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Marie Luise von Halem spricht zum bündnisgrünen Antrag "Modellprojekt 'LandlehrerIn in Sicht'"

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Es gilt das gesprochene Wort !

Anrede,

Im Wahrig, dem Deutschen Wörterbuch, hat das 'Landei' nicht einmal einen Eintrag. Die Finnen haben kein Problem damit, LehrerInnen für ländliche Regionen zu gewinnen, da hat das Leben fern von Großstädten offensichtlich ein anderes Image. Das ist bei uns anders, uns fehlen sie, die Landeier, nicht nur im Wörterbuch.
Nach langen Jahren der Überhangverwaltung stehen wir jetzt vor der umgekehrten Fragestellung: Nach Berechnungen des Brandenburger Bildungsministeriums werden vom Schuljahr 2011/2012 bis einschließlich zum Schuljahr 2014/2015 3.100 Lehrkräfte aus dem Schuldienst ausscheiden, die meisten aus Altersgründen. Diese 3.100 Lehrkräfte müssen bis zum Schuljahr 2014/2015 wegen annähernd gleicher Schülerzahlen komplett ersetzt werden. Pro Jahr müssten im Schnitt 775 Lehrkräfte neu eingestellt werden. Aber nur 450 Lehrkräfte werden jährlich in Brandenburg fertig ausgebildet. Kommen dann tatsächlich junge Lehrkräfte aus anderen Bundesländern zu uns und füllen die Lücke? Und wie gelingt es uns, sie für die ländlichen Regionen zu begeistern?


Das wird nicht einfach, denn nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen Bundesländern liegt der Bedarf teilweise deutlich über den Ausbildungszahlen. Laut einer KMK-Studie von 2003 liegt der jährliche bundesweite Bedarf an neuen Lehrkräften bis zum Jahr 2015 bei 26.000 bis 27.000 Nachwuchskräften. Dem steht das jährliche Angebot von 24.000 bis 25.000 neuen Lehrkräften gegenüber. Daraus ergibt sich eine Unterversorgung über alle Schulformen und Länder hinweg von 2.000 bis 3.000 Lehrkräften.
Zudem müssen Fächerkombinationen und Schulformen passen: Brandenburg braucht in den nächsten Schuljahren zu 75% LehrerInnen für Primarstufe und Sekundarstufe I, aber die meisten Lehramtsstudierenden wählen Lehramt am Gymnasium.


Von diesem Dilemma sind die strukturschwachen und ländlichen Gebiete bundesweit betroffen, der Lehrermangel dort hat inzwischen alle Schularten und fast alle Fächerverbindungen erfasst.


Bereits jetzt resultiert daraus eine Konkurrenzsituation unter den Bundesländern, die sich noch verschärfen wird. Es hängt von vielen Faktoren ab, wo neue Lehrkräfte hingehen: der Art der Anstellung, der Höhe der Bezahlung – die liegt für BerufseinstiegerInnen andernorts bis zu 500 Euro höher als in Brandenburg -, den Arbeitsbedingungen (Stundendeputat, Aufstiegschancen, Fortbildungsmöglichkeiten u.a.) oder auch von weichen Standortfaktoren.


Umgekehrt hängt die Attraktivität ländlicher Regionen im berlinfernen Raum auch für Wirtschaftsunternehmen in hohem Maße von einem guten Schulangebot vor Ort ab. Auch gute Arbeitskräfte gehen dorthin, wo es für ihre Kinder gute Schulen gibt.
Die Landesregierung hat den Ernst der Lage noch nicht erkannt: Die Sicherstellung der Lehrkräfteversorgung im ländlichen Raum ist weder ein Selbstläufer noch wird sie zum Nulltarif zu haben sein. Um einen Eindruck davon zu bekommen, an welchen Stellschrauben überhaupt zu drehen wäre, haben wir beim Leibniz-Institut für Regionalplanung in Erkner eine Studie in Auftrag gegeben, mit dem schönen Titel „Möglichkeiten für eine ausreichende Versorgung mit Lehrkräften in Schulen peripherisierter Regionen Brandenburgs".


Im Rahmen dessen wurden Lehramtsstudierende und -kandidatInnen befragt sowie SchulleiterInnen, SchulrätInnen und DezernentInnen. Herausgekommen ist ein umfassender Katalog von Maßnahmen, die von den unterschiedlichen Akteuren – dem Land Brandenburg als Arbeitgeber, der Schule als direktem Arbeitsplatz und den Kommunen als Schulträger – umgesetzt werden können, um neue Lehrkräfte zu gewinnen und zu halten. Das Ergebnis: Wir können uns das Landei backen!
Ich will Sie hier nicht mit Details langweilen und nenne Ihnen deshalb nur ein paar Beispiele für die Anschaulichkeit:
Das Land könnte zum Beispiel:

  • den LehramtskandidatInnen mehr Planungssicherheit geben durch Vorverträge oder zügigere Vertragsschließungen
  • Schulen mehr Selbständigkeit und bessere Beteiligung an der Personalauswahl gewähren
  • das Referendariat im ländlichen Raum mit dezentralere Seminarstandorten erleichtern.

Die Kommune könnte erwägen:

  • eine bessere Willkommenskultur und offensivere Einbeziehung der Lehrkräfte ins gesellschaftliche Leben
  • Unterstützung bei Wohnungssuche und Arbeitsplatzsuche für den/die PartnerIn

Einzelnen Schulen als potentiellen Arbeitsorten wird vorgeschlagen:

  • mehr Attraktivität durch klares Profil (z.B. musikalisch, mathematisch, sportlich)
  • ein Mentoring- oder Coachingprogramm für ReferendarInnen
  • und eine Willkommenskultur verbunden mit gutem kollegialen Austausch.

Mit dem Modellprojekt wollen wir erreichen, dass trotz der hohen bundesweiten Nachfrage mehr Lehrerinnen und Lehrer für eine Anstellung an ländlichen Schulen in Brandenburg gewonnen werden. Hierfür sollen regionale Akteure vernetzt, eine gemeinsame Strategie entwickelt und eine langfristige Personal- und Schulentwicklungsplanung in den Kommunen aufgestellt werden. Wenn Sie jetzt sagen, das klänge nach kommunalen Bildungslandschaften, dann sage ich: ja, umso besser!


Es ist Ihnen hoffentlich aufgefallen: Die Forderungen dieses Antrages sind im Konjunktiv formuliert, wir wollen das Modellprojekt, aber zu dessen Ausgestaltung liefern wir nur die Diskussionsgrundlage. Ich möchte gerne den Ausschuss damit befassen, wie wir uns dem Landei nähern.