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Marie Luise von Halem spricht zum Haushaltsplan des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport

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Es gilt das gesprochene Wort !

Anrede,

die OECD kritisiert seit Jahren die verhältnismäßig niedrigen Bildungsausgaben in Deutschland: Öffentliche und private Ausgaben zusammen gerechnet, wendet Deutschland 5,3% seines BIP für die Bildung auf. Das ist zwar ein leichter Anstieg, aber immer noch weniger als der OECD-Durchschnitt (6,2%). Auch der Anteil der Bildungsausgaben an den öffentlichen Ausgaben insgesamt hat sich mit 10,5% leicht erhöht, liegt aber deutlich unter dem OECD-Durchschnitt mit 13,0%. England, Frankreich, Dänemark liegen deutlich vor uns, und selbst Polen, Spanien und Brasilien investieren mehr in Bildung als wir. Das ist kein Ruhmesblatt für die Nation der Dichter und Denker!

Und das, obwohl wir wissen, dass sich jeder ins Bildungswesen investierte Euro um ein Vielfaches auszahlt. Bildung ist ein echtes Renditeprojekt, nachzulesen nicht nur bei einer Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen, sondern auch bei Matthias Platzecks 'Zukunft braucht Herkunft'. – Allerdings hat es eher den Anschein, dass das nur von den Werbestrategen eingeflüstert wurde und das wahre Herz des Ministerpräsidenten und der SPD weiterhin vor allem für Großprojekte in Beton schlägt.

Neben dem volkswirtschaftlichen Anspruch gibt es auch den individuellen, den ethisch-sozialen: Wer besser ausgebildet ist, lebt selbstbestimmter und zufriedener, gesünder und länger. Natürlich muss es unser politisches Ziel sein, diese Chancen gerechter zu verteilen. Es mag sein, dass wir auch in Brandenburg im Hinblick auf soziale Gerechtigkeit im Bildungswesen ein kleines bisschen besser geworden sind, aber nur marginal und auf insgesamt sehr niedrigem Niveau. Wer genau hinsieht bei den Ländervergleichen, der kann sehen, dass wir insbesondere bei der Förderung der Risikogruppen deutliche Mängel haben. Gut sind wir noch lange nicht, weder im nationalen noch im internationalen Vergleich.

Und wie steht Brandenburgs Bildungspolitik heute da?

Auch im Rahmen der Haushaltsdebatte darf deutlich gemacht werden, dass es neben den Finanzen noch weitere Gelingensbedingungen gibt: all die Menschen, die sich Tag für Tag für unsere Kinder engagieren. Allen voran die Lehrerinnen und Lehrer. Deren Einsatz gilt es zu würdigen, sie verdienen es nicht, mit halbgaren und schlecht kommunizierten Forderungen abgespeist zu werden. In diesem Zusammenhang kritisiere ich nochmals die Einsparungen gegenüber den Schulen in freier Trägerschaft, die vollkommen unsinnig waren, gemessen an der tatsächlichen Einsparsumme gegenüber der öffentlichen Abstrafung derer, die sich mit ihrer Zeit und ihrem Geld über teilweise viele Jahre hinweg dafür eingesetzt haben, Bildungsangebote in Brandenburg vielfältiger und besser zu machen!

Selbst kreativster Protest wird nicht honoriert: Zwar brüstet sich die Koalition, die Kürzungen der Vorgängerregierung beim Landesjugendplan rückgängig gemacht zu haben, die berechtigten Einwände des Landesjugendringes, wegen allgemeiner Kostensteigerungen könnten mit dem vorhandenen Geld immer weniger Maßnahmen finanziert werden, werden jedoch ignoriert. Flugs wird die geforderte Erhöhung dem Sport zugesprochen. Auch wenn für uns Bündnisgrüne der Sport ein sehr wichtiger Teil des gesellschaftlichen Lebens in Brandenburg ist: Er ist nur ein Bereich, der Jugendliche interessiert. Die außerschulische Jugendarbeit bei Stadt- und Kreisjugendringen bietet ein hervorragendes und sehr breites Angebot, wo sich Jugendliche jenseits der schulischen Strukturen und ohne Leistungsdruck ausprobieren können. Hier können sie Verantwortung übernehmen und praktisch erfahren, was ihr Engagement bewirken kann. Gerade durch diese Arbeit wird vermittelt, dass Engagement für die Gesellschaft, demokratische Strukturen und der Einsatz für eine Sache wertvoll und erfüllend sein kann. So stärken wir Demokratie und ermuntern Jugendliche, selbstbewusste und kritische BürgerInnen zu werden. All das was auch der Sport kann – jedoch viel breiter aufgestellt und dank der Sportjugend inklusive Sport.

Die größten Handlungsbedarfe bestehen aus unserer Sicht in vier Bereichen:

1. Frühkindliche Bildung

Wir müssen endlich lernen, der Bildung und Erziehung kleiner Kinder einen anderen Stellenwert beizumessen. Auch wenn alle Bildungsexperten, Hirnforscher und Pädagogen uns längst gezeigt haben, dass wir damit auf dem Holzweg sind, wird bei uns immer noch der Universitätsprofessor gesellschaftlich und finanziell üppig honoriert, die Erzieherin hingegen ist für das Sortieren von Bauklötzen zuständig und wird entsprechend bezahlt. In Japan gleicht das Gehalt einer Erzieherin dem Einstiegsgehalt eines Professors. Da kann es doch bei uns auch mal ein bisschen Bewegung geben!

Wir haben seit Jahren den schlechtesten Betreuungsschlüssel aller Bundesländer, als ob die rote Laterne eine Sinnverwandtschaft mit Rot-Rot habe. Neben der Verbesserung des Betreuungsschlüssels haben wir immer wieder weitere Vorstöße zur Verbesserung der Qualität frühkindlicher Bildung gemacht. Wir haben ausreichende Mittel für die frühkindliche Sprachförderung beantragt, eine verbesserte Leitungsfreistellung und mehr Mitspracherechte für die Eltern. Leider haben SPD und LINKE all diese Anträge zum Scheitern gebracht, meistens sogar die Diskussion darüber im Ausschuss verwehrt. Und noch trauriger ist es, dass SPD und LINKE selbst jedweden Tatendrang zum Thema frühkindliche Bildung vermissen lassen.

Vor allem bei der Sprachförderung wissen wir längst, dass der konstatierte Förderbedarf sehr viel höher ist, als mit den zur Verfügung stehenden Mitteln abzudecken ist. Zudem ist mittlerweile klar, dass die von Brandenburg betriebene kompensatorische, also nachgelagerte, Sprachförderung nicht die gewünschten Ergebnisse bringt. Nun wird das System langsam auf die alltagsintegrierte Sprachförderung umgestellt, die Kinder schon während des Spracherwerbs besser fördert und nicht erst dann, wenn Defizite ersichtlich sind. Ausreichende Sprachförderung aber braucht vor allem mehr ErzieherInnen, die mit den Kindern reden können.

Die Leiterinnen von Kindertagesstätten müssen sich um das Personal, um Fortbildungen und um gute Konzepte kümmern. Deshalb beantragen wir hier erneut, ihnen Ressourcen im Rahmen verbesserter Leitungsfreistellung zur Verfügung zu stellen, im Umfang von 220 VZE, was 8,8 Mio EUR entspricht.

Das wäre ein kleiner Schritt hin zu mehr Qualität. Im Ausschuss allerdings verweigerten sich SPD und Linke, an den vielfach von der Opposition geforderten Stufenplan ist nicht zu denken.

2. Inklusion

Dass die Landesregierung sich nach langer Tatenlosigkeit mit dem Pilotprojekt Inklusion endlich auf den Weg gemacht hat, begrüßen wir sehr. Nicht nur, weil wir damit völkerrechtlichen Verpflichtungen aus der UN-Konvention nachkommen, sondern weil mit der Entstehung eines inklusiven Schulsystems neue Maßstäbe gesetzt werden, hier der Schlüssel zu einem veränderten Verständnis von Schule enthalten ist: hin zu einem Unterricht, der Kinder in ihrer Unterschiedlichkeit begreift und fördert, dessen Aufgabe es ist, den Kindern gerecht zu werden und der nicht mehr umgekehrt Kinder aussortiert, die vermeintlich nicht in den Unterricht passen. Deshalb kritisieren wir die Halbherzigkeit der Landesregierung, erstmal nur Kinder mit den Förderbedarfen Lernen, emotional-soziale Entwicklung und Sprache einzubeziehen – wohlgemerkt Förderbedarfe, die es in anderen OECD-Ländern gar nicht gibt! - und an die Förderschwerpunkte Hören, Sehen, geistige & körperliche Entwicklung sowie Autismus noch gar nicht zu denken! Selbst bei der anstehenden Novellierung des Schulgesetzes soll dieser halbe Schritt zementiert werden, der im internationalen Kontext noch nicht einmal als solcher gelten darf. Das reicht nicht, wir brauchen umgehend eine bessere Langfristplanung, die die UN-Konvention ernst nimmt. Zudem muss die Ausweitung des Pilotprojektes besser begleitet werden, wir brauchen die Einbeziehung der Kindertagesstätten und können nicht hinnehmen, dass Kinder mit Behinderungen zwar morgens in die Regelschule gehen können, im Hort aber dann leider keine Aufnahme finden können. Das größte Defizit aber liegt in der knappen Personaldecke und den mangelhaften Fortbildungsmöglichkeiten. Damit komme ich zu

3., der Fortbildung.

Angesichts des immer weiter steigenden Durchschnittsalters der Lehrkräfte in Brandenburg liegt bei der Fortbildung die größte Herausforderung. Fortbildung brauchen wir für Inklusion genau wie für alle anderen Bereiche der Schulentwicklung sowie der fachlichen und didaktischen Weiterentwicklung.

Exemplarisch nenne ich hier nochmal die Englisc-Fortbildungen: Das war das miserable Ergebnis im Ländervergleich 2010, der erste unsinnige Reflex, mehr Tests anzukündigen (obwohl wir alle wissen, dass kein Schwein durch's Wiegen fetter wird) und dann die mühselige, ein Jahr dauernde Planung für die ersten zweiwöchigen Fortbildungskurse, so konzipiert, dass nach ca 10 Jahren der gröbste Bedarf hätte gedeckt sein können, wenn nicht gleich auch Kurse mangels Anmeldungen ausgefallen wären. Ein zweiwöchiger Kurs – und dann weiter? Nein, man braucht man wenig Hellseherfähigkeiten, um abzuschätzen, dass der Effekt wahrscheinlich kaum die Messbarkeitgrenze erreichen wird.

Exemplarisch auch: die Umgestaltung des BUSS-, des Beratungs- und Unterstützungssystems. Es bekommt neue Aufgaben, aufsuchende Beratung, Unterstützung von Schulentwicklung usw. Alles wunderbar, aber statt dessen fallen andere wichtige Aufgaben weg, aber darüber wird nicht geredet.

Wer guten Unterricht anbieten will, jungen Menschen Lust auf die Themen dieser Welt machen will, die oder der darf selbst den Anschluss nicht verpassen. Dazu gehört die fachliche Fortbildung genauso wie die fachdidaktische. Dazu gehört es, den einzelnen Personen Anreiz und Selbstverständnis zu schaffen, Neuerungen nicht als Bedrohung, sondern als Chance zu begreifen. Und genauso gehört es dazu, sich im Team unterschiedlicher Professionen auseinander zu setzen, welche Weiterentwicklung für die eigene Schule oder die eigene Klasse hilfreich ist und wie diese Entwicklung gefördert und begleitet wird. Nur so geht die Saat auch auf. Dafür die nötigen Ressourcen, Raum und Zeit, bereit zu stellen, ist auch dieses Jahr ein Kernanliegen unserer bündnisgrünen Änderungsanträge.

Wir tragen deshalb den Antrag auf schulinterne Fortbildungsbudgets aus dem Ausschuss weiter in diese Plenardebatte, weil wir es für sinnvoll halten, dass einzelne Schulen in einen eigenen Fortbildungsprozess einsteigen, sich selbst überlegen, wie Defizite überwunden werden können und im Team gemeinsame Schritte gehen. Dafür gibt der von der Landesregierung vorgelegte Haushaltsplan keinen ausreichenden Bewegungsspielraum.

4. Unser Dauerbrenner: Mehr Lehrerinnen und Lehrer

Bei der Einstellung von Lehrkräften regiert in diesem Land die Kurzsichtigkeit. In den nächsten Jahren stehen wir aufgrund von altersbedingtem Ausscheiden vor rapide steigenden Einstellungsbedarfen: im Schuljahr 2013/14 538 Personen, 2014/15 455 Personen und im Schuljahr 2015/16 986 Personen und dann absehbar über mehrere Jahre zwischen 600 und 700. Und das alles gegenüber nur 450 neu ausgebildeten Lehrkräften im Jahr, die dann ja auch noch zu den Bedarfen passen müssen. Und wohlgemerkt: Die Erfüllung dieser Einstellungsbedarfe bedeutet keinerlei Verbesserung, sondern einzig und allein den Erhalt der jetzt schon zu spärlichen Ausstattung mit einer Schüler-Lehrer-Relation von 15,4: 1. Deshalb haben wir auch dieses Jahr wieder beantragt, mehr Lehrkäfte einzustellen: 350 VZE, entspricht 17,5 Mio. Eur.

Damit können wir erstmal Vertretungsbedarfe besser abfedern, es müsste nicht gleich der Teilungs- und Förderunterricht daran glauben. Die Schulpools könnten etwas großzügiger ausgestattet werden, für die Umsetzung schulinterner pädagogischer Konzepte gäbe es mehr Freiräume und wir würden dem bevorstehenden Mangel an Lehrkräften besser vorbeugen.

Denn eines muss noch hinzu gefügt werden: Auch wenn wir grundsätzlich gegen eine Verbeamtung von Lehrkräften sind, sehen wir natürlich auch, dass wir uns damit in Brandenburg im Moment noch einen künstlichen Vorteil erkaufen. Wenn aber andere Länder, insbesondere Berlin, ihren Lehrkräften auch wieder den Beamtenstatus anbieten, dann wird dieser Vorteil wie ein Kartenhaus in sich zusammen fallen.

Was bleibt als Fazit?

Das Versprechen war, Bildung solle Priorität haben. Das haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, nicht umgesetzt. Wenn der Bildungsetat anwächst, dann liegt das vor allem an Tarifsteigerungen und anwachsenden Versorgungsansprüchen ausgeschiedener Lehrkräfte, die leider den Bildungsetat künstlich aufblähen.

Was mich aber am meisten ärgert, ist, dass diese Regierung über Jahre hinweg Hunderte Millionen Euro als Rücklagen angehäuft hat, ausgewrungen aus vielen Bereichen, wo Investitionen nötig gewesen wären, nicht nur bei der Bildung, beim Klimaschutz, bei sozialen Themen, auf dem Rücken von Menschen in diesem Land, denen bei jeder sich bietenden Gelegenheit erzählt wurde, man verstehe ja ihre Anliegen, aber leider seien sie nicht finanzierbar.

Und jetzt, angesichts von Misswirtschaft und Schlamperei im Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft, zu verantworten durch den Ministerpräsidenten, werden diese Rücklagen ohne große Diskussion in den unersättlichen Schnabel des Flughafens gefüttert. In einen Flughafen, dessen Gesamtkosten mittlerweile mit 4,3 Mrd. EUR beziffert werden (ich erinnere: zu Baubeginn 2006 waren es noch 2 Mrd. EUR!). Und wenn jetzt, wie in den letzten Tagen bekannt wurde, 250 Mio und dann nochmal 90 Mio dazu kommen, dann heißt es lapidar, das sei kein Problem, der Mehrbetrag könne durch Umschichtungen gedeckt werden. Davon träumen andere Bereiche nicht einmal nachts.

Da wird doch diese ganze Haushaltsdebatte zur Farce, die großen Würfel fallen ganz woanders, und warum dann nicht ein paar hundert Lehrkräfte mehr eingestellt werden können oder die Vertretungsreserve aufgestockt, das müssen Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von SPD und der Linken, den Menschen im Land erstmal plausibel machen! Ihre wichtigste Ressource liegt nicht zwischen den Ohren, sondern aus Beton und Stahl im märkischen Sand.