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Marie Luise von Halem spricht zum Haushaltseinzelplan 05 für das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport

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- Es gilt das gesprochene Wort ! -

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Ich rede heute über Grundsatzfragen, über den bildungspolitischen Duktus der Regierungsparteien bzw. der Landesregierung, über Fettaugen und ich rede über Geld.

Vorneweg ein kleiner Exkurs zu Geld und Bildung: Letzte Woche ist der internationale PISA-Vergleich 2009 veröffentlicht worden, an dem sich mittlerweile weltweit 65 Staaten beteiligen, darunter alle OECD-Staaten. Wir haben deutlich aufgeholt, das ist die gute Nachricht! Die Schweden, die lange Zeit zu den bildungspolitischen Spitzenreitern gehörten, liegen nur noch im oberen Mittelfeld. Und wissen Sie, unter welcher Überschrift das in Schweden diskutiert wird? Dagens Nyheter, eine der größten schwedischen Zeitungen, zitiert Pontus Braunerhjelm, Leiter des Unternehmerforums und Ökonomieprofessor an der Königlichen Technischen Hochschule in Stockholm: "Wenn es nicht gelingt, diesen Trend zu wenden wird sich das früher oder später in einem niedrigeren Wirtschaftswachstum widerspiegeln und unser Wohlstandsniveau wird, verglichen mit anderen Ländern, sinken." - Daran könnte auch in Brandenburg ruhig öfter mal jemand denken. Zumindest wer den Anspruch erhebt, keine kurzsichtige Politik zu machen.

Wofür gibt die Landesregierung Geld aus:

Der EP 05 beinhaltet Mehrausgaben. Der Großteil, 36 Mio, ist der Erhöhung des Betreuungschlüssels geschuldet. Das ist gut und richtig. Der einzige bildungspolitische Schritt, auf den die Regierung wirklich stolz sein kann. Wobei die Aussage, wir in Brandenburg seien Spitze bei der Kinderbetreuung, ein gutes Beispiel für den Duktus der Landesregierung ist: Bei der Betreuungsquote liegen nur zwei Bundesländer vor uns, aber in puncto Qualität sieht das schon anders aus: im Hinblick auf den Betreuungsschlüssel nehmen wir bundesweit den drittletzten Rang ein. Zu sagen, wir seien Spitze, ist also keine Unwahrheit, aber es ist eine bewusst formulierte Halbwahrheit, die die eigentlich entscheidende Frage nach der Qualität der frühkindlichen Bildung ausklammert.

Dabei wäre da so viel zu tun: PädagogInnen sind sich einig, wie wichtig die frühkindliche Erziehung ist, wie viel es für die Chancen eines Kindes ausmacht, schon vor dem Schulbeginn gut gefördert worden zu sein. Was machen wir? Wir stellen bei knapp 20 Prozent der Kinder Sprachförderbedarf fest, haben aber keine Mittel für eine ausreichende Förderung. Wir machen uns vernünftige Gedanken über Qualität in Kinderbetreuungseinrichtungen (z.B. Stichwort Gorbiks), stellen aber die zur Umsetzung nötigen Ressourcen nicht zur Verfügung. Wenn es ein Fazit aus der Anhörung im Bildungsausschuss zum Thema Betreuungsschlüssel gegeben hat, dann war es folgendes: Wir müssen dringend über weitere Verbesserungen nachdenken, insbesondere auch des Betreuungsschlüssels und über verbesserte Freistellungen für pädagogische Leitungsaufgaben. Sich darüber im Rahmen eines Stufenplanes Gedanken zu machen, fand in diesem Parlament leider keine Mehrheit.

Über den zweiten finanzwirksamen Schritt dieser Landesregierung im Bildungsbereich, die Einführung des Schülerbafögs, brauche ich an dieser Stelle keine weiteren Worte zu verlieren.

Was ist mit den Lehrerinnen und Lehrern? Mit 1.250 neuen Lehrerinnen und Lehrern brüsten Sie sich öffentlich seit dem letzten Sommer. Dass es sich mitnichten um neue Stellen handelt und damit die Ausscheidenden nicht ersetzt werden, die Landesregierung also weiterhin Stellen abbaut, darüber wischen Sie seit einem Jahr den großen weichen Schwamm aktiver Volksverdummung. Auch das ein Beispiel für die Halbwahrheiten, für den Duktus der Landesregierung. Ich frage Sie: Ist es wirklich ein Erfolg, die SchülerIn-LehrerIn-Relation von 15,4 bis zum Ende der Legislaturperiode aufrecht zu erhalten? Gab es da nicht mal den Anspruch, etwas besser zu machen? Sollen wir uns jetzt wirklich damit zufrieden geben, dass wir vielleicht bis zum Ende der Legislaturperiode den Status Quo halten können? Haben wir den vielen Eltern, die in unserem Land gegen die schlechte Ausstattung unserer Schulen Sturm laufen, wirklich nichts anderes anzubieten als die Aussage, im besten Fall bliebe alles, wie es ist?

Das waren sie schon, die bildungspolitischen Großtaten dieser neuen Regierung.

Was macht die Landesregierung weiter?

Was waren nochmal die Ansprüche, mit denen die Landesregierung angetreten ist? In der Präambel des Koalitionsvertrages ist zu lesen, gute Bildung dürfe so wenig wie möglich von sozialer oder regionaler Herkunft abhängen und die Regierung wolle Chancengleichheit für alle. Deshalb – Zitat- „schlagen wir den Weg zu verstärkter individueller Förderung und zu längerem gemeinsamen Lernen ein." Wo das geschieht und woran wir das merken sollten, bleibt das Geheimnis der Beteiligten. In der ersten Pressemitteilung diesen Jahres versprach der Bildungsminister noch, die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss reduzieren zu wollen. Im letzten Bildungsausschuss gab es die Einschränkung, das werde wahrscheinlich nicht relevant gelingen. Wie auch?

Vorstellung des Qualitätspaketes von Mittwoch letzter Woche

Minister Rupprecht wird in der entsprechenden Pressemitteilung zitiert, es sei besonders erfreulich, dass das Maßnahmenpaket in enger Abstimmung mit SchulpraktikerInnen und externen BildungsexpertInnen entstanden sei. Ist das wirklich der Anspruch, den wir stellen? Ist es wirklich „besonders erfreulich", wenn Maßnahmen mit SchulpraktikerInnen und externen BildungsexpertInnen abgestimmt sind? Wir bauen doch hier keine Sandburgen, es geht doch um unsere wichtigste Ressource und um engagierte Lehrerinnen und Lehrer. Da muss es doch selbstverständlich sein, dass jedwede Maßnahme sowohl mit den PraktikerInnen als auch den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen abgestimmt wird? Dass das besonders erwähnt wird, sagt schon manches.

Aber was gibt es Neues?

Das Beratungs- und Unterstützungssystem für Schulen wird ausgeweitet, u.a. durch die 'aufsuchende Beratung' und Erweiterung der Beratung auf die Grundschulen. Das klingt erstmal vernünftig, bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber auch hier der gewohnte Duktus der Schönrederei: So lange diese Ausweitung der Beratungstätigkeit nicht mit einer wahrnehmbaren Aufstockung von Personal einhergeht, kann sie nur zu einem Mangel an anderer Stelle führen. Und eine solche Personalaufstockung ist dem Haushaltsplan nicht zu entnehmen.

Ähnlich mit den neuen Aufgaben des Landesinstitutes für Schule und Medien, LISUM: Auch hier ist geplant, Fachtagungen zu Lehr- und Lernmethoden durchzuführen, und z.B. Ferienakademien für EnglischlehrerInnen einzurichten. Auch das klingt erstmal positiv. Fortbildung, Beratung und Schulentwicklung ist aber auch vorher schon Aufgabe des LISUM gewesen. Gleichzeitig erfuhren wir in der letzten Sitzung des Bildungsausschusses, die Arbeitsanteile der MitarbeiterInnen im LISUM, die für die Erstellung von Prüfungen und Vergleichsarbeiten aufgewandt werden müssten, seien ansteigend. Das bedeutet im Umkehrschluss natürlich – auch wenn das explizit nicht so natürlich wieder nicht erwähnt wurde - dass die Kapazitäten für Beratung und Fortbildung bei gleichbleibender Gesamtausstattung sinken. Also auch hier wieder der gleiche Mechanismus: die Suppe wird einmal umgerührt und mit Begeisterung verkündet Herr Minister Rupprecht das neue Fettauge, das jetzt oben schwimmt. die Suppe wird davon nicht besser.

Diese Beispiele machen deutlich, wie wenig Visionen hier spürbar sind, wie wenig Ziele, wie wenig Gestaltungswillen. Nicht jedes Ministerium ist eben eine Kreativwerkstatt. Einiges mag in die richtige Richtung gehen. Das zentrale Problem ist jedoch, dass keine zusätzlichen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Es wird immer nur umgerührt.

Was wollten wir im Ausschuss und was halten wir aufrecht?

Wir sind – und das unterscheidet uns von der CDU – nicht der Meinung, das Thema Unterrichtsausfall sei das drängendste. Wir denken, dass in der Verbesserung des gehaltenen Unterrichtes die größten Chancen liegen – und dann ist die Frage, ob ein paar mehr oder weniger Unterrichtsstunden ausfallen, nur eine Frage der Betreuung und nicht der Unterrichtsqualität insgesamt.

  • Wir möchten den Schulen eigene Fortbildungsetats zubilligen, mit Hilfe derer Kollegien selbst entscheiden können, wo aus ihrer Sicht der größte Fortbildungsbedarf besteht.
  • Wir wollen die Mittel für das LISUM aufstocken, um zusätzliche Maßnahmen zu kompetenzorientierter Unterrichtsentwicklung und individuelle Förderung zu ermöglichen.
  • Wir halten es für unsäglich, dass parallel zur laufenden Evaluierung der Arbeit der Schulämter die Zahl der SchulpsychologInnen weiter abgesenkt wird. Das ist einerseits gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Schulämter ein ausgesprochen schlechter Stil, und andererseits auch eine völlige Verkennung der Tatsache, dass der Beratungsbedarf der Schulen durchaus größer ist, als die Schulämter leisten können. Wir brauchen dringend mehr SchulpsychologInnen, um Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte und Eltern besser beraten zu können.
  • Wir wollen die Schulpools aufstocken. Wir halten es für unerlässlich, dass Schulen mehr Anrecht auf Stunden zur Verfügung haben, um pädagogische Konzepte zu entwickeln und systematische Förderung voranzutreiben.
  • Wir wollen darüber hinaus die Mittel für den internationalen Austausch aufstocken. Fremdsprachenerwerb gehört mittlerweile zu den Schlüsselkompetenzen, der Unterricht in Brandenburg ist mäßig, wie wir spätestens seit dem letzten Ländervergleich alle wissen. Wir wollen auch den Kindern internationalen SchülerInnenaustausch ermöglichen, deren Eltern die entsprechende finanzielle Unterstützung nicht leisten können.

Jetzt fragen Sie uns nach der Gegenfinanzierung:
Wir streichen das Schülerbafög. Darüber hinaus wollen wir unserer politischen Zielsetzung Ausdruck verleihen, das Bildungssystem auch zu Lasten anderer Ressorts zu verbessern und kürzen bei Infrastruktur und Straßenbau, bei den Kreditnebenkosten und den Personalverstärkungsmitteln.

Denn wenn wir wirklich mehr Investitionen für Bildung wollen, wenn Bildung wirklich (für uns Bündnisgrüne neben dem Klimaschutz) unser wichtigstes Zukunftsanliegen ist , dann brauchen wir auch eine ehrliche Debatte über die Schwerpunkte politischen Handelns, über die Frage, welche Aufgaben der Staat leisten kann und in Zukunft leisten soll. Dann dürfen wir nicht vormittags mehr Investitionen in Bildung fordern, nachmittags alle Polizeiwachen erhalten wollen und abends uns dafür einsetzen, dass die Frostschäden an den Brandenburger Straßen auch spätestens zum Sommerbeginn repariert sind. Dann reicht es nicht, im Wahlkampf Bildungsplakate im Land zu verstreuen. (Wobei man sich übrigens fragen darf: Was treibt eigentlich die Parteien, die der Überzeugung sind, ihre Wahlkämpfe mit Bildungsthemen gewinnen zu können, zu dem Kleinmut, in Regierungsverantwortung zu fürchten, die Konsequenz aus dem Wahlkampf sei den Wählerinnen und Wählern nicht zuzumuten?) - Nein, dann brauchen wir eine ehrliche und offene Debatte über politische und damit auch finanzielle Schwerpunktsetzungen, auch über Ressortgrenzen hinweg. Wenn wir in der Bildungspolitik wirklich etwas verbessern wollen, dann dürfen wir die Fettaugen nicht immer nur umrühren, sondern brauchen dringend ein paar mehr frische Zutaten für die Suppe!