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Marie Luise von Halem spricht zum brandenburgischen Ausbildungsförderungsgesetz

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- Es gilt das gesprochene Wort ! -

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Tatsache, dass wir heute schon wieder über dieses Thema reden müssen, ändert nichts daran, dass die mit diesem Gesetz beschlossene brandenburgische Ausbildungsförderung dasselbe ist und bleibt wie schon in der ersten Runde: das bildungspolitische Lieblingsplacebo der Landesregierung. Aber gut, dann gibt es unsere Kritik eben nochmal.

Alle Kinder mitzunehmen, allen nach ihren Fähigkeiten und Veranlagungen die besten Bildungschancen zu geben, das soll das Ziel sein. Denn auch wir in Brandenburg sind weit davon entfernt, Bildung unabhängig vom Geldbeutel der Eltern anzubieten.

Soziale Selektion findet beim Übergang an die weiterführenden Schulen statt. Hier wird aussortiert, und wer dem begegnen will, der muss früher fördern, in der Kita und in der Grundschule, und nicht erst nach der 10. Klasse. Bei der Bildung kommt es auf den Anfang an, das pfeifen doch längst die bildungspolitischen Spatzen von allen Dächern! Und wir brauchen dazu auch keine neuen Instrumente: wir haben Qualitätsmaßstäbe gesetzt für Kitas, wir haben Flex-Klassen, Teilungs- und Förderunterricht usw. Es mangelt uns nicht an guten Instrumenten, aber sehr wohl an den Kapazitäten, diese umzusetzen. Wir brauchen mehr Personal und vor allem gut ausgebildete PädagogInnen, nicht das Schülerbafög.

Und schon gar nicht brauchen wir den verwaltungstechnischen Blähbauch, der jährlich ansteigende Kosten bis zu 619.000 im Jahr 2013 bedeutet.

Zudem verlässt in Brandenburg jedeR 10. die Schule ohne einen Abschluss. Das ist der eigentliche Skandal! Diese BildungsverliererInnen aber haben überhaupt nichts von der neuen Ausbildungsförderung, um die kümmert sich niemand.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von SPD und Linke, stimmen Sie mit mir überein, dass angesichts der Größe der Herausforderung und angesichts der knappen zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel nur die effektivsten Wege eingeschlagen werden sollten? Wenn ja, warum erfinden Sie das Brandenburgische Ausbildungsförderungsgesetz? Woher wissen Sie, dass die größte Herausforderung für die Schülerinnen und Schüler aus einkommensschwachen Haushalten ausgerechnet nach der Vollzeitschulpflicht beim Übertritt in einen weiterführenden Bildungsgang besteht? Welche statistischen Erkenntnisse haben Sie darüber, dass Jugendliche, die von der Übergangsberechtigung keinen Gebrauch machen, das aus finanziellen Erwägungen heraus tun? Und wie viele sind es eigentlich?

Um das herauszufinden, haben wir ja damals eine kleine Anfrage gestellt. Die Landesregierung brauchte im Frühjahr sieben Wochen, um uns mitzuteilen, dass sie keine Antwort auf diese Fragen hat. Natürlich kam diese Antwort auch erst deutlich nach der Verabschiedung des Gesetzes. Aber wer hätte gedacht, dass ich jetzt doch noch Gelegenheit habe, Ihnen wenigstens etwas daraus vorzulesen, DS 5/1491:

„Zu den tatsächlichen Motiven der Jugendlichen, die sich trotz erworbener Zugangsberechtigung nicht für den Besuch der gymnasialen Oberstufe entscheiden, liegen dem Ministerium für Bildung, Jugend und Sport bisher keine Erkenntnisse vor." - Und weiter: „Statistische Erhebungen über nach Schulformen differenzierte Informationen zum ökonomischen Status der Familien oder zur sozialen Zusammensetzung der Schülerschaft liegen nicht vor."

Auf die Frage, auf welche Grundlage sich die Annahme stütze, eine Förderung von 50 bzw 100 EUR würde dazu führen, dass mehr Jugendliche von der Übergangsberechtigung in die Sek II tatsächlich Gebrauch machen, kann die Landesregierung auch nur antworten, es solle diesen Jugendlichen der Weg erleichtert werden und es sei zu erwarten, dass die finanzielle Unterstützung einen Anreiz darstelle.

So weit zur vernünftigen und sachgerechten Planung in diesem Hause.

Angesichts dieser Grundlagen darf man auf die geplante wissenschaftliche Auswertung gespannt sein. Wie es gelingen wird, ohne Daten über die Ausgangslage den Erfolg darzustellen. - Ein Placebo, rund und nett, viel Zucker, die Wirkung liegt im Glauben an die Sache. Eine Scheinintervention.

So, jetzt zurück zur heutigen Detailfrage: Trotz aller Ablehnung des Schülerbafögs an sich kann man ja nicht ernsthaft wollen, dass ausgerechnet diejenigen, deren Geldbeutel am knappsten bemessen sind, jetzt – nachdem sie ihnen monatelang versprochen worden ist - vom Erhalt der Leistung ausgeschlossen werden. Wir enthalten uns deshalb.