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Axel Vogel spricht zum „Zweiten Tätigkeitsbericht der Beauftragten des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur“

- Es gilt das gesprochene Wort! -

Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste,

Wir blicken heute auf zwei weitere Jahre des Wirkens unserer Beauftragten des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur, Frau Ulrike Poppe und ihres Teams zurück. Und sie ist in der Tat unsere Beauftragte, sie ist unmittelbar beim Landtag angesiedelt und nicht in einem Ministerium. Damit liegt die besondere Verantwortung für die inhaltliche Begleitung ihrer Arbeit wie für die Herstellung ihrer Arbeitsfähigkeit auch bei uns, dem Parlament und nicht bei der Landesregierung.

Von daher ist die Aufforderung in der Beschlussempfehlungen des Hauptausschusses, dass die Landesregierung gebeten wird, die Arbeit der Landesbeauftragten weiter zu unterstützen, zwar wohlfeil, aber sie ist unvollständig, wenn wir sie nicht auch an uns selber richten.

Und da gibt es genug für uns zu tun. Nehmen wir ein besonders bedrückendes Kapitel aus dem Bericht, der strafrechtlichen Rehabilitierung von DDR-Heimkindern. In den letzten beiden Jahren wandten sich 190 ehemalige Heimkinder an die Aufarbeitungsbeauftragte und baten um Unterstützung bei der Beantragung der strafrechtlichen Rehabilitierung.

Meistens handelt es sich um Menschen, die als Kinder oder Jugendliche aus bis heute für sie unerklärlichen Gründen durch die DDR-Jugendhilfe oder die Polizei in Spezialheime eingewiesen worden waren. Dazu

gehören die Durchgangsheime, Sonderheime, Jugendwerkhöfe und Spezialkinderheime. Sie empfanden sich für die Dauer der Unterbringung eingesperrt, isoliert, menschenunwürdiger Behandlung und Bestrafungen ausgeliefert und in dieser Situation völlig rechtlos. Diese Lebens-bedingungen werden von den Betroffenen in vielen Fällen als haftähnlich, freiheitsentziehend und für Kinder und Jugendliche völlig ungeeignet bewertet. Unabhängig von der konkreten Lebensgeschichte bestehen die Gründe und Motive für eine Antragstellung in dem Anspruch, dass das erlittene Unrecht durch die strafrechtliche Rehabilitierung öffentlich anerkannt wird.

In mehrfachen Fällen waren ehemalige Heimkinder, die ihre Einweisung in die Spezial- und Sonderheime als Menschenrechtsverletzung empfinden und deshalb eine Anerkennung dieser rechtsstaatswidrigen Handlungen durch den Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland erwarten, an unseren Gerichten gescheitert.

Als Begründung führt die Aufarbeitungsbeauftragte aus:

Die Begründungen der meisten ablehnenden Beschlüsse der Landgerichte vermitteln den Eindruck unzureichender Kenntnis sowohl der konkreten Lebenssituationen der Antragsteller im Bewertungszeitraum als auch der Einordnung in den historischen und damit system- und ideologiegeprägten Kontext. Dies wird vor allem deutlich im unkritischen Übernehmen von Zitaten aus DDR-Jugendhilfeakten und anderer personenbezogenen Unterlagen, mit denen die Ablehnungen oftmals begründet werden. Auf diese Weise erhalten die schriftlichen Hinterlassenschaften der DDR-Jugendhilfe bis heute Deutungsmacht über das Leben der Antragsteller. Die dadurch ausgelösten Retraumatisierungseffekte bei den Betroffenen sind intensiv und oftmals nachhaltig. Nicht selten ist auch das noch nicht gefestigte Vertrauen in den Rechtsstaat erschüttert, was weitreichende Folgen für alle Lebensbereiche der Betroffenen und ihrer Familien hat. Dass in der DDR rechtsstaatswidrige Beschlüsse gefällt wurden, haben in Spezialheime eingewiesene Kinder und Jugendliche am eigenen Leib erfahren müssen.

Dass Gerichte im demokratischen Rechtsstaat die damaligen Einweisungsgründe auch heutigen Entscheidungen zugrunde legen, kann das Vertrauen in die demokratischen Institutionen zerstören.

Das im Bericht aufgeführte Einzelbeispiel eines systemkritischen Jugendlichen, der anlässlich der 10.Weltfeststpiele der Jugend verhaftet und zu 2 Jahren wegen angeblicher Asozialität verurteilt wurde und dessen Anträge auf berufliche Rehabilitierung an einem ignoranten Gericht, das die Lebenswirklichkeit in der DDR offenkundig nicht adäquat einordnen konnte, scheiterten, muss jeden erschüttern.

Die Betroffenen scheitern am Rechtsweg, nicht unähnlich übrigens den vielen Neusiedlererben, denen das Land Brandenburg ihre ererbten Flächen in der mehrjährigen Phase entzogen hat, als dieses Flächen von Gerichten als grundsätzlich nicht-vererbbar und der Besitz an eine Tätigkeit in einer LPG an einem Stichtag im November 1989 gebunden wurde.

Hier wie dort, Menschen die an den Gerichten eines Rechtsstaates verzweifeln und sich innerlich von unserer Demokratie verabschieden.

Die Aufarbeitungsbeauftragte hat hier Vorschläge ausgearbeitet, wie Gerichte und Rehabilitierungsbehörden angemessener in solchen Verfahren agieren können und auch sollten.

Sie verweist auf unqualifizierte Gutachter, denen historisches Wissen über die Repressionspraxis in der DDR fehlt und die deshalb zu für die betroffenen unverständlichen Entscheidungen kommen.

Anrede,

Dies sind auch Themen, die in der Enquetekommission 5/1 des Landtages zur Sprache kommen und Dank des engagierten Wirkens von Ulrike Poppe und für dieses Themenfeld auch Susanne Meliors in den Handlungsempfehlungen ihren Niederschlag gefunden haben.

Ich möchte besonders Hinweisen auf den Härtefallfonds, der nach den Empfehlungen der Enquete-Kommission eingerichtet werden soll. Und liebe Kolleginnen und Kollegen: Es ist nicht unwichtig, wie der MP dazu steht, aber die Initiative zur Gründung und angemessene Finanzausstattung kann und sollte auch vom Landtag ausgehen.

Anderes Thema:

Ulrike Poppe hat in den letzten Jahren immer wieder deutlich gemacht, dass junge Menschen eine große Offenheit für Zeitzeugenarbeit haben. Junge Menschen kommen selten zu Veranstaltungen, aber sobald Ulrike Poppe oder Ihre MitarbeiterInnen in Schulen gehen stoßen sie auf ein sehr großes Interesse.

Dieses Interesse steigert sich noch, wenn Zeitzeugen in die Schulen kommen, die es gut verstehen, im Detail und nachvollziehbar ihr Leben in der Diktatur zu schildern und ein oft nur abstrakt vermitteltes DDR-Bild mit Leben anreichern.

Dies durch die Unterstützung von Opferverbänden zu ermöglichen ist genauso wie der Erhalt von Gedenkstätten eine wichtige Aufgabe, mit der wir Politiker bessere Rahmenbedingungen für die weitere Aufarbeitung bereitstellen können.

Ich zitiere hierzu Ulrike Poppe aus einer Veranstaltung zum Abschluss der Enquetekommission:

„Aufarbeitung kann man nicht verordnen, das ist klar. Aber die Politik kann natürlich Rahmenbedingungen setzen. Sie kann anregen. Und anregen kann man schon, indem man zum Beispiel finanziell und ideell Aufarbeitungsinitiativen fördert. Wenn man Veranstaltungen fördert, die sich mit diesen Themen befassen. Wenn man Filme und Publikationen fördert. Das sind Dinge, wo die Politik ganz entscheidend mitwirken kann. Ebenso in Gedenkstättenkonzepten, in der Förderung von Gedenkstätten, die sehr wichtig sind, um einen ganz speziellen Zugang zu dem bieten, was Diktatur bedeutet hat.

Auch Förderung von Selbsthilfestrukturen in Opferverbänden beispielsweise, was jetzt erst eingesetzt hat und was sehr gut angenommen wird, was sehr wichtig ist und was auch verstetigt werden soll, so steht es in den Handlungsempfehlungen der Kommission. Das spielt alles eine Rolle, um dieses Bewusstsein, das ich mir wünsche, in die Gesellschaft zu tragen.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Die Politik: Das sind auch und gerade wir. Lassen Sie uns gemeinsam die Arbeit der Aufarbeitungsbeauftragten noch besser unterstützen als es bisher schon war.

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