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Marie Luise von Halem spricht zur Geschäftsordnung des Landtags Brandenburg

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- Es gilt das gesprochene Wort ! -

Zu keinem Thema haben wir ins so vielen Runden diskutiert wie zur Geschäftsordnung des Landtages. Obwohl das Thema – wie man auf neudeutsch sagt – erstmal ziemlich unsexy scheint.

Für mich als Linguistin hat die Geschäftsordnung für unsere parlamentarische Auseinandersetzung eine ähnliche Funktion wie die Grammatik für die Sprache. Sie regelt die demokratischen Abläufe, innerhalb derer wir unsere politischen Ansichten gegeneinander abwägen, Pro & Contra deklinieren, sie unterscheidet Haupt- und Nebensätze und schafft damit letztlich auch klare Machtverhältnisse zwischen den Beteiligten. Gleichzeitig hat sie neben aller Regelungsdichte auch eine ausgesprochen sympathische Seite: den § 100, der Abweichungen nur dann für unzulässig erklärt, wenn mindestens 5 Abgeordnete widersprechen.

Als Vertreterin der kleinsten Oppositionspartei kann ich gleich hinzufügen, dass die jetzt vorliegende Geschäftsordnung nicht für alle gleich erfreulich ist (was auch der Grund dafür ist, dass wir uns bei der Abstimmung enthalten werden). Denn nicht nur sichert sie den Mehrheiten ihr Auskommen, sondern umgekehrt schaffen auch die Mehrheiten sich selbst mit der Geschäftsordnung ihre Bewegungsfreiheiten. Das Ausmaß von Minderheitenrechten wird in der Demokratie leider von den Mehrheiten bestimmt. So war und ist es z.B. für uns
höchst unerfreulich, dass das Präsidium die Sitzordnung im Plenum nur „im Benehmen“ mit den Fraktionen bestimmt – was im konkreten Fall schlicht bedeutet, Mehrheitsverhältnissen zu unterliegen.

Zwei weitere Punkte hätten wir uns anders gewünscht: Wir halten es weiterhin für richtig und politisch geboten, wenn wir schon nur einen Vizepräsidenten bzw. eine Vizepräsidentin haben, diese aus den Reihen der stärksten Oppositionspartei heraus zu wählen. Aber da sorgten die Mehrheiten für ihren eigenen Machterhalt. Auch die Option einer zusätzlichen Vizepräsidentin wurde verworfen – mit dem aus unserer Sicht windigen Argument, das koste zuviel Geld. Wie leicht wäre das zu entkräften gewesen, wo es doch Bereitschaft gab, die Kosten aufzuteilen (zumindest von Seiten der Opposition!). Auch unkonventionelle Lösungen wären denkbar gewesen: wie in Thüringen, wo die Geschäftsordnung nur zwei VizepräsidentInnen vorsieht, de facto aber vier eingesetzt und somit alle Parteien beteiligt wurden. Nein, mit den Hütern der Macht war hier kein Verhandeln.

Ebenso enttäuschend für uns verliefen die Verhandlungen über die Rederechte von Abgeordneten in den Ausschüssen. Gerade für uns kleine Parteien, die wir uns alle Fachbereiche auf wenige Personen verteilen müssen, wäre es ein Plus an Beweglichkeit, zu einzelnen Tagesordnungspunkte auch andere Abgeordneten reden lassen zu dürfen, als die jeweiligen Ausschussmitglieder. Das bedeutet noch lange nicht, die festgelegten Stimmrechte anzutasten. Aber warum soll es nicht möglich sein, Abgeordneten auch in den Ausschüssen grundsätzlich Rederecht zu gewähren, in denen sie weder ordentliches noch stellvertretendes Mitglied sind? Warum muss es jetzt in § 79 heißen: „In Ausschüssen hat das ordentliche Mitglied und nur bei dessen Verhinderung das
stellvertretende Mitglied Rederecht“?, und weitere Mitglieder der entsprechenden Fraktion nur bei Verhinderung der vorher Genannten? - Auf solche Art und Weise auf wohlwollendes Entgegenkommen der Würdenträger
hoffen zu müssen, entspricht mitnichten unserem Verständnis demokratisch gewährter Minderheitenrechte.

Aber wir haben auch Grund zur Freude: Wir Bündnisgrüne haben zur konstituierenden Sitzung die Öffentlichkeit der Ausschussitzungen beantragt. Dass diese jetzt schon in den meisten Fällen umgesetzt und heute, ein halbes
Jahr nach unserer Antragstellung, auch formal besiegelt wird, ist ein großer Gewinn für den parlamentarischen Betrieb in Brandenburg. Und wir konnten beobachten: Die Berichterstattung über die parlamentarischen Abläufe entzerrt sich, da die Journalisten nicht mehr nur zu den Parlamentsdebatten Zugang haben. Gleichzeitig wird klar, dass die Angst vor einem in den Sitzungswochen alltäglichen Massenansturm ein Trugschluss war. Sollte es doch einmal passieren, dass wir zu einem brennenden Thema für eine Ausschussitzung eine Turnhalle anmieten müssen, dann sollten wir uns über ein solches öffentliches Interesse freuen.

Sprache ist lebendig und entwickelt sich weiter. Das passiert im Fluss der Zeit, manchmal, ohne dass die Akteure sich dessen bewusst sind. Die Grammatiken haben parallel eine konservierende Funktion: mit Hinweis auf Paragraphen wird die Entwicklung gebremst, zwischen richtig und falsch eine Trennlinie gezogen.

Das funktioniert so lange, bis sich Mehrheiten finden, die Grammatik dem tatsächlichen Leben und neuen Anforderungen anzupassen. Dann setzt man sich zusammen und rüttelt an den Fundamenten, bis sie wieder passen und eine neue Basis bieten für die weitere Entwicklung.

Genau das haben wir jetzt auch mit der Geschäftsordnung gemacht, wir haben diese Basis geschaffen für weitere Entwicklung. Und dabei ist die Öffentlichkeit der Ausschüsse für uns Bündnisgrüne ein großer Gewinn, der dazu führen wird, demokratische Abläufe für Interessierte transparenter zu machen und so mit neuer Lebendigkeit zu bereichern - als Bestandteil unserer Aufgabe, politische Entscheidungen nicht nur zu treffen, sondern den Bürgerinnen und Bürgern auch deutlich zu machen, warum und wie wir das tun.