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Axel Vogel spricht zur Regierungserklärung des neuen Ministerpräsidenten

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Auch wenn einige Redebeiträge heute einen anderen Eindruck nahelegen, das Aufregendste an dieser Regierungsumbildung dürfte eigentlich sein, mit wie wenig Aufregung sie über die Bühne gegangen ist. Es gibt auch gar keinen Grund zur Aufregung; denn ein Ministerpräsident ist gegangen, ein neuer Ministerpräsident ist gekommen. Das ist demokratische Normalität. Der Koalitionsvertrag ist der gleiche, die Ministerinnen und Minister sind fast alle dieselben. Ein Bruch mit der Vergangenheit fällt aus. Von Zäsur kann man in Brandenburg allenfalls mit Blick auf die Persönlichkeit des Ministerpräsidenten reden. Glamour fällt zukünftig aus, fehlende Inhalte oder Politikversagen können nicht mehr mit Charme überstrahlt werden. Sorgen muss man sich deshalb nicht um das Land, sondern allenfalls um die SPD machen, deren Platzeck-Bonus in Zukunft wegfällt. Richtig ist deshalb, dass der Amtsantritt von Dietmar Woidke keinen inhaltlichen Bruch mit der rot-roten Vergangenheit, sondern deren logische Fortsetzung darstellt. Nichts anderes habe ich aus der Rede heute gehört.

Richtig ist genauso, dass sich die Koalition wie auch der Blick der Öffentlichkeit auf die Koalition in den letzten Jahren geändert haben. Nach vier Jahren Einarbeitungszeit oder - je nach Sichtweise - Verschleiß im Amt hat sich die 2009 noch von vielen Menschen als Tabubruch empfundene rot-rote Regierung zu einer ganz normalen Koalition gewandelt. Die Revolution ist ausgefallen. Was wir seitdem zu sehen bekommen, ist die Koalition zweier im Kern sozialdemokratischer Parteien, die aus guten historischen Gründen nicht miteinander fusionieren können. Da teile ich nicht die Auffassung von Herrn Dombrowski. Meine Auffassung, meine Wahrnehmung ist: Hier sind zwei Parteien, deren Positionen sich so angenähert haben, jedenfalls auf Landesebene, dass sie inzwischen nicht weiter
auseinanderklaffen als die zwischen den Unterbezirken Hessen-Süd und Hessen-Nord der SPD.

(Zuruf der Abgeordneten Mächtig [DIE LINKE])

In Brandenburg wurde mit Rot-Rot eine Koalition begründet - Frau Mächtig, dem werden Sie sich vielleicht anschließen können -, deren Partner sich nicht ergänzen, sondern in ihrem Schwerpunkt doppelten. Völlig nachvollziehbar haben SPD und Linke daher besonderes Gewicht auf überfällige Änderungen in der Sozialpolitik, das heißt hier auf die Bearbeitung sozialer Themen von Bildung bis Arbeitsmarkt, gelegt. Das mag man konstatieren. Aber dass hier versucht wird - das finde ich bedauerlich -, für die gesamten vier Jahre eine Erfolgsbilanz aufzumachen bei einer Koalition, die sich nach ihrem Fehlstart von Katastrophe zu Katastrophe hangelte, das grenzt dann doch ans Lächerliche. Kein Wort mehr davon, dass das zu Beginn der Legislaturperiode ausgegebene Leitmotiv der „inneren Versöhnung“ zunehmend absurd wurde, nachdem immer neu auftauchende Stasi-Akten zunehmend die Frage aufwarfen, wer sich hier eigentlich noch mit wem versöhnen sollte - die Bürgerrechtler mit ihren Peinigern von einst, die DDR-Bürger mit ihrer Geschichte, die SPD mit der Linken? Kein Wort zu den Ministerrücktritten, kein Wort zu der von Matthias Platzeck losgetretenen anachronistischen Ost-West-Diskussion, aber auch kein kritisches Wort zu katastrophalen Fehlentscheidungen des FBB-Aufsichtsrates und dessen Geschäftsführung, stattdessen Lob für die angebliche Umsicht und Zielstrebigkeit des Aufsichtsratsvorsitzenden Matthias Platzeck, stattdessen der Versuch, hier eine Erfolgsstory an den Mann und die Frau zu bringen, die einer Überprüfung nicht standhält. Bemerkenswert immerhin, dass das völlig fehlgeschlagene Programm Arbeit für Brandenburg von Ihnen schon gar nicht mehr erwähnt wurde, Herr Woidke. Hier sollte der Bund für einen öffentlichen Beschäftigungssektor zahlen, und die Landesregierung wollte sich die Meriten an die Brust heften. Dieses Vorhaben musste trotz bereitgestellter Millionenbeträge absehbar schiefgehen.

(Zurufe von der Fraktion DIE LINKE)

Kaum besser die Debatte um den auch von uns unterstützten allgemeinen Mindestlohn. Wie erwartet spielte die schwarzgelbe Bundesregierung nicht mit. Das landeseigene Vergabegesetz wurde dagegen so lange auf die lange Bank geschoben, bis wir Grünen der Regierung mit einem eigenen Gesetzentwurf auf die Sprünge geholfen haben.

(Domres [DIE LINKE]: Ach Gott!)

Aber Ausführungsbestimmungen liegen bis heute nicht vollständig vor. Die für die Verwaltungskosten der Kommunen vorgesehenen Gelder liegen wie Blei auf den Landeskonten, unverändert bestehen ernste Zweifel, inwieweit das Gesetz in den Kommunen überhaupt 2012 zur Anwendung kam. Die als Riesenerfolg angeführte Einstellung von 2 000 neuen Lehrern seit 2009 ist unverändert eine Mogelpackung - das haben schon meine Vorredner angesprochen -, neue Lehrer sind nicht zusätzliche Lehrer, in Wirklichkeit sind im selben Zeitraum über 3 000 Lehrkräfte ausgeschieden. Die Landesregierung baute weiter Lehrerinnen- und Lehrerstellen ab, berücksichtigt erforderliche Neueinstellungen für die Inklusion nicht und hat keine Vorsorge für den absehbar hohen Bedarf an Lehrern in den nächsten Jahren getroffen. Jetzt kündigen Sie erfreulicherweise, Herr Dr. Woidke, weitere Einstellungen zum Abbau des Unterrichtsausfalls an. Das ist sehr begrüßenswert. Doch schon für die ab 2014 bislang benötigten 1 000 neuen Lehrkräfte pro Jahr stehen nur 450 im Land ausgebildete Absolventen bereit. Wie soll das gehen?

Im Kita-Bereich hat uns die geringfügige Verbesserung des Betreuungsschlüssels - Herr Büttner hat das bereits ausgeführt - im Ländervergleich von Platz 16 auf Platz 16 katapultiert. Weitere Schritte hin zu einer Verbesserung der Kita-Betreuung, bessere Personalschlüssel, bessere Sprachförderung, mehr Freistellungen für Leitungstätigkeiten, lässt die Landesregierung nicht erkennen.

(Zuruf der Abgeordneten Kaiser [DIE LINKE])

Aber genau dies wäre hier erforderlich, um den Anspruch auf bessere Kita-Plätze einzulösen.

Und zu guter Letzt das Schüler-BAföG, ein Programm, das hohe Bürokratiekosten mit sich bringt und ähnlich dem Betreuungsgeld der Bundesregierung nur mit gutem Zureden unter die Leute gebracht werden kann. Wie man allerdings ohne Evaluation, alleine aufgrund der Tatsache, dass man das Geld am Ende doch noch losgeworden ist, den Schluss ziehen kann, ein sozial erfolgreiches Projekt hingelegt zu haben, das erschließt sich uns nicht.

(Beifall B90/GRÜNE)

Einzig die finanzielle Konsolidierung ist als Erfolg zu verbuchen. Dahinter stehen aber auch unverändert hohe Transferleistungen durch Solidarpakt und Länderfinanzausgleich wie auch verbesserte Steuereinnahmen aufgrund einer insgesamt positiven Konjunktur, die auch bei uns durchschlägt. Dabei verkennen wir nicht, dass die Startbedingungen für Rot-Rot aufgrund der Bankenkrise 2009 und des damit verbundenen Konjunktureinbruchs nicht besonders üppig waren.

In der heutigen Diskussion sind die genannten Punkte sicher nachrangig, denn viel bedeutsamere Folgen von Fehlentscheidungen werden erst in den nächsten Jahren offen zu Tage treten. Wir sagen auch sehr deutlich: Dietmar Woidke tritt ein schweres Erbe an, das in dieser Legislaturperiode mit Sicherheit auch nicht mehr zu einem guten Ende gebracht werden kann.

(Oh! bei der SPD - Zurufe von der SPD)

Konzentrieren wir uns also auf diejenigen Hypotheken, deren Bearbeitung keinen langen Aufschub duldet.

(Weitere Zurufe von der SPD)

Sie glauben doch nicht im Ernst, dass Sie das Projekt Flughafen innerhalb eines Jahres zu Ende bringen! Das glaube ich nun wirklich nicht.

Das Thema Flughafen BER hatte der Ministerpräsident bereits angesprochen. Laut Koalitionsvertrag sollte dieses „wichtigste Infrastrukturprojekt der Region“ 2011 in Betrieb gehen - so viel zur relativen Bedeutungslosigkeit von Koalitionsverträgen. Aber wo stehen wir denn heute, nach elf Jahren Wirken von Matthias Platzeck im Aufsichtsrat? Es gibt keinen Eröffnungstermin, es gibt keine belastbare Kostenschätzung, es gibt keine Geschäftsführung - doch, es gibt eine Geschäftsführung, in der allerdings die Fetzen fliegen -, es gibt keinen neuen Aufsichtsratsvorsitzenden vom Fach, die Brandschutzanlage funktioniert immer noch nicht und der Drehkreuzaspirant AIR Berlin hat finanzielle Schlagseite und verkauft ein Flugzeug nach dem anderen.

Umsicht und Zielstrebigkeit? Obendrauf haben wir jetzt noch einen von Matthias Platzeck berufenen „Hans Dampf in allen Gassen“ als Geschäftsführer, der immer neue Ideen gebiert. Besonders schön hat dies letzte Woche der Berliner Abgeordnete Evers für Mehdorns Idee der Offenhaltung von Tegel auf den Punkt gebracht: Das sei anfangs „eine geniale Kommunikationsstrategie“ gewesen, um von den BER-Problemen abzulenken. Jetzt überziehe Mehdorn aber.

Ich gewinne, ehrlich gesagt, zunehmend den Eindruck, dass der ganze Mehdorn Bestandteil einer Kommunikationsstrategie ist, um von den BER-Problemen abzulenken.

(Beifall B90/GRÜNE und FDP)

Wie aus dem Buch des Flughafenarchitekten Gerkan immer deutlicher wird, haben Politik und Geschäftsführung das Großprojekt BER mit einer Kakofonie von Anweisungen und immer neuen Änderungswünschen gemeinsam vergeigt. Und wie aus dem Bericht des ehemaligen Controllers Roth deutlich wird, wurden Controllingberichte geschönt, um zu verhindern, dass die Politik aus der katastrophalen Situation die richtigen Schlüsse zieht und der Geschäftsführung das Handwerk legt.

Das von Matthias Platzeck mit zu verantwortende verbissene Festhalten an FBB-Geschäftsführer Schwarz ist mitursächlich für die mehrjährige Verzögerung der Eröffnung, die sich auf über eine Milliarde Euro Zusatzkosten für den Steuerzahler aufsummieren wird - ein Schaden, der nonchalant an den Steuerzahler weitergereicht und die Einnahmeüberschüsse Brandenburgs der letzten Jahre aufzehren wird.

Wir begrüßen es ausdrücklich, dass Sie, Dr. Woidke, nicht in den Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft eintreten wollen. Mit der Entsendung des Staatssekretärs Bretschneider haben Sie sich aber zugleich selbst den Weg verbaut, einen qualifizierten Manager auf Brandenburger Ticket an die Spitze zu rücken, einen Manager, für den die fachgerechte Abwicklung von Großprojekten zum Alltagsgeschäft gehört oder zumindest gehörte. Öffnen Sie die Blackbox BER! Sorgen Sie jetzt wenigstens für einen rückhaltlosen Kassensturz und die Offenlegung der Business-Pläne. Verabschieden Sie sich von dem Glauben, dass dieser Flughafen jemals Erträge abwirft, wenn man ihn nur groß genug macht!

(Beifall B90/GRÜNE und FDP)

Überlassen Sie die Großmannssucht anderen und sorgen Sie dafür, dass dieser Flughafen in seiner Kapazität an die Lage im urbanen Raum angepasst wird und nicht umgekehrt. Das Thema Schallschutz haben Sie angesprochen. Ausgeblendet blieb, dass - im Gegensatz zu den Auflagen aus dem Planfeststellungsbeschluss und vollmundigen Ankündigungen - die Flughafengesellschaft wenig bis gar nichts gemacht und die Aufsichtsbehörde im MIL tatenlos zugesehen hat. Bis heute wurde keine einzige - in Ziffern: 0 - Schallschutzmaßnahme für den Tagschutz abgeschlossen - bei einem Flughafen wohlgemerkt, der schon seit zwei Jahren in Betrieb sein sollte. Zu Herrn Görke: In Wirklichkeit werden 80 % der Betroffenen überhaupt keinen baulichen Schallschutz, sondern eine begrenzte Entschädigung erhalten. Auch das muss man sagen, auch das ist ein Problem, dem wir uns stellen müssen.

Dafür, dass beim Thema Lärmschutz endlich Rechtsfrieden einkehrt und die Tricksereien zum Nachteil der Bürgerinnen und Bürger ein Ende haben, spricht allerdings nichts. Seelenruhig lässt der Aufsichtsrat Mehdorn gewähren und Nichtzulassungsbeschwerde gegen das OVG-Urteil einlegen, während dieser gleichzeitig den Bürgermeistern vor Ort verkündet, dass er sich an das OVG-Urteil halten wolle. Na, was denn nun? Herr Ministerpräsident, sorgen Sie für Klarheit!

(Beifall des Abgeordneten Goetz [FDP])

Auch beim Volksbegehren für ein landesplanerisches Nachtflugverbot warten wir auf positive Ergebnisse. Aber statt jetzt mit dem erfolgreichen Volksbegehren und dem Landtagsbeschluss im Rücken eine starke Position aufzumachen und eine Frist für die Verhandlungen zu setzen, geben Sie mit Ihrer heutigen Rede auch noch die Option einer Änderung des Planfeststellungsbeschlusses im Alleingang aus der Hand. Das ist wahrlich kein guter Beginn.

Hypothek Nummer 2: die Bildungspolitik. Immer noch bricht jeder 12. Schüler seinen Schulbesuch vorzeitig ab oder beendet seine schulische Laufbahn ohne Abschluss. Die Landesregierung weiß, dass für eine signifikante Reduzierung der Schulabbrecherzahlen die individuelle Förderung aller Schülerinnen und Schüler verbessert werden muss. So steht es jedenfalls im Koalitionsvertrag. Und die Antwort heißt zunächst einmal: Pilotschulen Inklusion.

Die 84 Pilotschulen sind bis 2014 gesichert, aber wie es dann weitergehen soll, steht in den Sternen. Hunderte zusätzliche Lehrkräfte würden benötigt, wenn man das Pilotmodell auf alle Schulen übertragen würde. Aber hier greift ein zentrales Problem Brandenburger Bildungspolitik. Für Pilotprojekte werden ausreichend Personal und Finanzen zur Verfügung gestellt, aber wehe, die Pilotphase ist beendet und die Ergebnisse sollen verallgemeinert werden! Dann müssen die vorhandenen Bildungsträger die neuen Leistungen weitgehend mit dem vorhandenen
Personal erbringen.

Bei dem Pilotprojekt Inklusion sind die offenen Fragen nach dem Übergang in die weiterführenden Schulen, nach Betreuung im Hort und dem weiteren Fortgang nach Ende des Inklusionsprojekts weiterhin unklar. Die Ministerin schreibt trotz ihrer ursprünglichen Ankündigung Inklusion nicht im Schulgesetz fest und entwirft keinen Plan für die weiteren Schritte nach dem Auslaufen des Projekts.

(Beifall B90/GRÜNE)

Aus diesen Erfahrungen resultiert auch unsere Forderung, Inklusion endlich im Schulgesetz zu verankern. Herr Dr. Woidke, übernehmen Sie!

Freie Schulen: Dass staatlich und öffentlich nicht zwangsläufig deckungsgleich ist, fällt der Sozialdemokratie und den Linken traditionell ohnehin schwer zu verstehen. Insofern verwunderte bei der traditionellen Fixierung auf die staatlichen Schulen nicht, dass die Schulen in freier Trägerschaft im Koalitionsvertrag nicht einmal erwähnt sind. Dabei sind Freie Schulen auch in Brandenburg häufig der Innovationsmotor, nicht nur in puncto Inklusion.

Nicht von ungefähr haben in den letzten Jahren Freie Schulen in Neuruppin und Templin Bundespreise eingeheimst. Daher war nicht zu erwarten, dass Rot-Rot an dieser Stelle in den Kulturkampf einsteigen und versuchen würde, mit Mittelkürzungen den Freien Schulen den Hahn abzudrehen und so nebenbei lästige Konkurrenz für das staatliche Schulsystem loszuwerden.

Inzwischen liegt der Fall zur Entscheidung vor dem Verfassungsgericht. Aber verfassungsgerichtliche Entscheidungen herbeizuführen ist immer nur das letzte Mittel in politischen Auseinandersetzungen. Herr Dr. Woidke, Sie hätten es in der Hand, hier eine politische Lösung herbeizuführen. Die berühmte Hochschulpolitik: Im Hochschulbereich liegt der Anteil der Ausgaben am Gesamthaushalt mit Abstand hinter der in allen anderen Bundesländern - schlimm genug -, aber gerade in dem Moment, als mit doppelten Abiturjahrgängen und Wegfall der Wehrpflicht der Ansturm auf die Hochschulen des Landes am größten wurde und die Hochschulen zumindest temporär mit mehr Geld hätten ausgestattet werden müssen, schlug die Sparkeule zu. Statt 12 Millionen Euro Mehrausgaben, wie noch in der Koalitionsvereinbarung formuliert, wurden die Hochschulen seit 2010 mit einer 12 Millionen Euro hohen globalen Minderausgabe malträtiert, bis diese 2013 für den Rest der Legislaturperiode titelscharf festgeschrieben wurde. Herr Dr. Woidke, der Nachtragshaushalt ist angesprochen worden, beenden Sie diese unhaltbare Situation!

Energiepolitik und Braunkohle: Ich spare mir jetzt weitestgehend die klimapolitische Diskussion. Allen Energiestrategien zum Trotz droht der seit Beginn der Legislaturperiode kontinuierlich weitergehende Anstieg des Ausstoßes des Treibhausgases CO2 die von Rot-Rot bereits aufgeweichten Ziele für 2020 erneut Makulatur werden zu lassen. Heute geht es um etwas anderes. Wer Augen hat zu sehen, der sieht, dass Vattenfall auf dem besten Wege ist, sich in den nächsten Jahren aus der Lausitz zu verabschieden. Zunehmend geringer ist die Bereitschaft des Eigentümers Schweden, sich für die Dorfzerstörungen und Umweltschäden in Brandenburg in die moralische Mithaftung nehmen zu lassen. Unverkennbar ist genauso, dass trotz der Milliardengewinne der letzten Jahre die Bereitschaft Vattenfalls denkbar gering ist, sich den Risiken der Energiewende für seine Braunkohlesparte weiter auszusetzen.

Die Vattenfall-Manager Løseth und Hatakka haben viel klarer erkannt, als es die IG BCE und vermutlich auch Herr Ness wahrhaben wollen, dass das aktuelle Zwischenhoch bei der Braunkohleverstromung eine letzte Scheinblüte darstellt, eine Scheinblüte allerdings, die einem Verkauf des Lausitzer Braunkohlebetriebs gerade zupass kommt. Deshalb wäre, ganz abgesehen von der klimapolitisch verheerenden Wirkung, eine Genehmigung neuer Tagebaue auch das falsche Signal an den Vattenfall-Konzern. Eine solche Genehmigung würde die Bergwerkssparte für den Verkauf aufhübschen und Vattenfall den Absprung aus Brandenburg auch noch vergolden. Wer Vattenfall im Lande halten will, wer nach den fetten Jahren billiger Emissionen und satter Renditen den Hauptprofiteur der Ausbeutung der Lausitz, den Konzern Vattenfall, in die Pflicht nehmen will, der muss jetzt aus eigenem Interesse das Genehmigungsverfahren beenden.

(Beifall B90/GRÜNE)

Sehr geehrter Herr Dr. Woidke, niemand erwartet von Ihnen eine sofortige Absage an die Braunkohleverstromung. Auch wir Grünen haben keinen Zweifel daran, dass die Braunkohle, wenn auch in ständig sinkenden Mengen, bis auf Weiteres zur Verstromung genutzt wird. Wie lange dies dann am Ende noch sein wird, darüber lässt sich trefflich streiten.

Herr Ness, die Umfrage von forsa besteht ja nicht nur aus bunten Bildern, die Sie vielleicht angeguckt haben, sondern es gibt auch Detailzahlen, die ich Ihnen einfach einmal zur Lektüre empfehle. Demnach halten 9 % - nur 9 %! - der Lausitzer die Braunkohle für notwendig und unverzichtbar. 41 % der Lausitzerinnen und Lausitzer sind der Auffassung, dass die Nachteile die Vorteile überwiegen. 39 % sehen es andersherum. Das klingt doch schon ganz anders, als das, was Sie dargestellt haben.

(Beifall B90/GRÜNE)

Eines sollte Ihnen als Lausitzer klar sein: Wenn zwei Drittel - und das sind dann die bunten Bilderchen - der befragten Sachsen die Lage in ihrem Bundesland Sachsen als gut einschätzen, wenn lediglich 40 % der befragten Lausitzer aus Brandenburg die Lage im Bundesland Brandenburg als gut einschätzen, aber nur 29 % der befragten Lausitzer insgesamt die Lage in der Region Lausitz als gut einschätzen, wenn nach zwei Dekaden Aufpäppelung der Braunkohle Arbeitslosigkeit und Abwanderung in der forsa-Umfrage unverändert als größte Probleme in der Region eingestuft werden, dann ist es doch allerhöchste Eisenbahn, in eine andere Entwicklungslogik einzusteigen.

(Beifall B90/GRÜNE)

Dabei ist der Strukturwandel weg von der Kohle hin zu neuen Arbeitsplätzen in anderen Industriezweigen der Lausitz längst angelaufen. Das blenden wir doch nicht aus. Angesichts sinkender EU-Mittel muss jetzt aber die verbliebene Zeit zum Aufbau weiterer alternativer Erwerbsarbeitsplätze genutzt werden. Am schlimmsten wäre es, weiter der Illusion nachzuhängen, dass die Arbeitsplätze in der Braunkohle auf lange Zeit, auf lange Sicht abgesichert werden können. Mit solchem Wunschdenken wurde schon die Neustrukturierung des Ruhrgebiets um Jahrzehnte verzögert - mit Milliardenkosten für die Verbraucher.

Herr Dr. Woidke, nehmen Sie Vattenfall und seine Angestellten mit in das neue Zeitalter der erneuerbaren Energieversorgung! Geben Sie den Menschen in der Lausitz die Sicherheit, dass Vattenfall bleibt und mit den Brandenburgern die Energiewende gestaltet! Verbinden Sie das schwedische Ansinnen, die CO2-Emissionen drastisch zu verringern, und unser gemeinsames Ziel, Vattenfall im Lande zu halten! Packen Sie die schwedische Regierung bei ihrer sozialen Verpflichtung! Präsentieren Sie mit einem zeitlich überschaubaren Ausstiegsszenario
aus der Braunkohle den Schweden die Möglichkeit, Geschäft, klimapolitische Zielsetzungen und soziale Verantwortung miteinander zu verbinden! Wir unterstützen Sie dabei gerne.

(Beifall B90/GRÜNE)

Genauso gern unterstützen wir Sie beim weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien. Fakt ist, dass dieser Ausbau zum Erliegen
kommt. Die ausgewiesenen Windeignungsfelder sind proppenvoll,
die Zielvorgabe 2 % der Landesfläche für Windenergie
ist mangels Personals und Kapazitäten in den Regionalen Planungsgemeinschaften
in die Zukunft vertagt. Demnächst wird
der Zubau von Windkraftanlagen vollständig zum Erliegen kommen,
weil die Flächen fehlen.

Fakt ist auch, dass der fehlende Netzausbau im 110-kV-Bereich
seit Jahren bejammert und beklagt wird und hierfür der Bürgerwiderstand
verantwortlich gemacht wird. Tatsächlich liegt aber
seit Jahren kein einziger Genehmigungsantrag von E.ON edis
und envia für den Netzausbau vor. Nutzen Sie Ihre neue Macht
und lösen Sie diese Widersprüche auf!

Zur Landwirtschaftspolitik: Was vor vier Jahren in dieser Form
noch nicht vorhersehbar war: Die landwirtschaftlichen Flächenpreise
explodieren, Grund und Boden sind zum Spielball
für Spekulanten geworden. Mancherorts bieten die Finanzinvestoren
einer neuen Agrarindustrie schon mehr als 25 000 Euro
für einen Hektar Land. Das sind Preise, die durch landwirtschaftliche
Arbeit nie und nimmer refinanziert werden können,
die auf Spekulationen, falsche Förderanreize und eine verfehlte
Privatisierungspolitik zurückzuführen sind.

Parallel steigen die Anträge auf Zulassung von Anlagen einer
industrialisierten Massentierhaltung. 100 000 Hühner auf einem
Fleck werden langsam die Regel. Immer mehr Schweine
werden in immer weniger Betrieben, durchrationalisierten Betrieben,
mit minimalen Arbeitsplatzeffekten gehalten. Brandenburg
wird zum Eldorado für Hühnerbarone und Schweinemäster,
die andernorts ihr Feld räumen müssen.

Inzwischen belegt unsere Landwirtschaft aufgrund dieser Konzentration
in der Flächenproduktivität und der Zahl der Arbeitsplätze
den drittletzten Platz in Deutschland.

(Zuruf des Abgeordneten Folgart [SPD])

Unsere Landwirtschaft nähert sich Strukturen an, die den Großgrundbesitz des 19. Jahrhunderts weit übertreffen, Herr Folgart. Wenn der Landrat des Kreises MOL - wohl wirklich kein grüner Parteigänger - inzwischen beklagt, dass mehr als 20 % der landwirtschaftlichen Nutzflächen seines Kreises in der Hand von drei Betrieben sind, dann wird auch erkennbar, wie viel gesellschaftliche Macht in wenigen Händen konzentriert wird. Stoppen Sie den Ausverkauf der Agrarflächen! Nutzen Sie die Möglichkeiten des Siedlungsgesetzes und sorgen Sie dafür, dass diese Flächen ausschließlich dafür genutzt werden, gezielt bäuerliche Strukturen in Brandenburg zu fördern! Wir haben genug Großbetriebe.

Lassen Sie mich neben diesen schweren Hypotheken auf zwei weitere Punkte eingehen: die Flüchtlingsunterbringung und die Wahrung der Minderheitenrechte der Sorben und Wenden in unserem Land.
Bei der Unterbringung von Flüchtlingen kann man getrost von einer dramatischen Situation, aber auch von Stillstand und Nichtumsetzung von Landtagsbeschlüssen sprechen. Mit den Kommunen konnte keine Verständigung über das Unterbringungskonzept des Landes erzielt werden. Gleichzeitig ist die Zentrale Aufnahmestelle in Eisenhüttenstadt überfüllt und die Zahl der Flüchtlinge steigt weiter.

Wir hatten gerade die Diskussion über die syrischen Flüchtlinge. Gerade weil Sie sich erklärtermaßen für ein offenes und tolerantes Brandenburg einsetzen, muss hier dringend was geschehen, und ich bin sicher, dass es bei Ihnen auch in guten Händen ist.

(Beifall B90/GRÜNE)

Und kümmern Sie sich bitte darum, dass die Diskussion über das angestammte Siedlungsgebiet der Sorben nicht aus dem Ruder läuft. Die Anerkennung und Absicherung von Minderheitenrechten kann nicht der Mehrheitsentscheidung vor Ort überlassen bleiben. Wenn der Bürgermeister von Lubin, auch Lübben genannt, das die Kriterien für die Einordnung in das sorbische Gebiet erfüllt, allen Ernstes die Ansicht vertritt, dass das Sorbentum nur der touristischen Vermarktung dienen, aber keine Auswirkungen auf die Kommunalpolitik haben darf, dann ist eine Grenze überschritten. Brandenburg darf nicht zum Gegenstand europaweiter Kritik werden, die Minderheitenrechte sind zu gewährleisten. Dr. Woidke aus Barsc, handeln Sie! Natürlich müsste in den nächsten zwölf Monaten auch noch viel in puncto schnelles Internet geschehen; das hat die CDU angesprochen.

Ausgestaltung der EU-Förderung, Sie haben es auch angesprochen. Diese Punkte werden wir in dieser Debatte nicht mehr angemessen behandeln können, es fehlt die Zeit. Aber diese Aufzählung macht auch deutlich, dass es mit der vorgeblichen Abarbeitung des Koalitionsvertrages noch nicht so weit her ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Rede wäre unvollständig, wenn ich nicht die Gelegenheit nutzte, allen Respekt vor der Entscheidung von Matthias Platzeck zu bekunden, aus den bekannten gesundheitlichen Gründen sein Amt zur Verfügung zu stellen.

Jeder hier im Saale weiß um die politischen Differenzen, die BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit Matthias Platzeck haben und gehabt haben. Das fängt bei der fatalen Lobbypolitik für die Braunkohle an und hört bei dem Ausblenden eigener Verantwortung für das BER-Desaster noch lange nicht auf. Aber wir sagen auch: Mit Matthias Platzeck hatte dieses Land lange Jahre einen hervorragenden, einen herausragenden Umweltminister, der mit seinem Eintreten für einen modernen integrativen Naturschutz die Naturschutzpolitik im europäischen Maßstab veränderte. Mit der Ausstrahlungskraft des Brandenburger Beispiels wurde der Naturschutz bundesweit vom Kopf auf die Füße gestellt. Hierfür hat er in den 90er-Jahren zu Recht Naturschutzpreise und bundesweit Auszeichnungen verliehen bekommen.

Für uns Grüne ist allerdings festzuhalten, dass die mit dem Aufstieg von Matthias Platzeck in der SPD-Führung bis hoch in den Bundesvorstand und die mit seiner Wahl zum Ministerpräsidenten des Landes verbundene Hoffnung, dass hier ein Mann sich anschickt, eine Partei und ein Land zu verändern, die alte Tante SPD und die alte Mark gleichermaßen zu modernisieren und inhaltlich neu auszurichten hin zu einer Politik der Nachhaltigkeit, des Gleichklangs von sozialer und demokratischer Teilhabe, der Verbindung von ökologischen und ökonomischen Zielen, sich nicht erfüllt hat. Hier hat - das nehmen wir sehr bedauernd zur Kenntnis - nicht der Mensch das Amt
geformt, sondern - wie es häufig ist - ein Amt den Menschen.

Visionäre Zielvorgaben gab es schon lange nicht mehr. Der Begriff der Nachhaltigkeit wurde nicht in den Mittelpunkt der Politik der Staatskanzlei gestellt, sondern ins Umweltministerium abgeschoben. Die Tagespolitik hat sich zunehmend im Klein-Klein begrenzter Haushalte und im Abarbeiten hasenfüßiger Koalitionsverträge erschöpft.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, „Da ist der neue Platzeck!“, so ein Bürger laut „MOZ“ vom 24. August, als er unvermittelt auf den da noch designierten neuen Ministerpräsidenten Woidke stieß. Das bringt ein grundsätzliches Problem auf den Punkt: Ministerpräsidentenamt und Person waren im Lande mit den Jahren zu einer Einheit verschmolzen. Mit einem Bekanntheitsgrad hart an der 99-%-Marke hat Matthias Platzeck alle anderen Landespolitiker hinter sich gelassen. Wir anderen sind alle mediale Zwerge. Doch die Gleichsetzung von Mensch und Amt ist in unserer Demokratie fatal.

Sie bestärkt viele Menschen noch in ihrer Auffassung, dass der Mensch an der Spitze allein entscheidet. Völlig verloren geht dabei das Bewusstsein, dass unsere Demokratie die nach demokratischen Grundsätzen arbeitenden Parteien benötigt, Parteien, in denen Posten und Ämter nicht vererbt, sondern in einem demokratischen Willensbildungsprozess vergeben werden,

(Beifall B90/GRÜNE)

einem Willensbildungsprozess, in dem Alternativen, auch personelle Alternativen, auf breiter Basis diskutiert und entschieden und nicht nur Hinterzimmerabsprachen auf Parteitagen abgesegnet werden.

Gerade der SPD, die seit über 20 Jahren die Politik hier im Lande dominiert, käme hier eine besondere Verantwortung zu. Ich hatte eigentlich gehofft, dass Matthias Platzeck seiner Partei die Zeit gibt, über solche Alternativen zu diskutieren: Wie ist die Lage im Land? Wo will die SPD auf welchen Wegen hin? Und wer sind die geeignetsten Persönlichkeiten, um diesen Weg zu gehen? - angesichts der dünnen Personaldecke der SPD im Prinzip ziemlich risikolos; denn zumindest an Dietmar Woidke - und das sage ich durchaus anerkennend - hätte letztendlich kein Weg vorbeigeführt. Aber genau diese Diskussion ist ausgefallen.

Nehmen wir nur einmal als Beleg den damaligen Fraktionsvorsitzenden der SPD, Herrn Ralf Holzschuher, der in der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“, im Interview wohlgemerkt, vom 3. August erklärte, dass er am Samstag erfahren habe, dass er Innenminister werden soll. Von wem er das erfahren hat, vernehmen wir nicht. Aber es wird deutlich, dass der Chef des parlamentarischen Zentrums der Landes-SPD an solchen Entscheidungen nicht etwa mitwirkt, sondern sie ihm mitgeteilt werden. Und was macht der Fraktionsvorsitzende Holzschuher? Ruft er etwa seinen Stellvertreter an, berät sich mit ihm und diskutiert über mögliche Nachfolger in seiner Funktion? Anscheinend kein Gedanke. Er redet - das ist sein Zitat - mit seiner Frau und sagt am Sonntag zu. Er musste ja auch keinen Gedanken an seine Nachfolge verschwenden, weil die informelle Führungsrunde sich längst auf Herrn Ness als Nachfolger geeinigt hatte.

(Zurufe von der SPD und der Fraktion DIE LINKE)

Es ist diese Vermischung von Parteiarbeit, Fraktionsarbeit und Regierungsfunktionen, die Konzentration der Entscheidung auf kleine Zirkel, die unser parlamentarisches System langsam, aber stetig auszuhöhlen droht, und deswegen ist es nicht nur eine Sache der SPD.

(Beifall B90/GRÜNE - Zurufe von der SPD und der Fraktion DIE LINKE)

Diese Kritik am Zustandekommen des Personaltableaus möchte ich deutlich trennen von einer Bewertung des neuen Ministerpräsidenten.

Der Wechsel zu Dietmar Woidke, dem als Allererstes der Ruf der unaufgeregten Bodenständigkeit vorauseilt,
ist zunächst eine Chance, das Land pragmatisch bis zum Ende der Legislaturperiode zu führen. Gerade auch, weil
niemand und zuallerletzt wir Bündnisgrünen Dietmar Woidke als Repräsentanten einer modernen SPD einstufen, weil wir keine besonderen Erwartungen einer Neuausrichtung der Brandenburger Politik an ihn hegen, hat er alle Chancen, haben Sie alle Chancen, uns positiv zu überraschen. Ich mache keinen Hehl daraus, dass der Agrarökonom Dr. Woidke als Agrar- und Umweltminister eine ganze Menge Leute mit seiner Nachgiebigkeit gegenüber dem Agrarbereich nicht gerade begeistert hat.

(Zuruf des Abgeordneten Folgart [SPD] sowie weitere Zurufe von der SPD)

- Da kenne ich mich auch gut aus, Herr Folgart, da können Sie sicher sein.

Aber wir konstatieren, dass er als Innenminister ein ganz anderes Bild abgegeben hat. Das Innenministerium gilt heute als gut geführtes Haus. Herrn Woidke gelang es, die Diskussion über die Polizeistrukturreform zu versachlichen und überzogene Einsparvorgaben zurückzunehmen. Aber nicht nur das. Als ein ehemaliger Stasi-Aktivist nach dem anderen in der Polizei aufflog, hat er sich gegen die erklärte Position von Matthias Platzeck für verdachtsunabhängige Überprüfungen stark gemacht und mit Erfolg auf eine Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes gedrängt. Die Bewerber für die neu zu vergebenden Führungspositionen in der Polizei wurden überprüft und Konsequenzen gezogen. „Denn das lag auch und gerade im Interesse der Polizei selbst“, wie er damals zu Recht verkündete. Das war jetzt ein wörtliches Zitat. Während andere Kabinettskollegen die Hände in den Schoß legten, hat Dietmar Woidke hier Rückgrat gezeigt.

Als die Polizei in Neuruppin in einer wahrhaft missglückten Aktion rund 300 Demonstranten, die sich einem Naziaufmarsch entgegenstellten, einkesselte und erkennungsdienstlich behandelte, hat er die Kritik nicht einfach abgebürstet, sondern Konsequenzen gezogen. Seitdem hat es trotz einer Vielzahl von Blockadeaktionen gegen Naziaufmärsche keinen vergleichbaren Fall mehr gegeben. Ich denke, das kann, das muss auch gesagt werden, und man muss seine heutige, auch heute wieder klare Positionierung gegen den Nazispuk würdigen.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt SPD und DIE LINKE)

Aber dennoch: Die heutige Regierungserklärung hatte - freundlich gesagt - ihre Lücken. Sie war in viele Worte gekleidete Inhaltsleere und zumeist nicht mehr als ein Recycling früherer Verlautbarungen der Staatskanzlei.

(Zurufe von der SPD)

Auch wenn ich zugebe, dass man Rotbuschtee mehrfach aufbrühen kann - irgendwann wird er schal und geschmacklos. Soweit Probleme benannt wurden, wurde keine Lösung präsentiert. Außer der Nothilfe für den Unterrichtsausfall - ich hatte es angesprochen, es steht in den Sternen, wie das dann abgesichert werden soll, aber immerhin - wurde kein neues Projekt präsentiert.

Wir benötigen aber keine Stillstandskoalition, die noch den nächsten Wahltermin erreichen will, sondern eine Regierung, die sich nicht scheut, auch von ihr selbst verursachte Probleme anzusprechen und Lösungsvorschläge zu unterbreiten. Und das war erkennbar heute noch nicht der Fall.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Aufgabe war es nicht und ist es auch heute nicht, ein grünes Regierungsprogramm zu entwerfen und Rot-Rot daran zu messen. Ein grünes oder grünrotes oder rot-grünes Regierungsprogramm kann man nur mit den Grünen in der Regierung haben.

(Zurufe von der SPD und von der Fraktion DIE LINKE)

Das ist bei einer Regierung, die in ihrer Koalitionsvereinbarung den Begriff der Nachhaltigkeit umschiffte wie die Nordatlantikfahrer die Eisberge, erkennbar nicht der Fall. Und auch Ihnen, Herr Dr. Woidke, kam der Begriff der nachhaltigen Entwicklung wie auch der Begriff Umwelt heute nicht über die Lippen. Den Entwurf eines modernen Brandenburg haben wir in Ihrer Rede nicht wirklich heraushören können. Uns wichtige Themenbereiche wie beispielsweise ein Neuanlauf zur Länderfusion von Brandenburg und Berlin wurden gar nicht erst angesprochen.

Aber auch wenn Sie die Chance heute noch nicht genutzt haben, darzulegen, wo Sie demnächst Ihre eigenen Furchen ziehen und nicht nur in der Spur des Vorgängers ackern wollen - wir geben die Hoffnung nicht auf, dass Ihre Regierung Entwicklungspotenzial hat.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, Dr. Woidke, alles Gute, ein erfolgreiches Wirken zum Wohle des Landes und nicht nur für die Sie tragenden Parteien. Von uns, Herr Dr. Woidke und liebe Regierungsmitglieder, haben Sie die Zusage, dass wir Ihnen als konstruktive Opposition dabei genauso wie Ihrem Vorgänger mit kritischen Kommentaren und hilfreichen Anregungen zur Seite stehen. Sollte aber mal Not am Mann oder an der Frau sein oder die Regierungskoalition mal wieder nicht in die Puschen kommen, dann werden wir Ihnen gern mit weitergehenden Anträgen und Gesetzesinitiativen auf die Sprünge helfen.

In diesem Sinne recht herzlichen Dank.

(Beifall B90/GRÜNE sowie SPD und DIE LINKE)

Redemanuskript als PDF