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Heiner Klemp spricht zum Koalitionsantrag "Demokratische Teilhabe im Zusammenspiel von Verwal-tung und Bürgerinnen und Bürgern vereinfachen"

Sehr geehrte Abgeordnete! Meine Damen und Herren!

Repräsentative Demokratie in den Kommunen ist ein hohes Gut. Hier engagieren sich Menschen in ihrer Freizeit für die Allgemeinheit. Sie beschäftigen sich über Einzelentscheidungen hinaus und über alle politischen Themengebiete hinweg mit der Entwicklung ihres Gemeinwesens und können so gerechte Abwägungen zwischen einzelnen Vorhaben treffen.

Die repräsentative Demokratie ist keineswegs ein Auslaufmodell - sie sollte auch nicht relativiert
werden -, sondern ist eine gute und stabile Grundlage unserer staatlichen Ordnung. All die vielen Frauen und Männer, die sich hier ehrenamtlich engagieren, verdienen unser aller Anerkennung.

Die direkte Demokratie ist eine wichtige Ergänzung der Kommunalparlamente, um spezifische Themen auf die Agenda zu bringen, Entscheidungen herbeizuführen oder auch abzuwenden. Sie fördert das Engagement der Bürgerinnen und Bürger vor Ort und gibt wichtige Impulse für die kommunale Entwicklung.

Ein Mittel der direkten Demokratie ist das Sammeln von Unterschriften im Rahmen von Bürgerbegehren. Unterschreiben dort mindestens 10 % der Wahlberechtigten und ist das Anliegen im Sinne der Kommunalverfassung zulässig, wird analog zu einer allgemeinen Wahl ein Bürgerentscheid durchgeführt.

Laut der Datenbank des Vereins „Mehr Demokratie e. V.“ gab es in den Jahren 2015 bis 2019 in Brandenburg insgesamt 33 Bürgerbegehren. 13 davon waren erfolgreich - und zwar 8 durch Gemeinderatsbeschlüsse, die die Anliegen der Bürgerbegehren aufgenommen und sie damit erledigt hatten, und 5 durch Bürgerentscheide. 18 sind gescheitert - und zwar eines durch eine Ablehnung
des Bürgerentscheids, eines, da beim Bürgerentscheid zwar eine Mehrheit mit Ja gestimmt hatte, aber das Quorum nicht erreicht wurde, und 16, weil die Bürgerbegehren unzulässig waren.

Ich weiß nicht, ob diese Zahlen vollständig sind - sie kommen ja von dem Verein -, aber sie zeigen doch klare Verhältnisse. Ein gutes Drittel aller Begehren war erfolgreich - und zwar in der Mehrheit nicht einmal durch eine abschließende Entscheidung der Wahlberechtigten, sondern in den meisten Fällen hat die
kommunale Vertretung die Anliegen aufgenommen und durch entsprechende eigene Beschlüsse umgesetzt, ohne dass es dazu eines Bürgerentscheids bedurfte. Dass die Vertretungen das so ganz richtig machten, zeigt sich auch darin, dass die allermeisten der durchgeführten Bürgerentscheide
Erfolg hatten.

Insgesamt aber blieben die meisten Bürgerbegehren erfolglos. Sorge machen sollte uns nicht diese Tatsache allein, sondern vor allem die Gründe für die Erfolglosigkeit. 16 der 18 erfolglosen Bürgerbegehren fielen bei der rechtlichen Prüfung durch. Um uns das einmal vor Augen zu führen: Da engagieren sich Bürgerinnen und Bürger für eine Sache in ihrer Kommune, setzen sich zusammen, schreiben einen Antrag; dann gehen sie auf die Straße, sammeln Unterschriften, sprechen Nachbarn an, bauen Infostände auf, führen Veranstaltungen durch - und das häufig über Monate; das Gesetz spricht von bis zu 12 Monaten -, investieren also viel Arbeit, Zeit und Herzblut. Dann haben sie die Unterschriften zusammen, reichen sie beim Amt ein und bekommen dann viel zu häufig von der Behörde mitgeteilt, ihr Begehren sei
unzulässig. Man kann sich vorstellen, welchen Frust das bei den Betroffenen erzeugt.

Und die Betroffenen sind nicht nur die Initiatorinnen und Initiatoren, sondern eigentlich alle, die unterschrieben haben. Dass das die Begeisterung für die Demokratie nicht unbedingt fördert, kann man sich ja vorstellen, zumal das bestehende Verfahren auch die Kommunalaufsichten und die kommunalen
Vertretungen in unangenehme Rollen drängt. Kommunalaufsichten wird zu Unrecht Parteinahme unterstellt, und schon manche Gemeindevertretung musste Begehren für unzulässig
erklären, die eine weniger formale Befassung verdient hätten.

Deshalb haben sich die Koalitionsfraktionen darauf verständigt, hier eine Änderung vorzunehmen. Die rechtliche Prüfung des Begehrens soll zukünftig an den Beginn des Verfahrens gestellt werden, bevor der große Aufwand der Unterschriftensammlung entsteht, und vor allem zu einem Zeitpunkt, zu dem einer möglichen unzulässigen Formulierung noch abgeholfen werden kann. Manchmal liegt es ja an - ich sage mal - ungeschickten Formulierungen, die ein Begehren ungültig machen, und betreffen gar nicht den Kern des Anliegens. Dann kann die prüfende Behörde mehr zur Partnerin der Bürger werden und im Vorfeld der Unterschriftensammlung beraten. So wird unnötiger Ärger vermieden, die Bürgerinnen und Bürger werden in ihrer Rolle als Souverän unterstützt und die Demokratie wird gefördert.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch kurz zwei Worte zu dem Änderungsantrag der BVB / FREIE WÄHLER Fraktion sagen. Sie beabsichtigen, dem Antrag der Koalition noch weitere Punkte anzufügen, die ich allesamt für diskussionswürdig halte, die aber auch diskussionsbedürftig sind. Wir Grüne haben eine Absenkung des Zustimmungsquorums bei Bürgerentscheiden auf 15 % immer befürwortet und tun das
noch.

Allerdings ist in den letzten fünf Jahren nach den Zahlen von „Mehr Demokratie e. V.“ genau ein Begehren am Quorum gescheitert. Insofern ist klar: Das dringliche Thema ist die Zulässigkeit und nicht das Quorum.
Ferner wünschen Sie sich die Verschlankung des Verbotskatalogs bei Bürgerbegehren. Auch hier treffen Sie bei uns Bündnisgrünen auf offene Ohren. Allerdings habe ich Zweifel, ob die Pauschalität der von Ihnen beantragten Öffnung der Komplexität der Rechtsmaterie gerecht werden kann. Sie kennen Planfeststellungsverfahren. Das sind wahnsinnig komplexe und formale Verfahren mit sehr eingeschränkten Abwägungs- und Entscheidungsmöglichkeiten.

Ich glaube nicht, dass hier über Bürgerbegehren rechtlich haltbare Entscheidungen zustande kommen
können. Hier sollten wir überlegen, in welchen Bereichen Bürgerbegehren sinnvoll sein können. So kann ich mir durchaus vorstellen, den Bürgerbegehren beispielsweise die Definition der Planungsziele eines Bebauungsplans zugänglich zu machen; denn das ist die eigentlich politische Willensbekundung der Gemeinde als Trägerin der Planungshoheit und noch weit genug vom formalisierten Verfahren entfernt.

Wie gesagt, ich halte die Punkte für grundsätzlich diskussionswürdig und möchte mich daher auch bei der Fraktion BVB / FREIE WÄHLER für den Änderungsantrag bedanken. Wir haben uns in der Koalition ohnehin verabredet, die Kommunalverfassung erneut in den Blick zu nehmen, und werden die genannten Punkte bei der nächsten Überarbeitung gerne erörtern. Zunächst ging es uns darum, unstrittige und einfach abgrenzbare Punkte schnell in die Umsetzung zu bringen.

Meine Damen und Herren, ich habe ja schon bei der Diskussion des Kommunalen Notlagegesetzes betont, dass wir auch die dort erworbenen Erfahrungen in eine Überarbeitung der Kommunalverfassung
einfließen lassen wollen. Deshalb haben wir die Landesregierung aufgefordert, dem Landtag bis Mitte Juni einen Bericht über die Erfahrungen mit dem Notlagegesetz vorzulegen. Diesen werden wir auswerten und daraus Schlüsse zur langfristigen Anpassung der Kommunalverfassung über die Corona- Krise hinaus ziehen. Dann wird auch über den weiteren, längerfristigen Änderungsbedarf zu reden sein.

Dabei wollen wir auch die Digitalisierung stärker berücksichtigen. Im Bereich der Bürgerbegehren können wir uns vorstellen, die Unterschriftsleistung digital zu ermöglichen, und fordern deshalb die Landesregierung auf, im Rahmen der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes auch die Bürgerbegehren in den Blick zu nehmen, auch wenn das heute noch Zukunftsmusik ist.

Für heute lassen Sie uns einen ersten Schritt machen, um die Prozesse bei den Bürgerbegehren zu vereinfachen, um Frust zu vermeiden und die direkte Demokratie und damit unser politisches Gemeinwesen insgesamt zu stärken. Ich bitte Sie um Zustimmung
zu dem Antrag der Koalition.

- Vielen Dank.

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