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Marie Luise von Halem spricht zum bündnisgrünen Gesetzentwurf "Änderung der Kommunalverfassung - Beteiligung von Kindern und Jugendlichen"

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Es gilt das gesprochene Wort !

Anrede,
Die alte Weisheit 'Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr' kennen wir alle. Aber sie stimmt nicht mehr so richtig.

Erstens suggeriert sie, dass es mit dem Lernen mal ein Ende hat. Ganz selbstverständlich, gottgegeben, der Lauf der Dinge. Und zwar in dem Moment, wenn aus dem Hänschen ein Hans wird. Aber wir wissen, dass die Welt sich schneller dreht und wir uns alle nicht mehr darauf berufen können, uns zurücklehnen zu können, weil wir den Status des 'Hans' erreicht haben. Nein, von uns allen wird erwartet, dass wir die Drehung der Welt genau beobachten und die Maxime unseres Handelns immer wieder neu überprüfen. Wer sich dem unter Bezugnahme darauf verweigert, jahrzehntelange Wiederholung Desselben belege den Reifegrad, wird heute eher belächelt.

Zweitens aber wissen wir heute auch mehr darüber, wie Hänschen und auch Gretchen lernen. Ihre Hirne und Verhaltensmuster werden schon im Windelalter geprägt, früher, als man das lange Zeit vermutet hat. Wenn wir aus unseren Kindern mündige Demokraten machen wollen, die nicht nur ausreichend ausgebildet sind, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, sondern darüber hinaus Zeit und Energie aufwenden, sich an demokratischen Prozessen zu beteiligen – und wie schwierig und kraftraubend das oftmals ist, wissen wir alle – dann müssen wir ihnen frühzeitig zeigen, dass das Engagement sich lohnt. Wer schon im Kindesalter mit seinen Wünschen ernst genommen wird, die oder der lernt früh, dass es auf jeden ankommt, dass jeder gestalten kann und jede Stimme zählt. Dabei geht es um familiären Kontext, es geht in ganz erheblichem Maße um Kindertagesstätten und um Schule. Die wichtigste Rolle spielt dabei nicht die richtige Anordnung des richtigen Unterrichtsstoffes zur demokratischen Grundbildung, sondern sehr viel mehr die lebensweltliche Erfahrung. Selbst gestalten zu können, in demokratischen Aushandlungsprozessen mit anderen – Gleichgesinnten und WiderständlerInnen – tatsächlich Einfluss auf das eigene Umfeld nehmen zu können, das ist die beste Schule der Demokratie. Vielleicht dabei sogar Fehler der Erwachsenen korrigieren zu können, die sich vielleicht nicht mehr so genau erinnern, wie und wo denn eine Skaterbahn gut konstruiert ist. Das spart Geld und erhöht die Akzeptanz.

Dass diese Prozesse auf kommunaler Ebene – trotz viel guten Willens - oft so holprig sind, hat vor allem zwei Gründe:

Erstens: Kinder und Jugendliche leben schneller. Ein Freizeitgelände zu planen, wird sie nicht begeistern, wenn es erst zu ihrem Berufsabschluss fertig wird. Und zweitens wird es sie nicht begeistern, wenn ihr in anstrengenden Diskussionsrunden zustande gekommenes Ergebnis bei den kommunalen Entscheidungsträgern nur im Papierkorb landet.

Ich gebe mich nicht der Illusion hin, dass die hier vorgelegte Änderung der Kommunalverfassung Wunder bewirkt. Keiner der hier angeprochenen Stolpersteine wird mit der Änderung der Kommunalverfassung per se beseitigt. Mit der Technik allein ist es nicht getan. Aber um einen langfristigen Bewusstseinswandel zu erreichen, sind oft technische Änderungen erforderlich, die wiederum geänderte Prozessabläufe nach sich ziehen. Wenn wir die von uns vorgelegte Änderung heute beschließen, werden Kommunen künftig überlegen müssen, auf welchem Wege sie Kinder und Jugendliche in Planungsprozesse einbeziehen. Wie das passiert, ist damit noch nicht vorweggenommen. Wir wollen auch den Kommunen nicht vorgreifen, es gibt viele Methoden, Kinder- und Jugendparlamente sind nur ein Weg unter vielen denkbaren. Kommunen sollen die Freiheit haben, den für sie richtigen Weg vor Ort zu finden.

Und warum machen wir das?

Natürlich auch gegen Abwanderung. Und auch, um Jugendlichen in einer zunehmend von Älteren bestimmten Welt mehr Gewicht zu geben. Aber vor allem deshalb, damit Hänschen und Gretchen von klein auf lernen, unterschiedliche Interessen zwar kontrovers, aber doch immer friedlich gegeneinander abzuwägen, eine Kultur der Vielfalt schätzen zu lernen, in der jede Stimme zählt. Hans und Grete können davon dann auch noch lernen.