger Blick in den Jahreswirtschaftsbericht 2009 hätte da vielleicht geholfen. Ihm können Sie auf Seite 13 nicht nur entnehmen, dass die Industrieproduktion nur einen untergeordneten Anteil an der brandenburgischen Wertschöpfung ausmacht und damit genauso wie der Besatz mit Industriebetrieben weit unter dem bundesdeutschen und auch ostdeutschen Durchschnitt liegt, sondern es wird auch wörtlich beklagt, dass der geringe Industriebesatz sich auf das gesamte Wirtschaftswachstum im Lande Brandenburg auswirkt. Ich denke, in der Fehldefinition Brandenburgs als Industrieland kommt die klassische sozialdemokratische Verherrlichung der Großindustrie als zentrales Aktionsfeld traditioneller linker Wirtschaftspolitik zum Ausdruck.

(Beifall GRÜNE/B90 und vereinzelt CDU)

Nein, Brandenburg ist unverändert und wird hoffentlich auch auf Dauer ein Land der Klein- und Mittelbetriebe, ergänzt um einige Industriebetriebe, sein, ein Land des Handwerks und des Dienstleistungssektors in einer vielfältigen und damit stabilen Unternehmenslandschaft. Diese zu fördern und zu pflegen sollte die erste Aufgabe Brandenburger Wirtschaftspolitik sein.

(Beifall GRÜNE/B90 und vereinzelt bei der CDU)

In Ihrer Koalitionsvereinbarung findet sich der schöne Satz: „Der im Land betriebene Kurs der Erneuerung aus eigener Kraft ist richtig und soll energisch weitergeführt werden.“ Haben Sie da vielleicht wieder etwas übersehen? Ist es nicht vielmehr so, dass der Landeshaushalt bis heute immer noch fast zur Hälfte aus Mitteln der EU und des Bundes aus dem Solidaritätsbeitrag und dem Länderfinanzausgleich finanziert wird? Gibt es überhaupt irgendein nennenswertes Förderprogramm, das rein aus Landesmitteln und nicht aus der GAK oder den europäischen Fonds finanziert wird? Haben Sie nicht die Komplementärfinanzierung aus EU- und GAK-Mitteln so auf die Spitze getrieben, dass mitunter überhaupt kein Landesanteil mehr aufgebracht werden muss? Ist nicht der gesamte Osten unverändert eine Transferökonomie, die nach Berechnungen der Wirtschaftsforschungsinstitute mit 80 bis 90 Milliarden Euro pro Jahr im Wesentlichen über die Zuflüsse aus den westdeutschen Bundesländern in das Sozialsystem am Leben gehalten wird? Statt hier eine nicht vorhandene eigene Kraft zu beschwören, sollten wir uns lieber Gedanken machen, wofür wir das uns nur noch befristet zufließende Geld einsetzen wollen, um diese eigene Kraft überhaupt erst einmal zu schaffen. Wofür wollen wir angesichts der zum Ende der Legislaturperiode auslaufenden Programme der EU unsere Fördermittel noch einsetzen? Wie sichern wir eine Mehrfachnutzung der
weniger werdenden Mittel?

Mutig wäre es, in der Wirtschaftsförderung jetzt vollständig auf rückzahlbare Zuschüsse umzusteigen. Richtig wäre es, im Ergebnis der Finanzkrise den absoluten Schwerpunkt auf die Sicherstellung der Kreditvergabe an heimische Unternehmen zu legen. Richtig wäre es, einen Ideenwettbewerb der Regionen um die besten Ansiedlungsprojekte zuzulassen. Mutig wäre es, die Fördermittelvergabe zu dezentralisieren. Angesichts der weltweiten Überbeanspruchung der Rohstoffvorräte wäre es zudem wichtig, neben der Einführung von sozialen Anforderungen ressorcenschonende und energieeffiziente Produktionsverfahren zum zentralen Kriterium der Wirtschaftsförderung zu erheben. Dies wäre wirklich überfällig. Denn nur mit dem konsequenten Kurs eines Programms der ökologischen und sozialen Modernisierung lassen sich Arbeitsplätze schaffen und die Auswirkungen des Klimawandels begrenzen.

Stattdessen verbleibt man im Klein-Klein des Stärken-stärken-Konzepts. Dabei sollte jedem in der aktuellen Wirtschaftskrise deutlich geworden sein, dass die einseitige Ausrichtung der Wirtschaftsförderung auf die räumliche Konzentration einzelner Branchen in Wirklichkeit ein Schwächen-schaffen-Konzept gewesen ist. Die Diversifizierung macht Standorte stabil, nicht der Aufbau wirtschaftlicher Monostrukturen. Mit der längst überfälligen Abschaffung der früher bejubelten Branchenschwerpunktorte wird von der Landesregierung nun ein überfälliger Schritt vollzogen, um sofort in die falsche Richtung weiterzumarschieren. In Zukunft sollten die Fördermittel auf weniger Branchen und möglicherweise auch weniger regionale Wachstumskerne konzentriert werden. Damit behalten Sie die Unterteilung des Landes in förderwürdige Wachstumsregionen und abgehängte Regionen bei und verschärfen dies
auch noch. Fast ganz Brandenburg ist ländlicher Raum, aber es ist nicht erkennbar, wo dieser ländliche Raum in dieser Regierung noch irgendwelche Fürsprecher hat. Das ist nicht mutig. Das ist auch keine Reform. Das ist ein weiterer Beitrag zu einer fortgesetzten Entleerung der ländlichen Räume.

(Beifall GRÜNE/B90 und vereinzelt CDU)

Brandenburg soll kein Billiglohnland sein. Bravo! Darüber, dass die SPD in der alten Koalition ihren Beitrag geleistet hat, dass es genauso gekommen ist, wollen wir einmal hinwegsehen.

(Görke [DIE LINKE]: Es sei ihr verziehen! Ab jetzt wird es besser!)

Daher möchte ich das von Ihnen geplante Vergabegesetz und die Forderung nach einem bundesweiten Mindestlohn auch als Schritt in die richtige Richtung sehen. Aber wieso schweigen Sie sich über die Höhe des Mindestlohns aus? An welchen Mindestlohn wollen Sie denn Ihre Vergaberichtlinie knüpfen? 7,50 Euro oder die tarifvertraglich geregelten Mindestöhne? Dann wird es auch weiterhin so sein, dass Wachdienste, die für das Land tätig sind, den Grundlohn von 5 Euro pro Stunde zahlen. Das darf nicht sein.

(Görke [DIE LINKE]: Das ist auch nicht mehr so. Da sind Sie einfach falsch informiert!)

Ich denke, dieser Politik des Sparens auf Kosten Dritter sollte auf jeden Fall ein Riegel vorgeschoben werden.
Wenn man in diesem Programm einen Schwerpunkt sucht, dann wird man ihn im Stellenabbau im öffentlichen Dienst finden. Hier werden Stellenzielzahlen als politische Zahlen vorgegeben: Im Jahr 2014 sollen noch 45 500 Stellen im öffentlichen Dienst des Landes verbleiben. Ob damit die Aufrechterhaltung des Bildungssystems, eine funktionierende Polizei, die Lebensmittelüberwachung, eine funktionierende Umweltverwaltung oder Justiz noch möglich sind, darüber wird kein Wort verloren. Statt zunächst einmal kritisch zu analysieren, welche Aufgaben
der Staat in Zukunft noch wahrnehmen soll, werden politische Zielzahlen dekretiert.

Bereits heute hat das Land Brandenburg die niedrigsten Personalausgaben pro Einwohner, und dies wird sich auch nach der überfälligen Ost-West-Angleichung zum 1. Januar nur unwesentlich ändern. Im allgemeinen Rennen der Länderfinanzminister um den niedrigsten Personaletat sind wir nach einer Aufstellung der Bremer Finanzsenatorin der Kostenführer im Benchmark geworden. Das mag man als Erfolg feiern. Wir sagen auch nicht, dass es keine Einsparmöglichkeiten in den Personalhaushalten mehr geben soll. Die Personalplanung muss berücksichtigen, dass Brandenburg pro Jahr gegenwärtig die Einwohnerschaft einer Kleinstadt verliert. Verwaltungsstrukturen müssen diesem Prozess angepasst werden, aber bitte nicht über politische Zielzahlen, für die es keine Grundlage gibt, sondern in einem aufgabenkritischen Prozess unter Einbeziehung der Betroffenen. Hier wollen wir gern Unterstützung leisten.

(Beifall GRÜNE/B90)

Kommen wir zum scheinbar Positiven. Die Zahl der gemeldeten Erwerbslosen ist in den letzten fünf Jahren um rund 100 000 gesunken. Seltsam nur, dass im gleichen Zeitraum die Zahl der Beschäftigten um nur 20 000 gestiegen ist. Noch seltsamer: In mehreren Kreisen Brandenburgs ist die Erwerbslosenquote massiv zurückgegangen, während die Zahl der Arbeitsplätze genauso massiv gesunken ist. So ist im Landkreis Spree-Neiße die Erwerbslosenquote um 7 % gesunken, während die Zahl der Arbeitsplätze gleichzeitig um 5 000 zurückgegangen ist. Wie erklärt sich dieses Wunder?

Zum einen schlägt der Generationswandel hier schon voll durch. Es scheiden wesentlich mehr Menschen aus dem
Arbeitsleben aus, als Schulabgänger und Hochschulabsolventen nachkommen. Zum anderen wirken sich die langen Jahre der Abwanderung mobiler und besser gebildeter Einwohner aus. Als Drittes ist es der Zuzug im Berliner Umland. Wer dort sein neues Einfamilienhaus bezieht, behält zumeist auch seinen Arbeitsplatz und pendelt täglich nach Berlin. Der Rückgang der erwerbsfähigen Bevölkerung wird im Ergebnis dieses demografischen Wandels auch in den nächsten Jahren unvermeidlich weitergehen und den bereits einsetzenden Fachkräftemangel dramatisch verschärfen. Nachdem in den letzten Jahren jeder neunte Jugendliche, das heißt Zehntausende von jungen Erwachsenen, die Schule ohne Abschluss verlassen hat, muss der Schwerpunkt aktiver Arbeitsmarktpolitik bei deren Nachqualifizierung gesetzt werden und nicht bei der Auflage eines zweiten Arbeitsmarktes, dessen Finanzierung in den Sternen steht.

(Vereinzelt Beifall)

Egal, ob junger Hilfsarbeiter oder älterer Erwerbsloser, wir benötigen eine umfassende Qualifizierungsoffensive, um den zukünftigen Personalbedarf unserer Betriebe decken zu können. Der Fachkräftemangel ist keine Fiktion, sondern wird in dieser Legislaturperiode voll auf die Betriebe durchschlagen. Deshalb: Sparen Sie sich das Geld für den zweiten Arbeitsmarkt. Konzentrieren Sie sich auf Qualifizierungsmaßnahmen. Wenn wir unseren Staatshaushalt jemals in den Griff bekommen wollen, brauchen wir Beschäftigte, die eigenes Geld verdienen und nicht von öffentlichen Mitteln abhängig sind.

(Beifall GRÜNE/B90)

Ich schließe: „Gemeinsinn und Erneuerung“ haben Sie Ihr Programm genannt, viel Lyrik aufgeschrieben, aber wenig neue Inhalte formuliert. Soziale Gerechtigkeit haben Sie als Schwerpunkt Ihrer Politik deklariert; das ist nicht nur für eine rot-rote Regierung, sondern für jede Regierung heutzutage - so sollte man meinen - eine Selbstverständlichkeit.

Wir als Bündnisgrüne sind nicht primär darüber enttäuscht, dass Sie keine klassische grüne Politik machen, dass Sie dem Umwelt- und Naturschutz in Ihrem Programm weniger Platz einräumen als der Ausstattung der freiwilligen Feuerwehren. Ein Mehr an Naturschutzgebieten, neue Artenschutzprogramme oder gar die Abkehr von der Verfolgung der Kormorane und Elstern haben wir von Ihnen auch gar nicht erwartet. Wir sind aber darüber entsetzt, dass Sie für das Fortbestehen unserer Zivilisation entscheidende Themen der nachhaltigen Entwicklung unter „ferner liefen“ dem Umweltkapitel zuordnen, statt Nachhaltigkeit als zentralen Ansatz einer zukunftsfähigen
Politik von der ersten Seite an als zentralen Leitgedanken zu formulieren und als roten Leitfaden durch Ihr gesamtes Programm laufen zu lassen.

(Beifall GRÜNE/B90 und DIE LINKE)

Wir sind enttäuscht darüber, dass die dringend notwendige Erneuerung nicht stattfindet, sondern der Kleinmut wieder einmal gesiegt hat. Wir Bündnisgrünen stecken deswegen nicht auf. Wir werden die Arbeit der neuen Landesregierung kritisch und konstruktiv begleiten. Wir werden Handlungsalternativen aufzeigen, auf Defizite aufmerksam machen und Ansätze unterstützen, die die ökologische Modernisierung des Landes vorantreiben und soziale Teilhabe und Chancengerechtigkeit zum Ziel haben.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Wahl uns Bündnisgrünen in diesen Landtag haben die Wählerinnen und Wähler uns beauftragt, unsere grundlegenden Alternativen zur herrschenden Landespolitik zu entwickeln und vor Ihnen auszubreiten. Damit ist Ihnen zugleich die Chance gegeben, unseren Gedanken und Vorschlägen in den nächsten fünf Jahren nicht nur zuzuhören, sondern das Gehörte auch zu prüfen, abzuwägen und in die Tat umzusetzen. Nutzen Sie diese Chance!

(Beifall GRÜNE/B90, SPD und DIE LINKE sowie der Abgeordneten Frau Prof. Dr. Wanka und Senftleben [CDU])