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Axel Vogel spricht auf der Landtags-Sondersitzung zu "Chaos am Willy-Brandt-Flughafen"

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Aufsichtsrat lupfte den Deckel und ließ etwas Dampf entweichen - so die „Süddeutsche Zeitung“ zur Sitzung des Aufsichtsrates der FBB am 16. August, genauer: zur Sitzung des Aufsichtsgremiums der vollständig im öffentlichen Eigentum stehenden Flughafengesellschaft Berlin Brandenburg GmbH.

Bevor die sprichwörtlichen Spökenkieker etwas genauer in das Gebräu gucken konnten, war der Deckel schon wieder zugeklappt. „Näheres nach der nächsten Sitzung am 14. September“, heißt es nun für die interessierte Öffentlichkeit und für uns Abgeordnete, Näheres zu dem wirklichen Eröffnungstermin, zu Kosten, Finanzbedarf und Finanzierungsquellen, erst nächstes Mal.

Nichts Genaues weiß man also nicht. Aber immerhin weiß man schon von 1,177 Milliarden Euro zusätzlichem Finanzbedarf und mindestens 430 Millionen Euro benötigter Überbrückungskredite, um die sich abzeichnende Liquiditätslücke abzudecken - Geld, das benötigt wird, um eine Insolvenz abzuwenden. Das kann man doch auch einmal ansprechen, ohne dass man als Überbringer schlechter Botschaften gescholten wird.

(Beifall GRÜNE/B90, CDU und des Abgeordneten Goetz [FDP])

Wer das meiste Geld aufbringen darf, weiß man auch schon: die Steuerzahlenden. Bereits Wochen vor der Aufsichtsratssitzung hatte der linke Finanzminister Helmuth Markov das Zeichen gesetzt und im vorauseilenden Gehorsam 252 Millionen Euro in den Haushaltsentwurf 2013/2014 eingestellt.

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Das war gut so!)

Er will mit einem Haushaltsvermerk den Zugriff auf weitere 372 Millionen Euro Rücklagen sichern. Adieu Schwankungsreserve, sage ich da nur. Wenn diese Rechnung aufgeht, wird es eines Nachtragshaushaltes nicht bedürfen, auch dann nicht, wenn der bislang öffentlich verkündete Anteil des Landes von 435 Millionen Euro nicht ausreichen sollte. Ich frage Sie: Wie fühlen Sie sich als Linke, wie fühlen Sie als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, wenn hier kurzerhand dreistellige Millioneneurobeträge für eine notleidende Landesgesellschaft über den Tisch geschoben werden sollen?

(Beifall GRÜNE/B90)

Wurde letztes Jahr nicht der finanzielle Kollaps des Bildungssektors an die Wand gemalt, wenn nicht sofort die Zuschüsse für die freien Schulen gekürzt werden? Wurde nicht den Hochschulen des Landes eine globale Minderausgabe in Höhe von 12 Millionen Euro aufgedrückt?

(Beifall GRÜNE/B90 und CDU)

Und nun 220 Millionen Euro plus x allein 2013 für den Flughafen! Wissen Sie, wie viel im gleichen Jahr für die Hochschulen zur Verfügung stehen? Insgesamt 299 Millionen Euro! Ich sage das nur, um zu zeigen, in welchen Dimensionen wir uns bewegen.

(Frau Hackenschmidt [SPD]: Aber eines gegen das andere auszuspielen finde ich fürchterlich!)

Wenn wir Grüne heute über die Gefährdung der Sicherheit und Zukunft Brandenburgs reden, dann reden wir über den Sprengstoff für unseren Landeshaushalt. Wir reden nicht über einen islamistischen Gefährder, der in den Sicherheitsdienst am Flughafen gar nicht erst hätte eingestellt werden dürfen. Denn nicht dieser junge Mann, der aufgrund der Aufmerksamkeit unserer Sicherheitsbehörden innerhalb von zwei Tagen aus dem Verkehr gezogen wurde, ist unser primäres Problem. Das wahre Problem für die Sicherheit und Zukunft unseres Landes ist das Handeln der FBB mit all ihren Gremien und Entscheidungsträgern,

(Beifall GRÜNE/B90 und CDU)

deren Fehleinschätzungen nicht nur ein kaum abzuschätzendes Haushaltsrisiko für das Land, sondern auch ein massives Glaubwürdigkeitsdefizit der Politik insgesamt hervorgerufen haben.

Das, was wir mit den Vorgängen um den Flughafen BER erleben, ist einer der krassesten Fälle, nein, nicht von Politikversagen, sondern von Politikerversagen. Die Verantwortung für die Malaise ist in diesem Fall nicht einer „unsichtbaren Hand“ geschuldet, sondern Personen eindeutig zuzuordnen: Wowereit, Platzeck, Bomba - alle mit einem Blick auf der Liste der Aufsichtsratsmitglieder der FBB zu erfassen -, gefolgt von Dr. Körtgen und Prof. Dr. Schwarz.

(Beifall GRÜNE/B90)

Geplant mit ursprünglich 2 Milliarden Euro erreichen die Kosten inzwischen mehr als 4 Milliarden Euro. Niemand will bis vor Kurzem mitbekommen haben, dass da irgendetwas aus dem Ruder läuft. Wo waren denn die Aufsichtsratsmitglieder mit ihren Gedanken, als in insgesamt sechs Sitzungen in sechs Jahren sechsmal Erweiterungsbauten für das Terminal beschlossen wurden und sich die Baukosten von ursprünglich 565 Millionen Euro auf 1,2 Milliarden Euro mehr als verdoppelten?

(Vereinzelt Beifall GRÜNE/B90 und CDU)

Kam da niemand auf den Gedanken, dass man nicht nur mehr Geschossfläche für zusätzliches Geld bekommt, sondern dass man dazu irgendwann mehr Geld als eingeplant benötigen könnte?

(Beifall GRÜNE/B90 und vereinzelt CDU)

Dachte niemand daran, dass hier irgendwann der Kostenrahmen gesprengt würde und Nachschüsse der Gesellschafter ausgelöst werden müssen? War niemandem aufgefallen, dass Welten zwischen dem Planfeststellungsbeschluss und den dort festgesetzten Lärmschutzmaßnahmen sowie dem angesetzten Kostenrahmen bestanden und sich das irgendwann einmal rächen muss? Konnte es bei vier Sitzungen im Jahr überhaupt jemandem auffallen, dass man möglicherweise auf Basis unzureichender Informationen entschied? Hat man sich jemals einen Kopf darüber gemacht, dass alle Gesellschafter ihre Zuarbeiten auf der Basis desselben Controllingberichts erhielten? Ehrlich gesagt, ich habe nicht den Eindruck, dass alle Aufsichtsratsmitglieder die laut Gesellschaftsrecht vorgeschriebene Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters an denTag legten.

(Beifall GRÜNE/B90, CDU und des Abgeordneten Goetz [FDP])

Nur gut, dass laut GmbH-Recht nicht die Gesellschaft den Aufsichtsratsmitgliedern nachweisen muss, dass diese unkorrekt gehandelt haben, sondern umgekehrt. Man darf angesichts dieser gesetzlichen Beweislastumkehr schon einmal mit Spannung dem Verlauf des Untersuchungsausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus entgegensehen.

Als Brandenburger Abgeordnete hatten wir jedenfalls bisher nur beschränkte Möglichkeiten, alle - von der FBB-Geschäftsführung vollständig als Betriebsgeheimnis deklarierten - Aufsichtsratspapiere frei zu lesen oder uns gar öffentlich darüber zu verbreiten. Alles, was uns Abgeordnete über die Aufsichtsratsunterlagen hinaus noch interessieren könnte - Businessplan, Zielvereinbarungen, Boni für den Geschäftsführer -: Geschäftsgeheimnisse!

Nebenbei bemerkt: Ich kann mir keine Zielvereinbarung vorstellen, mit der auch nur ein einziger Euro Bonus für Prof. Dr. Schwarz und Dr. Körtgen hätte gerechtfertigt sein können.

(Beifall GRÜNE/B90 und CDU)

Aber anscheinend hatte diese Zielvereinbarung so viele Schlupflöcher, dass ein Sieb dagegen eine Betonwanne ist. Wie gesagt: undurchschaubar für uns, alles Geschäftsgeheimnis. Wobei uns die letzte Zeit eines gelehrt hat: Geheim ist zwar alles. Das heißt aber nicht, dass es nicht doch den Weg in die Öffentlichkeit findet. Fast alle Aufsichtsratspapiere haben inzwischen ihren Weg in den öffentlichen Raum gefunden. Aus den Zeitungen erfahren wir mehr als aus dem Mund unserer Vertreter im Aufsichtsrat.

(Zuruf von der CDU: Ja, so ist es!)

Manche als vertraulich deklarierte Papiere, zum Beispiel der Sachstandsbericht BER vom 25. Juni 2012, lassen sich inzwischen aus dem Internet herunterladen. Gleiches gilt für die Änderungen am Terminal, die den teilnehmenden Fraktionsvorsitzenden am 22. Juni vom Ministerpräsidenten als vertrauliche Unterlagen weitergereicht wurden - ich habe hier vertraulich draufgeschrieben - und die, ich staunte bei meinen Recherchen am Sonntag nicht schlecht, auf der Internetseite der Staatskanzlei als PDF-Datei heruntergeladen werden können.

(Genilke [CDU]: Sonst hätten Sie sie auch nicht bekommen! - Heiterkeit bei der CDU)

So weit zum Thema vertrauliche Insiderinformationen der Fraktionsvorsitzenden durch den Ministerpräsidenten.

(Frau Wehlan [DIE LINKE]: Sie haben selbst darum gebeten!)

Nein, so kann man uns nicht abspeisen, und so dürfen sich auch weder Rechnungshöfe noch das Parlament abspeisen lassen. Was immer am Ende als Zuschussbedarf für die FBB ansteht: Ohne Änderung des Gesellschaftsvertrages und ohne Einführung weitergehender Akteneinsichts- und Kontrollbefugnisse für Rechnungshöfe und Abgeordnete, ohne vollständige Offenlegung der Aufsichtsratsprotokolle und Controllingberichte werden wir Grüne keiner Mittelaufstockung zustimmen.

(Beifall GRÜNE/B90)

Ohne Vorlage eines geprüften neuen Businessplans, der aufzeigt, wie sich die Einnahmen und die Ausgaben in den nächsten Jahren absehbar entwickeln, sollte keiner hier im Hause zustimmen, wenn er sich nicht dem Vorwurf völliger Gleichgültigkeit gegenüber Geldverschwendung ausgesetzt sehen will. Denn eines ist offenkundig: Diese Landesregierung wird - koste es, was es wolle - alles unternehmen, um eine Insolvenz der FBB zu verhindern. Das haben wir schließlich gehört. Da wird man auch einmal alle fünfe gerade sein lassen, wenn nur auf diesem Weg die Flughafenpleite verhindert werden kann.

(Ness [SPD]: Wollen Sie die Pleite?)

- Niemand will die Pleite.

(Ness [SPD]: Sie reden im Augenblick ganz anders!)

Aber alle diese geplanten Geldspritzen stehen unter einem gewaltigen Vorbehalt: Ob die EU-Kommission zustimmen wird, ob die Banken für einen Überbrückungskredit auf einer Patronatserklärung bestehen oder ob sie sich mit einer neuen Beständigkeitserklärung zufriedengeben - alles dicke Fragezeichen.

Machen wir uns nichts vor: BER ist für uns Brandenburger „Griechenland im Kleinformat“. Es zeigt im Kleinen die
Probleme auf, die die große Politik kaum zu handhaben versteht. Es reicht eben nicht, einen großen Geldbedarf zu haben, sondern man muss auch jemanden finden, der einem das Geld gibt. Da sieht es bei Griechenland und der FBB gleichermaßen beschränkt aus; denn beide werden vom Bankensystem nicht mehr als kreditwürdig eingestuft

(Beifall des Abgeordneten Burkardt [CDU])

So war bereits bei der Bewilligung des ersten Kreditvolumens in Höhe von 2,4 Milliarden Euro keine einzige Bank zu finden, die die üblichen Bürgschaftserklärungen des Bundes und der Länder als ausreichend akzeptiert hätte. Stattdessen mussten - ziemlich einmalig übrigens - Bund und Länder eine hundertprozentige Bürgschaft auf erstes Anfordern übernehmen, wobei die Kreditgeber zugleich von allen banküblichen Sicherheiten und Sorgfaltspflichten befreit wurden.

Zusätzlich mussten die Gesellschafter Beständigkeitserklärungen abgeben, wonach sie bis zu zwei Jahre nach der Eröffnung des Flughafens ihre Geschäftsanteile halten und den Kredit zusätzlich mit Swaps besichern, die heute mit mehr als minus 200 Millionen Euro zu Buche schlagen.

Schon heute zeichnet sich ab, dass allein zu diesen Bedingungen ein Überbrückungskredit nicht zu erhalten sein wird. Ich denke, das sagt einiges über die Risikoeinschätzung der Banken aus, die im deutlichen Gegensatz zu den hier jahrelang verkündeten Erwartungen eines „Goldesels Großflughafen“ stehen. Der eine oder andere von Ihnen wird sich da fragen: Was soll das? Die Sicherheiten werden sich schon finden lassen, und EU-Notifizierungen sind schließlich alltägliches Geschäft. Was soll da schon schiefgehen? - Ich verstehe, dass Sie uns als notorische Kassandrarufer einstufen und sich von uns im eigenen Glauben, dass am Ende schon alles gut ausgehen werde, nicht über Gebühr behelligen lassen wollen. Schauerlich ist nur, dass wir Bündnisgrünen mit unseren Warnrufen bisher immer Recht hatten.

(Holzschuher [SPD]: Ach!)

Ich erinnere nur an die von unserer Großen Anfrage am 29. September 2011 ausgelöste Debatte zur Wirtschaftlichkeit des damals noch unter „BBI“ firmierenden Flughafens - eine denkwürdige Debatte, bei der Minister Christoffers wörtlich ausführte:

„Ich gehe davon aus, dass die Gesellschaft die auf sie zukommenden Lasten allein tragen muss, ohne dass ihr zusätzliches Kapital bereitgestellt werden kann.“

„Welch ein Irrtum!“, möchte man mit Ernst Jandl dazu ausrufen und ganz nebenbei feststellen, wie lang die Verfallsdauer solcher Aussagen ist: keine elf Monate.

(Beifall GRÜNE/B90 und CDU)

Bereits im September 2011 hatte ich minutiös ausgeführt, dass der Flughafen schon nach eigenem Bekunden eine Kostendeckung des laufenden Betriebes nicht erreichen wird, dass er ohne Profitabilitätssprung seine Kredite nicht bedienen kann und dass die Abschreibungen und Zinszahlungen auf Jahre hinaus zu massiven Verlusten führen, die langsam, aber sicher das aufgestockte Eigenkapital aufzehren werden.

Dafür durfte ich mir dann von Herrn Homeyer anhören, dass ich den Flughafen „brutalstmöglich in Grund und Boden“ rede, und das von Herrn Homeyer, der inzwischen - wie viele seiner Fraktionskollegen auch - erklärt, in puncto Flughafen jeden Glauben an die Aussagen der Flughafengeschäftsführung und der Landesregierung verloren zu haben - einen Glauben, den wir Grüne schon lange nicht mehr aufbringen konnten.

Kommen wir nun zum Risikofaktor Notifizierung - Herr Büttner hat es bereits angesprochen -: Notifizierungspflicht bei der EU besteht für die Aufstockung des Eigenkapitals, für Beihilfen, Garantien, Bürgschaften, Patronatserklärungen und was einem sonst noch so alles an Instrumenten zur finanziellen Absicherung einfallen mag.

Die Europäische Union hat kein Interesse daran, dass mit Steuermitteln ein Flughafen genährt wird, der den innereuropäischen Wettbewerb verzerrt - übrigens nur ein Flughafen von insgesamt 23 in einem Wettbewerbsverhältnis stehenden deutschen Flughäfen, für den die Europäische Union wohl keinen Grund sieht, hier besonders viele Augen zuzudrücken.

Wer glaubt, eine EU-Notifizierung sei mehr oder weniger Routine, dem sei ein Blick zum Nürburgring in Rheinland-Pfalz empfohlen. Dort wurde die von einem ehemaligen SPD-Bundesvorsitzenden geführte Landesregierung damit konfrontiert, dass der Verlust von mehr als 300 Millionen Euro allein kein
Grund ist, einem relativ niedrigen Überbrückungsdarlehen zuzustimmen.

Das Ergebnis ist bekannt: Die landeseigene Nürburgringgesellschaft ist pleite, und der frühere Finanzminister
freut sich nach eigenem Bekunden auf das angesetzte Strafverfahren wegen Untreue, da es ihm die Möglichkeit bietet, einmal so richtig seine Unschuld zu beweisen.

(Heiterkeit bei der Fraktion GRÜNE/B90)

Natürlich ist das alles nicht vergleichbar - das ist es vorher nie -, aber doch ein Menetekel, für uns alle zur Warnung. Dabei ist es in derartigen Fällen das Normalste der Welt, dass die Europäische Union die Zustimmung zu solchen Mittelzuführungen an Auflagen zur Privatisierung der Staatsbetriebe knüpft. Ein Blick nach Nordrhein-Westfalen möge reichen, wo die von der Europäischen Union erzwungene Zerschlagung der WestLB zu der Bildung einer Bad Bank und einem Anstieg der Landesschulden im zweistelligen Milliardenbereich geführt hat.

Wir meinen: Der Weg ist vorgezeichnet. Das Privatisierungsbegehren, das bekanntlich auch an der Wiege des Flughafens BER stand, wird früher oder später in Gestalt der EU-Kommission auf uns zurückkommen. Als Folge drohen die Verluste dann sozialisiert und die zukünftigen Gewinne privatisiert zu werden. Bis die Europäische Union uns zu einer Privatisierung zwingt, wollen wir Grünen aber gar nicht erst warten, sondern wir fordern von der Landesregierung bereits heute, mit den Mitgesellschaftern ein Privatisierungskonzept für den Zeitraum bis zum Greifen der Schuldenbremse im Jahr 2019 zu erreichen; denn die Folgekosten für diesen Flughafen drohen uns ansonsten jeden Haushalt zu zerschießen.

(Beifall GRÜNE/B90)

Ich komme zum sogenannten Lärmschutzkompromiss. Dazu ein kurzer Blick auf das große Ganze: Der Flughafen befindet sich aufgrund des Drucks des damaligen Bundesverkehrsministers Wissmann und des damaligen Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen am falschen Standort. Das ist für uns heute nicht mehr heilbar.

(Zurufe der Abgeordneten Frau Wehlan [DIE LINKE] und Holzschuher [SPD])

Aber für jeden ist unmittelbar erkennbar, dass im urbanen Umfeld natürlich andere Rahmenbedingungen gelten müssen als auf der freien Heide. Wenn ein Flughafen in einem solchen Umfeld wirtschaftlich betrieben werden soll, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder der Flughafen wird in Größe und Betrieb der Lage im dichtbesiedelten Raum angepasst, das heißt, Flugfeld und Terminal richten sich in Größe und Betriebsführung an einem strikten Nachtflugverbot, an Taglärmschutz und weiteren sozialen und Umweltkriterien aus, oder es wird versucht, das Umfeld an den Flughafenbetrieb anzupassen, also: Entsiedelung und umfassende Lärmschutzmaßnahmen und, wo das nicht möglich ist, Ruhigstellung der Bevölkerung durch Entschädigungszahlungen.

Dabei besteht eigentlich gar kein Zwang zu Gigantismus. Es ist ein Irrtum, dass nur ein möglichst großer Flughafen wirtschaftlich arbeiten könne. Auch ein kleinerer Single-Airport hätte es getan und könnte wirtschaftlich betrieben werden; Tegel zeigt uns das tagtäglich.

(Frau Wehlan [DIE LINKE]: Damals war doch klar, dass das ein internationales Drehkreuz wird!)

Wirtschaftlichkeit ist keine Frage der Größe, sondern des Betriebskonzeptes. Das kann Ihnen übrigens jeder Landwirt mit einem Familienbetrieb nachvollziehbar erklären.

(Beifall GRÜNE/B90 - Zuruf des Abgeordneten Holzschuher [SPD])

Leider haben sich die Eigentümer für Variante 2 entschieden, und das auch noch inkonsequent.

(Frau Wehlan [DIE LINKE]: Sie waren für Schönefeld, und da war klar, dass es ein internationales Drehkreuz wird!)

Da angemessene Lärmschutzmaßnahmen das Betriebsergebnis schmälern würden, hat man sich auf das Tricksen verlegt, um diesen Ausgabeposten möglichst gering zu halten. Ich erwähne den Versuch, eine sechsmalige Überschreitung des Grenzwertes von 55 dB gegen den Wortlaut des Planfeststellungsbeschlusses durchzusetzen, und ich erwähne die Einführung einer Kappungsgrenze von 30 % des Verkehrswertes für Lärmschutzmaßnahmen
und Entschädigungszahlungen.

Als Trickserei wird vor Ort auch die Stichtagsregelung für die Berechnung des Verkehrswertes empfunden, da Wertverluste aufgrund des vorher nicht absehbaren Konsensbeschlusses aus dem Jahr 1996 unberücksichtigt bleiben. Bei einfachen Häusern - das macht ungefähr 90 % aus - sind dann allenfalls noch Schallschutzfenster im Erdgeschoss möglich; eine Dämmung des Daches, wo der meiste Lärm eingetragen wird, ist finanziell jedoch nicht mehr drin.

Es kommt noch „toller“: Der Schallschutz wird umso schlechter, je niedriger der Verkehrswert ist - wegen des niedrigeren Werts nach Kappung. Da der Verkehrswert umso niedriger ist, je intensiver ein Grundstück überflogen wird, erhalten die schwach belasteten Bürger - mit mäßiger Entfernung zum Flughafen - einen besseren Schutz als die hoch belasteten Bürger, deren Grundstücke aufgrund der Lärmbelastung nichts mehr wert sind. Das kann doch niemand ernsthaft wollen. Das Ergebnis dieser Tricksereien ist bekannt: Eine Region ist im Aufstand. Klagen, Demonstrationen, Volksinitiative und Volksbegehren - das volle Programm.

Der Landtag hat sich häufig auf Initiativen der Grünen hin mit den Lärmschutzmaßnahmen befassen müssen. Er hat mitunter auch windelweiche Entschließungsanträge der Regierungsfraktionen verabschiedet, weil diese der Regierung und der FBB nicht in den Arm fallen wollten. Entscheidungen, die man hier im Haus nicht treffen wollte, wurden an die Gerichte delegiert - mit wechselndem Erfolg für die Lärmbetroffenen.

Aber kaum hatten die Lärminitiativen mit dem OVG-Beschluss zur Durchsetzung des Lärmschutzprogramms doch einmal Erfolg und die Klarstellung erhalten, dass der Grenzwert von 55 dB tagsüber keinmal in Innenräumen erreicht werden darf, schon hat sich die Landesregierung eine neue Finte ausgedacht und die „krumme Null“ entdeckt.

Das geht so: Das „keinmal“ des OVG-Beschlusses wurde als mathematisch „null Mal“ interpretiert. „Alle bis 0,49 wird auf null abgerundet - das weiß doch jedes Kind!“, haben sich die Zahlenjongleure in der Landesregierung gedacht und haben das mit einem entsprechenden Erklärungsschreiben an die FBB gleich in die Tat umgesetzt. Zudem findet man in Deutschland für alles eine DIN, was in diesem Fall die DIN 1333 mit den Rundungsregeln war. „Wir lassen uns in unserer Definitionsmacht doch nicht von einem OVG beschneiden“, mag sich die Landesregierung auch gedacht haben.

Das Ergebnis ist bekannt: Nach diesen neuen Interpretationen der OVG-Vorgaben wären in den sechs verkehrsreichsten Monaten des Jahres 90 Grenzwertüberschreitungen in Innenräumen möglich. Ob diese Rechenmethode der Planfeststellungsbehörde in einem absehbaren Klageverfahren vor dem OVG Bestand haben wird, ist völlig offen. Somit gibt es auch bis auf Weiteres keine Rechtssicherheit - weder für die Anrainer noch für die Flughafenplaner noch für die Mittelgeber des Flughafens. Diese Auslegung des OVG-Beschlusses vom Aufsichtsrat der FBB bestätigt bekommen zu haben hat daher alle Chancen, sich noch als Pyrrhussieg für unseren Ministerpräsidenten zu erweisen.

(Beifall GRÜNE/B90 und CDU)

Das letzte Quäntchen Glauben an unsere Landesregierung dürfte bei den Lärmbetroffenen ohnehin perdu sein; denn eines ist offenkundig: Die Null-ist-gleich-Null-Variante - ohne Rundung - war von der FBB schon berechnet und mit 591 Millionen Euro Zusatzkosten eingepreist worden. Die FBB war also - anders als das Infrastrukturministerium - sehr wohl in der Lage, die konkreten Mehrausgaben des OVG-Urteils auch ohne Rundungsartistik zu berechnen. Wir Grünen sagen hier ganz klar: So nicht. Keine Tricksereien auf Kosten der Betroffenen!

(Beifall des Abgeordneten Burkardt [CDU])

Das Problem ist allerdings, dass das Infrastrukturministerium hier Tatsachen geschaffen hat, die nur noch von einem neuen OVG-Urteil im Hauptsacheverfahren geheilt werden können, wodurch vermutlich noch höhere Kosten als jetzt anfallen würden. Was bleibt, ist das schale Gefühl, dass hier Zeitschinderei auf Kosten der Betroffenen betrieben wird.

(Beifall GRÜNE/B90)

Diese Art von Anpassung der Rahmenbedingungen zugunsten der FBB lehnen wir entschieden ab. Sie ist zudem unnötig wie ein Kropf, da die Mittelzuführung für die Erstattung der Lärmaufwendungen - die wir im Grundsatz auch mittragen - an die FBB keine Wettbewerbsverzerrung darstellt und damit auch EU-unschädlich ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch wenn das Thema Terminverschiebung in der Öffentlichkeit am heißesten diskutiert wird, akzeptieren wir Grünen, dass der neu eingesetzte Technikchef Amann den Zustand der BER-Baustelle zunächst gründlich prüft und erst dann gegebenenfalls ein neuer Eröffnungstermin bekannt gegeben wird.

Inzwischen gibt es immer neue monströse Meldungen. Ich nenne nur - wie auch Herr Dombrowski - die Fluchtwege, die von Gehbehinderten nicht benutzt werden können; sie sollen sich im Falle eines Falles in gekennzeichneten Wartebereichen aufhalten, bis sie von der Feuerwehr gerettet werden können. Zudem gibt es überbelegte Kabelschächte, abgehängte Decken, hinter denen sich nicht die Leitungen und Rohre befinden, die dort sein müssten, fehlende und unzureichende Planungsgrundlagen und so weiter.

Vor der zweimaligen Verschiebung des Eröffnungstermins und der Vorfestlegung dieses Termins durch den Aufsichtsrat auf den 17. März 2013 ist die nun stattfindende solide Überprüfung offenkundig unterblieben. Mit der Vertagung der Terminentscheidung auf den 14. September ist allerdings zugleich erneut dokumentiert, dass die alte FBB-Geschäftsführung und die amtierenden Mitglieder des Aufsichtsrats bislang ihre Entscheidungen auf der Basis weitgehender Ahnungslosigkeit getroffen haben.

(Beifall GRÜNE/B90 und CDU)

Nach der Vorgeschichte ist das keine lässliche Sünde. Wir haben genauso wenig wie die Wirtschaftsverbände den Eindruck, dass das Projekt BER mit dem amtierenden Geschäftsführer noch zu einem guten Ende gebracht werden kann. Es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, dass er nur noch im Amt gehalten wird, um als letztes Schutzschild für die Aufsichtsratsvorsitzenden zu fungieren. Letztlich ist er nur noch Geschäftsführer auf Abruf, der dann geopfert wird, wenn es politisch opportun erscheint.

(Beifall GRÜNE/B90 und CDU)

Auch wenn er dann vermutlich finanziell weich fallen wird, ist das für alle Beteiligten keine angenehme Situation. Als Geldgeber und damit Mitverantwortlicher für das Projekt BER sollte der Landtag in seiner Gesamtheit ein Interesse daran haben, dass die FBB-Geschäftsführung wieder Glaubwürdigkeit genießt. Die jetzt diskutierte Variante, einen zusätzlichen Geschäftsführerposten für einen Finanzvorstand einzurichten, wäre nur eine Fortschreibung der bisherigen Strategie, immer mehr Geld in die Hand zu nehmen, um ja keine harten Konsequenzen ziehen zu müssen.

Weitere Appelle an die Vertreter Brandenburgs, Berlins und des Bundes im Aufsichtsrat kann ich mir an dieser Stelle ersparen. Angesichts der festgefügten Meinung unseres Ministerpräsidenten, nur im Aufsichtsrat Verantwortung übernehmen zu können, wird sich auch nach dieser Sitzung nichts bewegen. Aber egal, ob mit oder ohne Sitz im Aufsichtsrat: Niemand wird die politische Verantwortung für das BER-Desaster unserem Ministerpräsidenten abnehmen.

(Beifall GRÜNE/B90 und CDU)

Wir hielten es allerdings - wie immer wieder betont - für richtig, jetzt den Weg für eine Neubesetzung des Aufsichtsrates mit qualifiziertem Personal freizumachen, das über ausreichend Know-how und vor allem auch Zeit für diese fordernde Aufgabe verfügt.

Die Einschätzung, dass diejenigen, die uns die Suppe eingebrockt haben, sie auch wieder auslöffeln sollen, halte ich für falsch; denn auslöffeln müssen am Ende die Lärmbetroffenen und die Steuerzahlenden, nicht die Suppenköche. Von denen haben wir schon reichlich, weshalb wir übrigens auch keine Verstärkung mit einem „Koch“ aus Hessen benötigen.

(Beifall GRÜNE/B90 und CDU) Ich komme zum Schluss: Der BER-Aufsichtsrat hat getagt und wieder einmal das Meiste offengelassen bzw. in die Zukunft vertagt. Eröffnungstermin, Baumängel, Gesamtkosten, Überbrückungskredite - das Meiste ist, wie gesagt, offengeblieben. Statt Antworten kommen immer neue offene Fragen hinzu. Beim Lärmschutz wurde mit der Erfindung der „krummen Null“ ein halbseidener Kompromiss auf Kosten der Lärmbetroffenen geschlossen. Deutlich wurde, dass die Verantwortlichen in Bund und Ländern nun entschlossen nach dem Steuersäckel greifen.

Wir schließen uns hier Frau von Bullion aus der „Süddeutschen“ an, die zutreffend formuliert: „Berlins Flughafen muss fertig werden, aber erpressen lassen dürfen sich die Parlamente nicht. Mehr Geld aus den Kassen von Bund und Ländern darf es erst geben, wenn die Fehler klar benannt und abgestellt sind. Sonst versickert bald die nächste Milliarde in Inkompetenz.“

(Beifall GRÜNE/B90, CDU und FDP)

In diesem Sinne empfehle ich die Zustimmung zu unserem Entschließungsantrag. - Recht herzlichen Dank.

(Beifall GRÜNE/B90, CDU und des Abgeordneten Schulze [fraktionslos])

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