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Axel Vogel spricht zum bündnisgrünen Antrag "Transparente und einheitliche Stasi-Überprüfung in der Landesregierung"

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- Es gilt das gesprochene Wort! -

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Bürgerinnen und Bürger,

lassen Sie mich noch einmal kurz den Anlass für unsere Initiative skizzieren: Im Lauf des vergangenen Jahres musste der Justizminister die Zahlen stasibelasteter Richter und Staatsanwälte mehrfach nach oben korrigieren. Er hat das Zahlenwirrwarr mit den „schlampigen Statistiken" in seinem Haus begründet. Doch sein Haus ist da in guter – oder vielmehr schlechter – Gesellschaft.

Vom Arbeitsministerium haben wir vor Kurzem noch gehört, dass im Höheren Dienst niemand mit Stasi-Vita arbeite. Wenige Monate später war es dann die Presse, die den Minister eines Besseren belehren musste. Die Angaben des Arbeitsministers waren genauso wie die des Justizministers plötzlich Makulatur. Heute wissen wir: Eine Referatsleiterin hatte bei ihrer Einstellung über ihre Stasi-Vergangenheit gelogen. Befördert wurde sie trotzdem. Und hinterher wollte niemand mehr etwas davon wissen. Als der Fall an die Öffentlichkeit kam, hat sich der Minister die Begründung der Betroffenen zu eigen gemacht: wahrscheinlich sei sie zur Stasi-Mitarbeit erpresst worden. Eine Version, die von Experten bekanntlich mehr als bezweifelt wird.

Nun hat der Arbeitsminister die Personalakten seines Hauses prüfen lassen. Und was kommt dabei heraus? 14 MitarbeiterInnen seines Hauses sind nachweislich nie nach einer Stasi-Mitarbeit befragt worden. Das ist ein kleines Beispiel für das, was Fachleute meinen, wenn sie von der Brandenburger „Anarchie" bei der Stasi-Überprüfung sprechen. Abhängig von Ministerium und Einstellungsdatum gab es Überprüfungen oder nicht, Konsequenzen bei aufgedeckten Lügen oder nicht, von sofortiger Entlassungen bis zu weiteren Beförderungen war alles möglich. Eine Anarchie, die bis zum heutigen Tag andauert.

Begleiterscheinung dieser speziellen Brandenburger Verhältnisse ist, dass das Hohe Haus mehrfach mit Falschinformationen abgespeist wurde. Und wie soll man es nennen, wenn VertreterInnen der Landesregierung bis hin zum MP ernsthaft behaupten, Brandenburg sei das wohl am besten untersuchte Land – während gleichzeitig die Behörde, die es wohl am besten wissen muss, das glatte Gegenteil feststellt? Unbedarftheit oder bewusste Täuschung? Beides steht einer Regierung nicht gut zu Gesicht.

Aber rekapitulieren wir noch einmal mal die letzten Monaten. Am 31. Dezember 2011 ist das neue Stasi-Unterlagen-Gesetz in Kraft getreten. Einen Tag vorher verkündete Justizminister Schöneburg, dass in Zukunft für alle BewerberInnen um höhere Ämter in der Justiz Auskünfte bei der Stasi-Unterlagen-Behörde eingeholt werden sollen. Was bis dato aus Gründen eines vermeintlichen „Vertrauensschutzes für die Betroffenen" vom Minister abgelehnt wurde, wurde plötzlich befürwortet – wenngleich in bescheidenem Umfang und erst nach erheblichem öffentlichen Druck. Interessant war die offizielle Begründung: es gehe jetzt darum, „dem drohenden Verlust des Vertrauens in die Justiz [...] entgegenzuwirken". Vertrauen in die Justiz herstellen, statt Vertrauensschutz für den ehemaligen IM, das ist jetzt der richtige Ansatz. Von einer transparenten verfahren, bei dem die Prüfungsergebnisse auch veröffentlicht werden, sind wir damit aber immer noch meilenweit entfernt.

Aber halten wir fest: im Justizministerium gibt es jetzt immerhin ein verdachtsunabhängiges Prüfverfahren, auch wenn das nur für einen Bruchteil der Personen gilt, die das Stasi-Unterlagen-Gesetz vorsieht.

Das hätte der Minister auch einfacher haben können, wenn er sich früher mal in der Kabinettsrunde bei seinem Kollegen Woidke erkundigt hätte. Der hatte sich nämlich schon frühzeitig dafür eingesetzt, Probleme zu lösen statt sie auszusitzen. Der hat die neu zu vergebenden Führungspositionen der Polizei überprüfen lassen, weil er wusste: „Das liegt auch und gerade im Interesse der Polizei selbst." Der Innenminister ging davon aus, dass das Vertrauen in staatliche Autoritäten eben nicht geschützt wird, wenn ständig mit neuen Enthüllungen zu rechnen ist. Wer in einer Leitungsfunktion arbeitet, soll nicht wegen seiner Vergangenheit erpressbar sein, für Denunziationen soll es keine Grundlage geben, jedem Generalverdacht soll der Boden entzogen werden.

Mit der Überprüfung der Polizeiführungskräfte, das halten wir an dieser Stelle auch noch einmal fest, hat sich das Innenministerium für ein verdachtsunabhängiges Prüfverfahren entschieden. Nicht die Presse soll wieder den IM der Woche präsentieren und den Dienstherren dazu zwingen, aus diesem Anlass einen Fall zu überprüfen. Nein, der Dienstherr nimmt selbst das Heft des Handelns in die Hand, prüft Inhaber hervorgehobener Positionen und entscheidet über dienstrechtliche Konsequenzen.

Eigentlich sollte der Ansatz des Innenministers eine Selbstverständlichkeit sein: es ist bekannt, dass in Brandenburg viele ehemalige Stasi-Kader und IM im öffentlichen Dienst untergekommen sind.

Doch es ist eben keine Selbstverständlichkeit. Den bemerkenswertesten Beleg dafür lieferte unser stellvertretender Ministerpräsident. Unvergessen ist das, was Herr Markov im November zur Debatte beisteuerte, als er den Innenminister wegen seiner Stasi-Linie attackierte. Der stv. MP sagt zu einem Bundesgesetz, dass er es „zurückweise" und sein Ministerkollege Woidke es nicht einfach zur Arbeitsgrundlage für sein Haus machen könne. Die Presse hat diesen Eklat zurecht als „bisher einmalig [...] in der brandenburgischen Landespolitik" bezeichnet (PNN, 07.11.12).

Wo also stehen wir heute? Wir haben einen Innenminister, der sich für eine Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes stark gemacht hat, damit er Führungskräfte überprüfen kann. Wir lesen in der Presse, dass Herr Woidke sich wünscht, „dass wir auch bei den anderen Verwaltungsspitzen nicht in neue Stasi-Diskussionen kommen" (PNN, 16.03.12). Das ist eine klare Ansage – und das ist ein Wunsch, der mit dem Kabinettsbeschluss vom Dienstag ein frommer Wunsch bleiben wird.

Der Arbeitsminister sagte, er lässt prüfen, ob er überprüfen wird. Zumindest diejenigen, die bisher nie überprüft wurden. Der Justizminister wiederum macht eine halbe Rolle rückwärts und setzt eine de-Facto-Regelüberprüfung für alle Aufstiegsaspiranten fest. Und der Finanzminister befand, dass sich die Frage nach Überprüfungen ohnehin nicht stelle, da das Gesetz ja gar keine Arbeitsgrundlage darstelle – ein Urteil, das er unter öffentlichem Druck inzwischen wieder relativiert hat.

Rot-Rot, meine Damen und Herren, hat bei diesem so wichtigen Thema offensichtlich völlig den roten Faden verloren. Keine Linie, stattdessen haben wir in den letzten Wochen und Monaten ein heilloses Durcheinander und eine Informationspolitik erlebt, deren Halbwertszeit von schnörkelloser Begrenztheit ist.

Und jetzt? Am Dienstag wurde uns ein Kabinettsbeschluss präsentiert, der weit hinter das zurückfällt, über was wir heute sprechen. Da wird vermeldet, dass MinisterInnen und StaatssekretärInnen zukünftig auf eine Tätigkeit für das MfS überprüft werden sollen. Als ob es das nicht schon längst gegeben hätte! Da wird gesagt, wenn RichterInnen, Beamte und andere Beschäftigte erstmals die Leitung einer Behörde übernehmen, soll es eine Prüfung geben. Abgesehen davon, dass das für Richter ja schon längst beschlossen war: halten Sie das ernsthaft für ein angemessenes Verfahren? Für die meisten dieser Fälle hätte sich Herr Woidke seinen Einsatz bei der Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes sparen können. Richter und Behördenleiter hätten jederzeit überprüft werden können, dazu hätte das Gesetz gar nicht überarbeitet werden müssen! Und glauben Sie wirklich, dass damit das Problem gelöst wird? Wäre so bekannt geworden, dass der Polizeichef von Cottbus früher Untersuchungsführer der Stasi war – auch ohne Polizeistrukturreform? Wäre so der Fall der Referatsleiterin im Arbeitsministerium bekannt geworden, die über ihre Stasi-Vergangenheit log und trotzdem Karriere machte?

Im Kabinett heißt es, es sollen zukünftig „anlass bezogene Auskunftsersuchen [...] möglich sein zu Personen, die eine Funktion mit besonderer Vertrauensstellung oder besonderer öffentlicher Verantwortung oder Wahrnehmung". Was heißt das denn? Wer legt fest, wen das betrifft? Das ist auf jeden Fall nicht das, was wir mit unserem Antrag für ein transparentes und einheitliches Verfahren fordern! Kein Wort zum Verfahren der Überprüfung, keine Silbe zu der Frage, welche Konsequenzen die Prüfungen haben sollen.

Das ist zu wenig: „einheitliche Grundsätze" dürfen nicht einen Schmalspur-Konsens auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner bedeuten! Zwei Drittel der Brandenburgerinnen und Brandenburger lehnen ehemalige Stasi-Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst ab. Man muss eine solch rigorose Haltung nicht teilen, aber als Stimmungsbild doch zumindest ernst nehmen.

Das Stasi-Unterlagen-Gesetz hat einen klaren Rahmen für Überprüfungen festgelegt. Überprüft werden können alle Beschäftigte öffentlicher Stellen in Leitungsfunktionen ab Vergütungs- bzw. Besoldungsgruppe E/A 9. Wenn Sie immer wieder davon sprechen, dass rot-rot dafür stehe, dass es keine Überprüfung aller Beschäftigten geben wird, kann ich Ihnen nur sagen: Natürlich nicht. Das will auch niemand. Das geht auch rechtlich gar nicht. Hören Sie bitte auf, die Öffentlichkeit für dumm zu verkaufen!

Wir haben Ihnen in unserem Antrag genau all die herausgehobenen Positionen benannt, bei denen die Möglichkeiten des Gesetzes sinnvollerweise genutzt werden sollten. Ich kann nur an Sie appellieren: Nutzen Sie die Chance, die damit verbunden ist! Es nützt doch niemandem, wenn unsere Landesregierung nur noch als Getriebener von Medien, Forschung und Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Genau das wird aber passieren, wenn Sie mit Ihrer Schmalspur-Konsens-Politik weitermachen. Das schadet nicht nur der Koalition, es schadet auch dem Ruf unseres Landes. Es war kein gutes Zeichen, dass Sie der heutigen Diskussion und Beschlussfassung im Plenum mit ihrem unzureichenden Kabinettsbeschluss zuvorkommen wollten. An die Kollegen von Linker und SPD appelliere ich: Sie können mit der Überweisung unseres Antrages in den Fachausschuss heute ein Zeichen setzen: Das Zeichen, dass der Landtag die Landesregierung unterstützen will in dem Bemühen Politik zu gestalten Sie statt wie bisher nur den Schaden zu verwalten!

Vielen Dank.