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Benjamin Raschke spricht zur Aktuellen Stunde "Ein Leben mit der Corona-Pandemie"

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne
diese Debatte ebenfalls mit einem Dankeschön, vielleicht
auch einem Dankeschön an die Damen und Herren, die das Pult
höherstellen könnten; auch das wäre sehr lieb - danke sehr.
Ich beginne also die Debatte mit einem Dankeschön an alle
Brandenburgerinnen und Brandenburger für das Durchhalten in
den letzten Wochen, das Aushalten der vielen großen und kleinen
Unsicherheiten und für Ihren ganz persönlichen Beitrag zur
bisherigen Bewältigung dieser Krise. Vom Pfleger mit Sonderschichten
über gestresste Eltern im Homeoffice bis zu den Feuerwehrfrauen
und Feuerwehrmännern, die trotz Virus ihre Einsätze
fahren - liebe Brandenburgerinnen und Brandenburger,
das haben Sie großartig gemacht! Vielen Dank! Danke schön!
Die Krise ist aber noch nicht vorbei. Wir alle sind froh, dass wir
uns gemeinsam eine Atempause - eine wichtige Atempause - erkämpft
haben. Wir haben die erste Welle erstaunlich gut überstanden,
und ich glaube, wir alle genießen die Lockerungen gerade
sehr. Das Virus aber bleibt, auch wenn wir aus dem akuten
Krisenmodus vielleicht gerade etwas heraus sind - zumindest bis
sich vielleicht Ende nächster Woche die Auswirkungen der Lockerungen
zeigen.
Heute ist also der richtige Zeitpunkt, um Zwischenbilanz zu ziehen.
Und klar ist: Für die Bildung, den Sport, die Wirtschaft, für
jeden Lebensbereich müssen wir Lösungen für den Umgang mit
dem Corona-Virus finden. Wie geht beispielsweise Kultur im Homeoffice oder mit Hygiene- und Abstandsregelungen? Und
wie man heute sieht - wenn ich mich hier so umschaue -, testen
wir auch: Wie geht Parlament unter diesen Hygienebedingungen?
Das ist ein etwas seltsamer Anblick - ich freue mich trotzdem,
Sie zu sehen.
Wir werden hier in den nächsten Tagen auf viele Details eingehen:
Vom Rettungsschirm für Soziales bis zu Verbraucherrechten
bei ausgefallenen Urlaubsreisen haben wir eine ganze
Menge auf der Tagesordnung. Ich will deswegen für die jetzige
Debatte weniger auf solche Details eingehen, sondern auf drei
übergeordnete Punkte:
Punkt 1, das Virus und die Gegenmaßnahmen: Die Hygieneregeln
und die Unsicherheit - all das wird uns vermutlich noch länger
beschäftigen. Das ist eine Binsenweisheit - wir alle wissen
das -, und dennoch leben wir in einem gespaltenen Zustand,
denn gleichzeitig ist natürlich die Hoffnung da, dass rasch alles
wieder „normal“ wird. Der wohl häufigste Satz unter Freunden
und Verwandten ist zurzeit: Das holen wir nach, wenn alles vorbei
ist. - Niemand weiß, wann das sein wird.
Wir lernen täglich über das Virus dazu, und auch ich will gar nicht
spekulieren, sondern Ihr Augenmerk auf etwas anderes lenken,
nämlich, wie erstaunlich gut wir damit umgehen. Wenn sich der
Reifegrad einer Demokratie am Umgang mit der Unsicherheit ablesen
lässt, zeigt sich doch ein erfreulich positives Bild: Wir haben
uns besonnen verhalten. Es gab und gibt große Zustimmung
zu dem von uns eingeschlagenen Kurs. Damit meine ich ausdrücklich
nicht etwa blinde Gefolgschaft, sondern öffentliche Debatten
über das Für und Wider und ganz besonders den Widerspruch,
als es zwischenzeitlich hieß, man solle diese Debatten
doch bitte beenden. Wenn ich mich zudem in der Welt umsehe,
stelle ich fest: Ich bin sehr froh, hier in einer Demokratie zu leben
- und dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir täglich
einstehen!
Damit bin ich bei Punkt 2 meiner Zwischenbilanz, der lautet: Ein
Übel kommt selten allein. - Unsere Hauptaufgabe ist es, das Virus
mit täglicher Besonnenheit, mit mehr Wissen, mit Tests, vielleicht
auch irgendwann mit einer Impfung zu bekämpfen. Aber
das alleine reicht nicht. Denn natürlich - wie immer, wie in jeder
Krise - kommen nun welche und rütteln an den Errungenschaften
der letzten Jahre und Jahrzehnte. Auch dagegen müssen wir uns
wehren, gegen den Rollback bei den Frauenrechten, gegen
Stimmen, die sagen: „Hauptsache Gegenmaßnahmen, soziale
Fragen stehen dabei im Hintergrund,“ gegen den Versuch, Verunsicherte
und Schwache zu vereinnahmen. Denn das Einzige,
liebe Kolleginnen und Kollegen, was gegen den Aluhut immunisiert,
sind ja wohl Fakten.
Vor allem aber müssen wir uns gegen den widerlichen Gedanken
wehren, einzelne oder gar ganze Gruppe zu ächten oder wegzusperren,
und gegen die Versuchung, mit totaler Überwachung
unsere Freiheit gegen Sicherheit einzutauschen - Stichwort
Corona-App. Wir sind da, glaube ich, inzwischen auf einem ganz
guten Weg, aber zwischenzeitlich gab es ja wohl wirklich gruselige
Vorschläge. Und darin sehe ich, sehen wir als Bürgerrechtspartei
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - neben der Bekämpfung des
Virus - die große Aufgabe: in der Verteidigung unserer Grundund
unserer Freiheitsrechte. Wir alle müssen dafür sorgen, dass
sie in der schwierigen Abwägung mit dem Grundrecht auf Leben
nicht zu kurz kommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch das ist ein Fazit aus den
letzten Wochen: Da weiß ich Sie alle an unserer Seite, wir sind
da Seite an Seite. Natürlich ist das heute, bei der etwas entspannteren
Lage leicht gesagt, aber es wird genau darauf ankommen,
wenn die Zahl der Infektionen, die Zahl der Toten wieder
steigt, und da zähle ich auf Sie alle bzw. - mit Blick nach
rechts - auf fast alle.
Und nun zu Punkt 3 meiner Zwischenbilanz: Ich will gar nicht zurück
in die Normalität vor Corona! Denn diese tiefe Krise ist auch
eine Chance, vieles besser zu machen als vorher. Da gibt es
mehr als genug zu tun. Das Virus zeigt uns mit schonungsloser
Brutalität, wo wir als Gesellschaft bisher versagt haben. Es tritt
überall dort massiv auf, wo Menschen unter unzureichenden Bedingungen
untergebracht sind: in Pflegeheimen, in Geflüchtetenunterkünften,
bei den Lohnarbeitern in der Fleischindustrie.
Um die dortigen Zustände wissen wir als Gesellschaft seit Langem.
Wir wissen zum Beispiel, dass das Soja für Kraftfutter unter
unhaltbaren ökologischen und sozialen Bedingungen angebaut
wird. Armut hilft ganz sicher nicht gegen Corona. Wir wissen,
dass in Schlachthöfen Akkordarbeit verlangt wird und dass
Mensch und Tier dabei kaum ein Wert zugemessen wird. Wir wissen
seit Langem, dass Profitorientierung im Gesundheitswesen
genauso fehl am Platze ist wie Unterausstattung. Das alles wissen
wir, und wenn wir überhaupt noch einen Anlass gebraucht
hätten, etwas zu ändern, haben wir ihn jetzt, und wir sollten ihn
nutzen!
Doch das Virus legt nicht nur den Finger in die Wunde. Es sind
auch noch große Aufgaben aus der Zeit vor der Krise offen. Vielleicht
hat die Natur eine kleine Atempause einlegen können, aber
das Artensterben geht weiter. Der Klimaschutz wartet nicht. Wir
haben gar keine andere Wahl, als diese Chance zu nutzen. Wir
müssen diese drei, vier großen Krisen gemeinsam angehen.
Wir haben den Umbau unserer Wirtschaft schon begonnen. Das
dürfen wir jetzt nicht für kurzfristig gedachte Maßnahmen gegen
Corona opfern. Wer „C“ wie „Corona“ sagt, liebe Kolleginnen und
Kollegen, muss auch „K“ wie „Klimaschutz“ sagen und gerne
auch noch „A“ wie „Artenschutz“. Sie sehen also, es gibt vieles,
was wir anders als in der Zeit vor Corona machen sollten. Es gibt
keinen Grund, sich in allem danach zurückzusehnen, wie es früher
war.
Was ich allerdings zugegebenermaßen gerne zur Verfügung
hätte, sind die finanziellen Mittel, die wir vor der Krise hatten.
Jetzt ist viel weniger Spielraum da, aber das kann ja nur eines
heißen: dass wir uns neben der Gesundheitspolitik auf das konzentrieren,
was wirklich für die Zukunft hilft. Ich bin mir sicher, wir
werden hier noch munter darüber streiten, was das denn bedeutet.
Als Koalition haben wir für den Fall zum Glück schon vorgesorgt:
Wir wollen drei Bereiche in den Mittelpunkt stellen und - ich
zitiere aus dem Koalitionsvertrag - „[…] in Infrastruktur, Bildung/
Wissenschaft und Klimaschutz investieren.“
Meine Zwischenbilanz: Ich sehe uns ganz gut gerüstet. Wir
schaffen es als Demokratie, das auszuhalten. Wir schaffen es mit
allem Einsatz, die Grundrechte zu verteidigen und totalitäres Gedankengut
zurückzudrängen. Wir sind auch in der Lage, die Krise
miteinander zu bewältigen Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe meine Rede mit einem
Dank begonnen, und ich möchte sie auch mit einem Dank beenden.
Noch viel mehr aber möchte ich die Debatte mit einem Dank
beenden; daher mache ich von meinem Recht Gebrauch, die mir
verbleibende Redezeit für den Schluss aufzuheben, und freue
mich jetzt auf Ihre Beiträge. - Herzlichen Dank.

Sehen Sie die Rede hier: