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Heiner Klemp spricht zum Antrag "Fortschritt bei Kommunalabgaben ermöglichen"

Sehr geehrte Abgeordnete! Meine Damen und Herren!

Eigentümerinnen und Eigentümer von Grundstücken werden zu Erschließungsbeiträgen herangezogen, wenn ihre Straßen erstmalig hergestellt werden. Das ist allgemein bekannt. Ebenso allgemein bekannt ist, dass die Definition, wann eine Straße erstmalig hergestellt ist, mit dem, ich sage mal, laienhaften
Verständnis nicht immer übereinstimmt.

Die legendären märkischen Sandstraßen, an denen die Menschen seit Jahrzehnten leben und die seit vielen Jahren benutzt werden, gelten schließlich als nicht ausgebaut. Mithin werden die Nutzungsberechtigten zu Erschließungsbeiträgen herangezogen, wenn nun die Straße - in Anführungszeichen - erstmalig ausgebaut wird. Der Antrag der Freien Wähler wünscht sich hierzu eine ministerielle Klarstellung der geltenden Rechtslage in zwei Punkten.

Der erste bezieht sich auf die im Baugesetzbuch festgeschriebene Möglichkeit der Kommunen, bei einer Straßenerschließung auch weniger als 90 % der Kosten von den Anwohnerinnen und Anwohnern tragen zu lassen und selbst einen entsprechend größeren Anteil durch Steuergelder zu übernehmen. Der vorliegende Antrag führt uns dann eine Reihe von Kommunen vor Augen, die von ebendieser Möglichkeit, geringere Beitragssätze festzulegen, Gebrauch gemacht haben. Wie nun? Dann scheint es ja doch zu gehen.

Sorry, dem Argument, eine Kommunalaufsicht würde das verbieten, kann ich nicht folgen. Ich bin lange genug Kommunalvertreter. Damit würde ich mich nie zufriedengeben in einer Zeit, in der man jede Satzung jeder anderen Brandenburger Kommune in Sekunden im Internet findet. Hat jemals ein Bürgermeister oder eine Kommunalaufsicht eine Erschließungsbeitragssatzung beanstandet, weil sie geringere Sätze aufwies? Sie haben gesagt, dem war nicht so. Möglicherweise könnte das passieren, wenn die Gemeinde sich in der Haushaltssicherung befindet oder einen anderweitig genehmigungspflichtigen Haushalt hat. Schließlich ist eine Gemeinde nach § 64 Abs. 2 der Kommunalverfassung grundsätzlich zunächst
verpflichtet, ihre Einnahmemöglichkeiten auszuschöpfen.

Mein Fazit zu Punkt 1: Ich hätte kein Problem damit, wenn das Ministerium den gewünschten Brief schreibt, finde es aber auch nicht zwingend.

Punkt 2 ist demgegenüber viel spannender. Hier werden Hinweise gewünscht, wie durch „Anwendung alternativer Straßenbeschichtungsmaßnahmen“ Anliegerbeiträge vermieden werden können. Die Antragsteller führen unter anderem aus, ein einfaches Aufbringen von Spritzasphalt oder einer Makadamdecke sei kostengünstiger, sowohl für die Gemeinde als auch für die Anwohner. Das mag man bezweifeln. Wenn es tatsächlich für alle die billigste Lösung wäre, fragt man sich, warum dann überhaupt
noch Straßen in Brandenburg grundhaft ausgebaut werden.

Das „Bernauer Modell“ des provisorischen Ausbaus wurde ja nicht in Bernau erfunden, sondern schon 2012 in Biesenthal angewandt. Statt von der von BVB / FREIE WÄHLER genannten Haltbarkeit von 20 bis 30 Jahren ging der Bernauer Bürgermeister André Stahl dabei laut Presseberichten 2017 aber nur von
zehn Jahren Haltbarkeit aus. Aufgrund der mangelnden Haltbarkeit und der fehlenden Wirtschaftlichkeit sind die Biesenthaler Kommunalpolitiker jedenfalls nach fünf Jahren der Provisorien längst wieder zu dem klassischen grundhaften Ausbau zurückgekehrt.

Einem muss ich natürlich ganz deutlich widersprechen: Ein provisorischer Ausbau ist sicher nicht ökologischer als ein grundhafter. Es kann doch nicht umweltverträglicher sein, eine Straße mit
einer Haltbarkeit von zehn Jahren herzurichten, dann immer wieder auszubessern, schließlich das provisorische Material zu entfernen, zu entsorgen und die Straße wieder neu provisorisch herzustellen.
Das finde ich wirklich nicht sehr überzeugend.

Eine sehr stichhaltige Argumentation in der Sache ergibt sich aus einer gutachterlichen Stellungnahme, die der Brandenburger Verfassungsrichter und Fachanwalt für Verwaltungsrecht Dr. Ulrich Becker im Jahr 2018 für die Stadt Oranienburg angefertigt hat. Hier ging es um die Zulässigkeit provisorischen Straßenbaus aus beitragsund haushaltsrechtlicher Sicht, also genau unser Thema. In der Stellungnahme führte der Gutachter unter anderem aus, dass bei allen Entscheidungen der Gemeinde das Gebot der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit aus § 63 Abs. 2 der Kommunalverfassung zu beachten sei. Daher sei - Zitat - eine Grundsatzentscheidung, Anliegerstraßen ausschließlich in einer Qualität auszubauen, die knapp unterhalb einer endgültigen Herstellung liegt, voraussichtlich nicht durch den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gedeckt und daher rechtswidrig.

Für diese Abwägung müsse die Gemeinde die Kosten für das Aufbringen des beitragsfreien Provisoriums mit dem kommunalen Eigenanteil am beitragsfähigen Aufwand eines grundhaften Ausbaus vergleichen. Entscheide sich die Gemeinde gegen eine Beitragserhebung und für eine Mehrbelastung des kommunalen
Haushalts, so müsse es dafür gewichtige Gründe geben - Zitat: Allein das Motiv, eine Beitragspflicht der Grundstückseigentümer zu vermeiden, stellt keinen hinreichend gewichtigen Aspekt dar.

Meine Damen und Herren, ich denke, die Ausführungen haben gezeigt, dass die Frage 2 im Antrag der Fraktion BVB / FREIE WÄHLER damit eigentlich als beantwortet gelten muss. Die Vermeidung von Anliegerbeiträgen mag zwar ein legitimes politisches Ziel sein, taugt aber nicht als rechtlich zulässige Begründung, eine Mehrbelastung eines kommunalen Haushalts in Kauf zu nehmen. Dementsprechend werden wir diesen Antrag ablehnen.
- Vielen Dank.

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