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Petra Budke spricht zur Aussprache über den Beschluss der Regierungschefinnen und -chefs mit der Bundeskanzlerin "Bekämpfung der SARS-CoV2-Pandemie"

- Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Abgeordnete, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer,

es ist schon erschreckend, wie die AfD mit ihrem neuen Fraktionsvorsitzenden Hans-Christoph Berndt sich hier im Landtag in einer dramatischen Krise verhält. Schon im Sommer hatte er die Pandemie mit ihren für viele Menschen tödlichen Folgen hier einfach mal für beendet erklärt, um unbequeme Konsequenzen und Regeln nicht mittragen zu müssen. Das ist einfach völlig verantwortungslos. Und jetzt wird hier an die Eigenverantwortung der Menschen appelliert – ohne Masken selbstverständlich. Wohin das führt, haben wir doch schon in Ländern wie den USA oder Brasilien gesehen. Und dann noch zu sagen, dass man den Tod von Menschen eben in Kauf nehmen müsse, so wie AfD-Fraktionschef Alexander Gauland im Bundestag, das grenzt schon an menschenverachtenden Zynismus.

Und das alles in einer Situation, in der die Infektionszahlen in Deutschland und inzwischen auch in Brandenburg dramatisch ansteigen. Die Zahl der gemeldeten Corona-Neuinfektionen ist so hoch wie nie. Stand heute hat die Zahl in Deutschland mit weit über 18.000 Fällen einen neuen Höchstwert erreicht. Die Zahl der Todesfälle stieg auf über 10.000.

Auch in Brandenburg sieht es nicht gut aus. Stand 30.10. gibt es 8052 laborbestätigte Covid-19 Fälle. Das sind 403 mehr als am Vortag. Wir verzeichnen 199 Todesfälle. Nahezu alle Kreise und kreisfreien Städte in Brandenburg gelten inzwischen als Risikogebiet.

Wir alle haben sie noch im Kopf: die dramatischen Bilder aus Bergamo in Italien im Frühjahr, wo Militärlaster die viel zu vielen Toten zum Friedhof fuhren, wo alte Menschen einsam und allein in Pflegeheimen starben und überlastete Ärztinnen und Ärzte in Krankenhäusern entscheiden mussten, wen sie noch intensivmedizinisch versorgen können und wen sie sterben lassen müssen.

Wir haben im Frühjahr einiges auf uns genommen, um solche Szenarien zu vermeiden, um die Menschen, insbesondere Ältere und Gefährdete zu schützen und um unser Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Wir haben Kitas und Schulen, Geschäfte und Restaurants geschlossen, Kultureinrichtungen, Freizeit- und Sportstätten. Nahezu das gesamte gesellschaftliche Leben kam zum Erliegen – mit harten sozialen und finanziellen Folgen für sehr, sehr viele Leute. Wir hatten Erfolg mit dieser Strategie, die Infektionszahlen sanken. Und als wir im Sommer wieder öffnen und vorsichtig zum sozialen Leben zurückkehren konnten, haben wir alle so richtig aufgeatmet.

Und wir haben alle im tiefsten Herzen gehofft, dass sie nicht kommt, die sogenannte „zweite Welle,“ dass alles nicht so schlimm wird und dass wir keinen zweiten Lockdown brauchen würden.

Doch nun sind wir mittendrin in der zweiten Welle, und die Infektionszahlen steigen exponentiell an und zwingen uns zum Handeln.

Ein Blick auf die Lage in unseren Nachbarländern zeigt, wie dramatisch die Situation werden kann, wenn sie außer Kontrolle gerät. Belgien ist trauriger Spitzenreiter und verzeichnet bereits 11.308 Tote. Jedes zweite Altenheim meldet mindestens einen Coronafall. Die Zahl der Krankenhausaufnahmen hat sich um 80% erhöht. Die Intensivbetten sind größtenteils belegt. Der Pflegenotstand ist so groß, dass infizierte Pflegekräfte, die keine Symptome haben, weiter zur Arbeit erscheinen müssen. Und Fachleute prophezeien, dass es nicht mehr lange dauert, bis die Krankenhäuser in der Situation stehen, über Menschenleben zu entscheiden, oder dass sie einfach die Tore schließen müssen.

Auch ein Blick in unser Nachbarland Polen offenbart, wie kritisch die Situation dort ist. Seit dem 24. Oktober ist das gesamte Land wieder als Risikogebiet eingestuft. Die Zahl der Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden belief sich am 28. Oktober auf 18.820 Fälle. Die Todesraten sind erschreckend: Innerhalb von 24 Stunden sind 236 Menschen am Coronavirus gestorben. Die Krankenhäuser sind hoffnungslos überfordert. Und es ist ein wunderbares und dringend notwendiges Zeichen der Solidarität, wenn wir aus Brandenburg medizinische Hilfe anbieten und Krankenhausbetten zur Verfügung stellen, wie Dietmar Woidke es heute angekündigt hat!

Am Mittwoch haben die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten in ihrer Runde mit der Bundeskanzlerin sich einstimmig (!) – ich betone einstimmig – auf ein bundesweites Maßnahmenpaket verständigt und sich auf einen sogenannten „Lockdown light“ geeinigt. Damit ist der unübersichtliche Flickenteppich der Maßnahmen und das Vorpreschen einzelner Länder, wo immer einer den anderen bei der Härte der Eingriffe oder der Schnelligkeit der Öffnungen übertrumpfen wollte, hoffentlich beendet.

Um diese Beschlüsse heute hier im Landtag Brandenburg zu debattieren, haben wir eine Sondersitzung beantragt, und zwar bevor das Kabinett heute eine neue Umgangsverordnung für Brandenburg beschließt. Und das unterscheidet uns, liebe Linken-Fraktion, maßgeblich von anderen Ländern und wir nehmen hier eine Vorreiterrolle ein. Im Nachbarland Berlin beispielsweise, wo Linke an der Regierung beteiligt sind, hat der Senat die neue Verordnung bereits gestern Abend beschlossen. Debattiert wird aber am Sonntag.

Die Landesregierung hat die Krise bisher – gerade verglichen mit den „Lautsprechern“ und planlosen Aktionist*innen in anderen Ländern - mit kühlem Kopf und klugem Abwägen bekämpft. Dafür gebührt ihr Dank und Anerkennung.

Mit dem erneuten rapiden Ansteigen der Infektionswelle stehen wir vor der Notwendigkeit, wieder harte Einschnitte treffen zu müssen. Bei allen diesen Maßnahmen müssen wir die verschiedenen Grundwerte, auf denen unsere demokratische Gesellschaft ruht, mitunter schmerzhaft gegeneinander abwägen. Und weil das so ist, ist es wichtig, dass wir – die gewählten Abgeordneten – stärker als bisher einbezogen werden. Nur so erfüllen wir das, was die Bürgerinnen und Bürger des Landes von uns erwarten: ihre Interessen hier im Parlament zu vertreten.

Denn in unserer parlamentarischen Demokratie ist es zum Glück so, dass Einschnitte in die Grundrechte nur unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit und auf einer belastbaren gesetzlichen Basis erfolgen dürfen. Und die Debatten, die im Bundestag und in diesem und in den anderen Landtagen dazu geführt werden, sind der Beweis, dass wir diese Rolle ernst nehmen und ausfüllen.

Um für künftige Notlagen besser gerüstet zu sein, brauchen wir ein parlamentarisches Beteiligungsgesetz. Und die Beteiligung des Parlaments muss über eine reine Information der Abgeordneten hinausgehen. Ein solches Gesetz wollen wir auf der Grundlage unserer Verfassung in den nächsten Monaten hier im Landtag erarbeiten. Darauf haben wir uns mit unseren Koalitionspartnern verbindlich geeinigt.

Wir beraten heute weitreichende Einschränkungen, um die Corona-Pandemie zu bekämpfen. Wir alle hatten gehofft, dass das nicht notwendig werden würde und dass wir auf diesen Schritt verzichten könnten. Doch nun ist die sogenannte „zweite Welle“ da und wir müssen die exponentielle Ausbreitung des Virus bekämpfen, bevor die Situation außer Kontrolle gerät. Gerade auch, um diejenigen zu schützen, die sich in Krankenhäusern, Pflegeheimen, Schulen, Kitas, an der Kasse beim Einkauf oder auf dem Müllwagen, dafür einsetzen, dass unser Leben weitergehen kann.

Diese Einschnitte sind hart, und sie sind schmerzhaft. Die nächsten Wochen werden uns allen wieder viel abverlangen, gesellschaftlich, psychisch und wirtschaftlich.

Doch wir haben auch aus den vergangenen Monaten gelernt und ziehen daraus unsere Lehren. Auch wenn wir noch keine Medikamente und keinen Impfstoff haben, wissen wir doch mehr über das Virus und seine Ausbreitung.

Es ist wichtig, dass wir unsere Bildungseinrichtungen, Kitas und Schulen, diesmal offenhalten. Kinder, Jugendliche und Familien haben unter dem harten Lockdown im Frühjahr in ganz besonderem Maße gelitten. Sie brauchen soziale Kontakte und Bildung. Und die Spaltung zwischen Arm und Reich, zwischen Kindern, die zuhause gut gefördert werden und solchen, denen Unterstützung fehlt, darf nicht noch weiter aufgehen.

Und auch die Bedürfnisse von Älteren, psychisch Kranken oder Menschen mit Behinderung dürfen nicht aus dem Blick verlieren. Auch wenn die Situation in den Pflegeheimen oder sozialen Einrichtungen besonders schwierig ist, darf es dort nicht wieder zur völligen Isolation der Menschen kommen. Gerade sie sind auf den sozialen Austausch mit ihren Liebsten angewiesen.

Als wir am Dienstag hier beim Flügelkonzert vorm Landtag standen, haben wir auch alle gespürt, wie sehr wir die Kunst brauchen und wie sehr sie uns Menschen zusammenbringt. Es war so gut und so tröstlich, tolle Musiker wie Igor Levit oder Sebastian Krumbiegel hier zu haben. Kultur ist essentiell für unser Leben.

Es tut mir ungeheuer leid, dass nun wieder die Kultur- und Veranstaltungsbranche und so viele Selbstständige und kleine Unternehmen betroffen sind. Viele von ihnen haben sich mit guten Hygienekonzepten auf die Krise eingestellt, haben investiert und sind nun doch wieder betroffen. Und verstehen nicht, warum es sie nun doch wieder trifft, obwohl sie doch alle Regeln beachtet haben und sich bei ihnen niemand infiziert hat.

Die Cafés und Restaurants, die Hotels und Pensionen, all die Orte, die mir und vielen anderen für eine kleine Auszeit so lieb sind, müssen wieder schließen. Etwa ein Drittel aller Betriebe steht vor dem finanziellen Ruin. Das darf nicht passieren! Deshalb bin ich froh, dass der Bund schnell und unbürokratische Hilfe angekündigt hat, und diesmal auch so, dass auch diejenigen profitieren, die hauptsächlich Einnahmeverluste haben. Nun geht es um die konkrete Ausgestaltung dieser Maßnahmen. Die neuen Hilfen müssen die Adressaten schnell und unbürokratisch erreichen. Einfache Beantragung und zügige Bewilligung sind essenziell.

Den Kulturbereich treffen die notwendigen Einschränkungen besonders hart, denn hier dauern die Kontaktbeschränkungen bereits am längsten an und müssen nun wieder verschärft werden. Und das, obwohl viele Kultur-Akteur*innen engagierte Hygienekonzepte vorgelegt und Umbauten vorgenommen haben. Es darf nicht sein, dass der Bundesfinanzminister Olaf Scholz uns bei den Soloselbständigen und Kleinstunternehmen wieder ein Korsett von restriktiven Förderbedingungen auferlegt, an denen wir im Land nichts mehr ändern können.

Die Einschränkungen des „Lockdown light“ treffen wieder besonders die Branchen, die schon durch den bisherigen Verlauf der Pandemie in Existenznot gebracht wurden. Die Lebenshaltungskosten von Solo-Selbstständigen waren bislang von allen Hilfen ausgenommen. Sie wurden einfach auf die Grundsicherung verwiesen. Direkt betroffenen Unternehmen 75 Prozent der Umsatzerlöse aus dem Vorjahres-November zu ersetzen, ist ein Schritt in die richtige Richtung; wir wünschen uns aber mehr. Es besteht die Gefahr, dass indirekt Betroffene wie etwa die Tontechnikerin oder der Bühnenbauer erneut auf der Strecke bleiben. Sie haben kein Arbeitsverbot, die Aufträge brechen ihnen dennoch oft zu hundert Prozent weg. Wir fordern vom Bund daher ein staatlich finanziertes Selbstständigengeld für Unternehmerinnen und Unternehmer.

Auch viele Studierende verlieren nun voraussichtlich wieder Nebenjobs, insbesondere in der Gastronomie. Bundesbildungsministerin Karliczek darf die Studierenden nicht erneut mit einer bürokratischen und völlig unzureichenden Nothilfe abspeisen. Die Ministerin muss das BAföG jetzt schnell als temporäre Corona-Hilfe öffnen und nach der Krise umfassend reformieren

Klar sein muss auch: Die Krise darf nicht dazu führen, dass Arbeitsplätze dauerhaft verloren gehen! Das Kurzarbeitergeld muss weiterhin großzügig geregelt werden, insbesondere im Niedriglohnbereich. Die Tarifparteien sind gefordert Lösungen zu finden, wie die kurz- und mittelfristigen Lasten der Krise fair verteilt werden können. Auch die Aufstockung des Kurzarbeitergeldes durch die Arbeitgeber*innen gehört auf die Agenda. Vorstöße wie von der IG Metall zu Modellen der Viertagewoche ohne vollen Lohnausgleich zeigen, dass die akute Krise auch Anlass sein kann, neue Lösungen zu entwickeln, die beim ökosozialen Strukturwandel der Wirtschafts- und Arbeitswelt ohnehin gebraucht werden.

Wir werden mit dieser Krise noch eine Weile leben müssen. In den vergangenen Wochen ging es auch immer wieder um das Warten auf den Impfstoff. Aber selbst wenn er da ist, braucht es Verantwortung und Ruhe, um die sinnvolle Verteilung des Impfstoffs zu organisieren. Es wird seine Zeit brauchen, bis alle geimpft sind.

Wir werden weiter lernen, mit der Pandemie umzugehen und wir werden neue und bessere Maßnahmen finden. Wir wollen die Parlamente stärker beteiligen und auch die Bürgerinnen und Bürger selbst. Denn nur, wenn sie mitmachen, die Maßnahmen akzeptieren und sich an die Regeln halten, wird uns die Bekämpfung dieser Pandemie gelingen.

Die Entscheidung, die einmütig von den Ministerpräsidentinnen undb-präsidenten getroffen wurde, ist eine, die schwerfiel und die einzig geleitet wurde von der dringenden Notwendigkeit, die Infektionszahlen zu verringern und von der Abwägung, was genau dafür passieren muss.

Im Kern geht es um die Summe der Kontakte, die wir reduzieren müssen. Und darum, Kindern und Jugendlichen weiterhin soziale Kontakte und Bildung in Kita und Schule zu ermöglichen. Wenn wir das wollen - und wir wollen das! - müssen alle anderen Kontaktmöglichkeiten runtergefahren werden. Für eine gewisse Zeit. Jetzt erstmal für den November. Wie es dann zu Weihnachten aussieht, wissen wir noch nicht.

Es geht um Solidarität, zu einem ganz wesentlichen Teil. Um Solidarität der Bundesländer untereinander, die nun endlich geschafft haben, den Flickenteppich an undurchschaubaren Maßnahmen aufzulösen. Das war schwer genug. Um Solidarität der weniger betroffenen Gebiete mit den schwer betroffenen Gebieten. Um Solidarität mit den Mitarbeitenden in den Krankenhäusern. Und um Solidarität mit den besonders Betroffenen und Schutzbedürftigen!

Lassen Sie uns gemeinsam solidarisch handeln und der Corona-Pandemie entschlossen entgegentreten!

Vielen Dank!