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Axel Vogel spricht zur Großen Anfrage "Umgehende Verbesserung für Bedingungen für SED-Opfer und eine nachhaltige Vermittlung der DDR-Geschichte"

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Es gilt das gesprochene Wort! -

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Bürgerinnen und Bürger,

auf 124 Fragen in fünf Minuten einzugehen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Ich versuche mich kurz zu halten und konzentriere mich auf einige Aspekte, die ich für wesentlich halte. Vorab nur so viel: wesentliche Erkenntnisse lassen sich aus den Antworten der Landesregierung nicht herauslesen. Vieles wissen wir schon aus der Enquete Aufarbeitung.

In der Antwort der Landesregierung wird festgestellt, dass es „bei der Behandlung von Menschen, denen in der DDR Unrecht widerfuhr", keine Defizite gab. Lediglich die „Erwartungshaltung" der Opfer sei nicht immer erfüllt worden. Das wiederum ist dann doch eine neue und sehr exklusive Erkenntnis.

Jeder weiß, dass die Anerkennungs- und Bewilligungsquoten bei Rehabilitierungen in unserem Land teilweise deutlich unter den Zahlen anderer Länder liegen oder gelegen haben. Die Landesregierung hat das schwarz auf weiß. Jeder weiß, wie fatal das Fehlen einer Diktaturbeauftragten in Brandenburg über fast zwei Jahrzehnte war. Es gab bei uns keinen einzigen professionellen Ansprechpartner für die Opfer von Repression und Bevormundung. Es ist oft genug gesagt worden, übrigens auch von Seiten der Landesregierung, dass dies ein Grundfehler brandenburgischer Aufarbeitungspolitik war. Der Ministerpräsident sprach dabei von den „Fehlern der Vergangenheit" (TSP, 25.07.11). Und selbst die LINKE konstatiert von „sichtbaren Defiziten" (PM Kerstin Kaiser vom 18.02.11) beim Umgang mit politisch Verfolgten und Benachteiligten.

Es ist kein gutes Zeichen für die Ernsthaftigkeit einer so wichtigen Debatte, wenn die Landesregierung hier eine ganze Palette von Interpretationen anbietet. Denn welche Einschätzung gilt denn nun? Das Wort des Ministerpräsidenten und von Frau Kaiser oder das Rumgedruckse in der hier vorliegenden Antwort? Das, was uns hier präsentiert wird, fällt weit hinter die durchaus bemerkenswerte Rede des Ministerpräsidenten vor wenigen Tagen in der Leistikowstraße oder die Äußerungen zum 50jährigen Mauerbaugedenken in der Heilandskirche zurück.

So diffus wie die allgemeinen Einschätzungen, so misslich ist die Situation oft im Konkreten. Mit der Empathie für diejenigen, denen in der DDR schweres Unrecht widerfahren ist, war es oft nicht so weit her. Ich will Ihnen das an einem Beispiel verdeutlichen. Die Landesregierung ist befragt worden, wie sich das Land Brandenburg auf Bundesebene für die Opfer der Diktatur eingesetzt hat. Die Antwort ist sehr aufschlussreich. Da wird dann auf das sogenannte „Opferrente"-Gesetz abgehoben, dem das Land Brandenburg im Bundesrat zugestimmt habe. Soweit, so wenig erwähnenswert. In dem einschlägigen Gesetz wird Menschen, die aus politischen Gründen lange Zeit eingesperrt wurden, eine „Opferrente" in Höhe von 250,00 Euro zugestanden – vorausgesetzt, sie gelten als „bedürftig". Die Thüringer Landesregierung wollte diese Bedürftigkeitsprüfung kippen, weil es nicht um eine soziale Wohltätigkeit, sondern um die Anerkennung von Unrecht geht. Es wäre schön gewesen, wenn die Landesregierung sich auch dazu positioniert hätte. Dabei hätte sie auch erwähnen können, dass der Anspruch auf Opferrente in Brandenburg – im Gegensatz zu den anderen neuen Ländern – ausnehmend kleinlich geprüft wurde. Mit der Folge, dass viele Ansprüche in Brandenburg abgewiesen wurden. Ansprüche, die andernorts selbstredend anerkannt wurden. So viel Redlichkeit sollte sich die Landesregierung bei den Antworten auf Anfragen gönnen. In dem vorliegenden Papier ist von all dem nichts zu lesen, stattdessen wird uns die Zustimmung zu einem Bundesgesetz unter dem Label „Initiativen der Landesregierung" verkauft.

Auf das novellierte Stasi-Unterlagen-Gesetz werden wir ja morgen noch einmal zu sprechen kommen. Nur so viel: es wirft ein bezeichnendes Schlaglicht auf den eigenen Aufarbeitungsanspruch, wenn die Gesetzesnovellierung – wie in der Antwort der Landesregierung vermerkt – von Brandenburg aktiv unterstützt wurde, wenn es zur Anwendung kommen soll, es aber sofort einen Grundsatzstreit in der Landesregierung kommt. Wir erinnern uns: Während Herr Woidke die Gesetzesnovelle ausdrücklich begrüßte, erklärte sein Kabinettskollege Markov mal eben: „Dieses Gesetz weise ich zurück." Hier ist Rot-Rot offensichtlich der rote Faden gehörig abhanden gekommen.

Wir lesen in der vorliegenden Anfrage dann auch häufig von dem Erinnerungskulturkonzept „Geschichte vor Ort", das die Landesregierung 2009 vorlegte. Dieses Konzept war in der Tat ein Meilenstein für die Brandenburger Erinnerungskultur. Um so schwerwiegender ist es, dass aus der damaligen Bestandsaufnahme kaum Konsequenzen gezogen wurde. Auch darüber gibt die Antwort der Landesregierung nämlich ein beredtes Zeugnis: Schon 2009 wurden, wie es damals hieß, „Desiderate der bisherigen Aufarbeitung" festgestellt. Vielleicht hätten die Kolleginnen und Kollegen von der CDU hier noch deutlicher nachfragen sollen. Denn es wäre schon spannend gewesen zu erfahren, was seit 2009 passiert ist, um die damals benannten Leerstellen bei der Aufarbeitung z.B. bei Bodenreform und Zwangskollektivierung zu beheben.

In Thüringen, meine Damen und Herren, wurde vor zehn Jahren ein neues Landtagsgebäude eingeweiht. Dabei hat die Straße vor dem Parlament einen neuen Namen erhalten. Sie heißt jetzt Jürgen-Fuchs-Straße, in Erinnerung an den bekannten DDR-Bürgerrechtler. Was spricht eigentlich dagegen, auch bei uns die Erinnerung auf diese Weise wach zu halten? In Potsdam beantragen die Grünen zur nächsten Stadtverordnetenversammlung, dass eine Straße, die noch immer einem ehemaligen Chef der DDR-Volkspolizei gewidmet ist, nach einem Maueropfer benannt wird. Hier wird es mit der Erinnerungskultur und der Würdigung von Opferschicksalen ganz konkret. Ich bin gespannt, wie die anderen Fraktionen sich bei der Abstimmung verhalten.

Ein letzter Punkt: hinter den ganzen Zahlen, die uns die Landesregierung hier präsentiert, stehen Menschen. Menschen, denen in der DDR Unrecht widerfahren ist. Über die Opfer der Diktatur heißt es im Tätigkeitsbericht der LakD: „Sie leiden unter einem gesellschaftlichen Klima, in welchem die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR verklärt und die Diktatur verharmlost wird. Viele von ihnen vermissen eine angemessene Würdigung ihres Widerstands und des Leids, das ihnen durch das SED-Regime zugefügt wurde." Die Landesregierung hätte die Chance gehabt, hierzu etwas zu sagen. Sie hat die Chance leider nicht genutzt.