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Marie Luise von Halem spricht zur Aktuellen Stunde "Konsequenzen aus dem 2. Bildungsbericht Berlin-Brandenburg ziehen – Mehr Bildungsqualität, damit Brandenburg im Wettbewerb um die besten Köpfe bestehen kann"

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- Es gilt das gesprochene Wort ! -

Anrede,
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie führen ja im Moment kein leichtes Leben, aber von mir einen herzlichen Dank für diese aktuelle Stunde!

Allerdings sage ich gleich, dass ich den Bildungsbericht nicht so aktuell finde. Er enthält eine Vielzahl von Angaben, die wir alle für sich schon kennen. Ja, wir wissen, dass wir zu wenig junge Lehrkräfte haben, den Sprachförderbedarf bei Kita-Kindern nicht decken können, dass wir zu viele Schulabgänger ohne Abschluss haben, dass wir in Ländervergleichen schlecht abschneiden und dass der Bildungserfolg von Kindern auf bedrohliche Weise mit den Risikolagen im Elternhaus zusammen hängt.

Aktuell aber ist die Frage: Was machen wir mit diesen Informationen? Was macht diese Landesregierung, die sich in den Sonntagsreden immer wieder ihrer Bildungspolitik rühmt?

Ich greife vier Bereiche auf:

1. Kindertagesstätten: Nach der Erhöhung des Kita-Betreuungsschlüssels weigert die Landesregierung sich standhaft, über weitere Verbesserungen der Betreuungsqualität auch nur zu reden. Die Kita-Gruppen sind weiterhin mit die größten im Bundesvergleich, für den Sprachförderbedarf reicht das Geld nicht. Stufenpläne für mehr Qualität wird es mit dieser Koalition offenbar nicht geben.

2. Die Finanzierung für Schulen in freier Trägerschaft soll reduziert werden, das pfeifen die Spatzen von allen Dächern. Seit Monaten gibt es Gerüchte, Vermutungen, jetzt auch ein abstraktes Rechenmodell, allerdings noch ohne Zahlen. Wenn ich irgendwo am längeren Hebel sitze und meine Untertanen maximal verunsichern will, dann mache ich es so: male ein abstraktes Bedrohungsszenario an die Wand und verweigere mich der Diskussion. Dass die Debatte um die Qualität der Schulen in freier Trägerschaft das Bedrohungspotential erhöht, ist teils zufällig zeitgleichen Ereignissen geschuldet. Von Seiten des Ministeriums wird aber nichts unternommen, die Diskussionsstränge zu trennen. Noch schlimmer ist aber, dass im Zusammenhang mit den Kürzungen immer wieder der Satz vom Sättigungsgrad fällt: Die Quote der freien Schulen habe West-Niveau erreicht. Der Aufbauprozess sei abgeschlossen. Hiermit wird noch etwas ganz anderes suggeriert: Prof. Henning Schluss, Vorsitzender des Evangelischen Bildungswerks Oranienburg, und treibende Kraft bei der evangelischen Grundsschule, deren Gründung jetzt der Verunsicherung zum Opfer fällt, nennt das den 'Schneewittchen-Effekt': Wer schöner ist als ich, wird aus dem Weg geräumt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, da ist in unserem Land eine Vielzahl von Menschen bereit, sich verantwortungsbewusst für die Bildung unserer Kinder zu engagieren. Gehört nicht dieses bürgerschaftliche Engagement zu dem Wertvollsten, was ein Staat haben kann? Können und wollen wir es uns leisten, diese Menschen so vor den Kopf zu stoßen?

3. Inklusion: Ich begrüße, dass das Ministerium sich dieses Prozesses jetzt annimmt. Ich freue mich, dass es einen runden Tisch geben wird und Modellschulen eingerichtet werden. Wenn aber gleichzeitig der Förderunterricht, der Kindern mit Förderbedarf bei integrativer Beschulung zusteht, allerorten der mangelnden Vertretungsreserve zum Opfer fällt, dann werden alle Erfolge, die im Bereich Inklusion vielleicht zu erzielen wären, umgehend durch die kalte Küche zunichte gemacht.

4. Und jetzt das Sahnehäubchen: Sie wissen alle von den unzähligen Elterninitiativen, die sich vor Ort gegen die mangelnde Lehrerausstattung ihrer Schulen wenden, gegen zu geringe Vertretungsreserve, gegen den Ausfall von Förderunterricht und Teilungsstunden. Sie wissen auch, dass die Landesregierung nie vorhatte, diesen Zustand zu ändern. Nein, Lehrstellen sollten wegen sinkender Schülerzahlen weiter abgebaut, nur die Schüler-Lehrer-Relation von 15,4 sollte gehalten werden. Das bedeutet keinerlei Verbesserung, nur gerade den Erhalt des Status Quo!

Aber selbst wenn wir uns darauf beschränken, müssen wir wegen der immens hohen Zahl der Abgänge bis zum Ende der Legislaturperiode noch knapp 2.000 Stellen besetzen, ausgehend von einer durchschnittlichen Beschäftigungsquote von 90%. 150 sollen es dieses Jahr sein. Da kann sich jedeR einfach ausrechnen, dass wir in den nächsten drei Jahren den Bedarf nicht werden decken können – zumal uns pro Jahr maximal 450 fertig ausgebildete Lehrkräfte zur Verfügung stehen, die weder alle in Brandenburg arbeiten wollen, noch die benötigten Fächerkombinationen anbieten können. So wird die Schüler-Lehrer-Relation langfristig kaum zu halten sein. Von Verbesserungen träumen wir dann nachts.

Ich hätte mir ein anderes Ergebnis der Debatten über die Tierkörperbeseitigung oder auch die weitgehende Befreiung Vattenfalls vom Wasserentnahmeentgelt gewünscht. Ich wünsche mir, dass in der Bildung nicht nur abgebaut und von der einen Tasche in die andere gewirtschaftet wird. Ich wünsche mir mehr Mut für eine bessere Bildung!