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Clemens Rostock spricht zum Antrag "Zukunft des Erinnerns - Aufarbeitung und Vermittlung des DDR-Unrechts"

Herr Vizepräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen
und Zuschauer!

Wir haben den 17. Juni. Es wurde bereits mehrfach angesprochen: Vor 67 Jahren wurden zum ersten Mal in der DDR im großen Stil Parteienvielfalt, freie und geheime Wahlen und Freiheit gefordert. Die Reaktion war eindeutig und militärisch. Sowjetische Behörden erklärten das Kriegsrecht, sowjetische Panzer rollten auf, der Protest wurde erstickt - die Opfer wurden heute schon mehrfach genannt. Damit hatte sich das Sozialismusmodell der DDR spätestens damals, 1953, delegitimiert, hatten die Vorkommnisse doch gezeigt, dass es sich nur mit Gewalt sichern konnte.

Was folgte? Zum einen wurde versucht, die Legitimierung wiederherzustellen, indem die Aufstände als faschistischer Putschversuch hingestellt wurden. Zum anderen wurde die Stasi aufgerüstet, die Überwachungs- und Zersetzungsmaßnahmen wurden ausgeweitet. Dazu zählten die offensichtlichen, physischen Maßnahmen - Abschiebung, Haft, Folter bis hin zu Mord - und die weniger offensichtlichen, psychischen Zersetzungsmaßnahmen. Es wurden psychologische Profile von Opfern angelegt, um ihre
Schwächen zu entdecken und genau diese auszunutzen. Gruppen, Freundeskreise, Familien wurden durch Falschinformationen, gestellte Bilder, Gerüchte auseinandergetrieben. Die Perfidie ging so weit, dass die Stasi dafür sorgte, dass die Opfer selbst in die Nähe der Stasi gerückt wurden, um sie in ihrem Umfeld
ihrer Reputation zu berauben.

Wer in der DDR opponierte, merkte schnell: Die Stasi ist allgegenwärtig und in gewissem Sinne allmächtig. - Man selbst konnte sich daneben klein und ohnmächtig fühlen. Ich kann es an dieser Stelle nicht hinnehmen und muss es unbedingt ansprechen: Wir haben am Montag gehört, dass die AfD jetzt vom Verfassungsschutz anders behandelt wird, und Ihre ganze Arbeit in den sozialen Medien stellt sich so dar, als ob Sie sich auf eine Stufe mit diesen Stasi-Opfern stellen würden. Das passt überhaupt nicht! Das passt erstens inhaltlich nicht: Schauen Sie auf die Homepage der Landesbeauftragten! Was sehen Sie da? Ein historisches Transparent, auf dem steht: Für ein offenes Land mit freien Menschen. - Sie stehen doch für das Gegenteil! Sie lassen sich von einem westdeutsch geprägten Rechtsextremen führen, der in Lederhosen durch Nazi-Camps stolziert oder in Griechenland Urlaub macht und eine Hakenkreuz-
Fahne am Balkon aufhängt. Wo ist da die inhaltliche Gemeinsamkeit? Auch die Umstände passen überhaupt nicht.

Sie müssen aushalten, dass der Verfassungsschutz Ihre rechtsextremen Eskapaden beobachtet und dokumentiert und dass Sie Widerspruch aus der Zivilgesellschaft erhalten. Richtig so! Aber bricht der Verfassungsschutz in Ihre Wohnung ein, nimmt Dinge mit, stellt andere Dinge hinein, rückt die Möbel um und Sie kommen nach Hause und merken: Der Staat ist in Ihren vier Wänden der Herr im Hause? Werden Mitstreiter von Ihnen entführt und ins Ausland verschleppt? Wurden Mitstreiter von Ihnen Ziel von Mordanschlägen, in den Suizid getrieben oder sind unter mysteriösen Umständen in einem Knast vom Verfassungsschutzgestorben? Natürlich nicht. Der Vergleich ist himmelschreiend falsch.

Sie sind eben nicht die mutige Oppositionspartei, als die Sie sich gerne hinstellen, sondern kleingeistig. Sie verharmlosen die Stasi und treten damit die Opfer mit Füßen. Ich kann nur sagen:
Hören Sie damit auf!

Ein paar Worte zur Linken dürfen in dieser Debatte natürlich auch nicht fehlen. Herr Walter hat es ja selbst schon aufgenommen. Ich höre Ihnen zu und habe es zur Kenntnis genommen: Ihre Partei macht eine ganze Menge. Eine Sache, die mich immer wieder stört, ist, dass oft davon gesprochen wird, es habe 2007
eine Neugründung gegeben. Teilweise wird das auf Wikipedia und auch anderswo immer wieder so dargestellt. Auch viele Ihrer Mitglieder sagen das so. Das ist natürlich formal falsch und inhaltlich auch Augenwischerei. Sie haben es ja selbst gesagt: Die SED hat sich gegen eine Auflösung entschieden, es gab Umbenennungen, die Verschmelzung mit der WASG, aber eben keine Parteiauflösung.

Das ist ein schweres Erbe - nehmen Sie es an! Ich weiß, Sebastian, dir brauche ich es nicht zu sagen, aber es gilt für die gesamte Partei. Für sie bleibt es eine Daueraufgabe, auch unter jüngeren und westdeutsch sozialisierten Mitgliedern immer wieder das Bewusstsein zu schaffen. Sie sollten auch anerkennen
und laut sagen, dass es gut war, dass die friedliche Revolution erfolgreich war und zu den freien Volkskammerwahlen 1990 geführt hat. Aber wie heißt es so schön? „Wer ohne Sünde ist, werfe den
ersten Stein.“ Es ist leicht, in dieser Debatte auf die Linke zu zeigen, um sozusagen sich selbst davon frei zu machen. Aber machen wir es uns nicht zu leicht! Die Perfidität dieser Diktatur wird doch erst deutlich, wenn man anerkennt, wie schwierig es war, sich nicht mitschuldig zu machen in einem System, das darauf
angelegt ist, die Schwächen der Menschen zu identifizieren und gezielt auszunutzen.

Wo hat man sich weggeduckt? Wo hätte man Widerspruch erheben müssen und hat es nicht getan? Wo
war man nicht solidarisch mit den Opfern? Das meine ich nicht nur individuell, das gilt natürlich auch für viele Organisationen. Bauernpartei und DDR-CDU, die Vorgänger der Brandenburger CDU, haben das System auch mit stabilisiert. Auch die DDR-Opposition, Vorgänger von Brandenburger SPD und Bündnisgrünen, hatte Spitzel in ihren Reihen und pflegte einen zweifelhaften Umgang mit den Opfern des 17. Juni.

Heute haben wir es einfacher. Wir leben in einer Demokratie. Die Diktatur haben wir überwunden. Also, was können wir heute tun? Erstens natürlich Solidarität mit den Opfern üben. Wir müssen sie anerkennen, sie rehabilitieren und darin unterstützen, die Folgen und die Schäden zu überwinden. Die hohe Zahl der Erstkontakte bei der Landesbeauftragten - im jetzigen Bericht noch einmal dargestellt - zeigt: Es braucht diese Zeit. Viele Opfer brauchen Zeit, den Schritt zu gehen und das anzuzeigen. Es ist ja auch eine gewisse Schwelle, die man überschreiten muss.

Auch noch einmal deutlich geworden ist - neuere Forschungen haben das unterstrichen -: Es gibt eine transgenerationelle Weitergabe der psychischen Verfolgungsschäden. Das ist eigentlich auch kein Wunder. Logisch, dass Kinder unter der wirtschaftlichen Schlechterstellung oder den psychischen Erkrankungen
der Eltern leiden.

Neben der Anerkennung der Opfer geht es um Erinnern, Aufklären, politische Bildung. Wie funktioniert die Diktatur, wie funktioniert so etwas wie die Stasi? Wir haben einen großen Schatz, gesichert durch den Mut vieler Bürger: Wir haben die Stasiakten. Diese liefern die konkreten Beispiele, um das abstrakte System
erfahrbar zu machen.

Auch schon angesprochen wurde: Die Aufarbeitung oder der Umgang mit den Stasiakten waren in Brandenburg nicht immer bestens. Auch die erste Landesregierung, an der wir beteiligt waren, hat nicht immer alles perfekt gemacht. Während andere Bundesländer im Osten schon 1993 die Beauftragten für die Stasiunterlagen eingesetzt haben, haben wir erst 2009 die Landesbeauftragte eingesetzt, und während in anderen Bundesländern an jedem Bezirksstandort Außenstellen der BStU erhalten
blieben, war es in Brandenburg frühzeitig nur noch eine in Frankfurt (Oder).

Herr Scheetz hat es angesprochen: Auch ich danke dem letzten Landtag, dass die vorübergehende Gefahr, dass alles aus Brandenburg weggeht - wir hätten ja Berlin in der Mitte -, abgewendet
wurde. Die Redezeit ist um, ich muss zum Schluss kommen. - Ich möchte auch meinen Dank an die Landesbeauftragte aussprechen, sich so in die Debatte um die Zukunft der BStU-Außenstelle
oder -stellen eingebracht zu haben. Der vorliegende Antrag möchte eines deutlich machen: Es geht
nicht nur um eine zentrale Lagerung irgendwelcher Akten irgendwo in einem Schrank, sondern um die politische Arbeit damit, dezentral im ganzen Land.

Der vorliegende Antrag soll das mit dem Erhalt des Frankfurter Standortes als Dokumentations-,
Kontakt-, Beratungs- und Informationsstelle und der Schaffung eines zusätzlichen Lern- und Informationsortes in Cottbus möglich machen. Wir wollen die Aufarbeitung auf breite Füße stellen
und bitten dafür um Zustimmung.

- Danke.

Sehen Sie die Rede hier: