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Marie Luise von Halem spricht zum brandenburgischen Ausbildungsförderungsgesetz (Schüler-Bafög)

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– Es gilt das gesprochene Wort ! -

Anrede

„ Nur in wenigen Industriestaaten entscheidet die sozial-ökonomische Herkunft so sehr über den Schulerfolg und die Bildungschancen wie in Deutschland.“ lesen wir in der Problembeschreibung des vorliegenden Gesetzentwurfes.

Für Brandenburg heißt das: Von 100 Beamtenkindern studieren 95, von hundert Arbeiterkindern 17. Diese Zahlen stammen aus einer Wahlkampfbroschüre der SPD vom letzten Sommer und sie belegen ein Verschleudern von individuellen und gesamtgesellschaftlichen Potentialen, gegen das vorzugehen zu den wichtigsten Aufgaben dieser Regierung gehören muss.

(Und wenn Sie mir jetzt wieder sagen, Marianne Birthler sei an allem schuld, dann stellen sie den nachfolgenden Regierungen ein so himmelschreiendes Armutszeugnis aus, dass es sogar mir als Unbeteiligte peinlich ist.)

- Was die Herausforderung angeht, sind wir gleicher Meinung.

Stimmen Sie mit mir überein, dass angesichts der Größe der Herausforderung und angesichts der knappen zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel nur die effektivsten Wege eingeschlagen werden sollten? Wenn ja, warum setzen Sie auf dieses Pferd, warum erfinden Sie das Brandenburgische Ausbildungsförderungsgesetz? Woher wissen Sie, dass die größte Herausforderung für die Schülerinnen und Schüler aus einkommensschwachen Haushalten ausgerechnet nach der Vollzeitschulpflicht beim Übertritt in einen weiterführenden Bildungsgang besteht? Welche statistischen Erkenntnisse haben Sie darüber, dass Jugendliche, die von der Übergangsberechtigung keinen Gebrauch machen, das aus finanziellen Erwägungen heraus tun? Und wie viele
sind es eigentlich?

Wenn man sich Ihre Antragsvorlage ansieht, dann fällt auf, dass Sie zwar mit vielen Zahlen aufwarten, aber genau dazu keine Angaben machen. Ich wage zu bezweifeln, dass diese Informationen, wenn wir sie hätten, Ihrem Anliegen dienen würden. Aber ich habe dazu eine kleine Anfrage gestellt, und wenn mich die Antworten eines Besseren belehren, lasse ich mich gerne überzeugen. Allein, mir fehlt der Glaube. In Brandenburg verlässt jeder 11. die Schule ohne einen Abschluss. Das ist der eigentliche Skandal! Diese Bildungsverlierer aber haben überhaupt nichts vom neuen Schüler-Lafög. Um die kümmert sich niemand.

Die Bildungsexpertisen der letzten Jahre belegen immer deutlicher, dass es bei der Bildung auf die ersten Jahre ankommt. Auf die Kita-Jahre, auf die Grundschule. Dort muss die Förderung ansetzen. Ich selbst schleuse meine Kinder seit 13 Jahren durch das brandenburgische Bildungssystem und das sieht selbst der berühmte Blinde mit dem Krückstock, wo die Kinder aus den einkommensschwachen und bildungsfernen Familien verloren gehen: nach der Grundschule! Da ist der Bildungsknick und fördern müssen wir in den Jahren davor!

Und noch was: Wir Bündnisgrüne halten nichts von einer Taschengelderhöhung. Wenn wir unser Geld sinnvoll einsetzen wollen, dann müssen wir es ins System investieren. Da sind wir uns mit der GEW einig. Und wir brauchen auch keine neuen Instrumente: wir haben Qualitätsmaßstäbe gesetzt für Kitas, wir haben Flex-Klassen, Teilungs- und Förderunterricht usw. Es mangelt uns nicht an guten Instrumenten, aber sehr wohl an den Kapazitäten, diese umzusetzen. Auch wenn die Marketingstrategen dazu geraten haben mögen, mit dem Schüler-Lafög ein neues Pferd zu besteigen, was sich natürlich besser verkauft, als nur einfach das bessere Füttern der alten, dann brauchen wir es nicht.

Und schon gar nicht brauchen wir den verwaltungstechnischen Blähbauch, der jährlich ansteigende Kosten von 316.000 für dieses Jahr bis zu 619.000 in 2013 bedeutet. Der Städte- und Gemeindebund läuft zu Recht Sturm dagegen und beklagt den unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand: Zumal für die Leistungsempfänger nach SGB II und SGB XII ein Verwaltungszirkus aufzubauen ist, der zum Jahresende seine Zelte wieder abbauen muss.
Was wir wirklich machen müssen, ist, die Ausstattung in den Kitas weiter verbessern und unsere Kinder in den Schulen individuell fördern. Dazu brauchen wir mehr Personal und vor allem gut ausgebildete Pädagogen, aber keine Hirngespinste wie das Schüler-Lafög.

Herr Minister, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD und der Linken: Steigen Sie ab von Ihrem Pferd, es ist tot, und investieren Sie dort, wo es Sinn macht: in den ersten Jahren!