Zum Inhalt springen

Benjamin Raschke spricht zu unserem Antrag auf Aktuelle Stunde "Für Freiheit und Sicherheit im Netz - Cyberkriminalität effektiv abwehren"

- Es gilt das gesprochene Wort!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Sehr geehrte Gäste! Liebe Kolleginnen und Kollegen, guten Morgen!

Ich bitte Sie, erst einmal den Blick nach links auf Ihre Nachbarin oder Ihren Nachbarn zu lenken. - Ja, ein paar machen mit; herzlichen Dank. Warum ich Sie darum bitte? Weil Sie dann sehr wahrscheinlich in das Gesicht eines freundlichen Menschen blicken, der Opfer digitaler Gewalt geworden ist. 50 % aller Deutschen sind - das wissen wir aus einer Umfrage des Branchenverbands Bitkom - schon Opfer digitaler Gewalt geworden. Und wenn Sie mir jetzt nicht zuhören müssten, sondern miteinander plaudern könnten, könnte wahrscheinlich jeder Geschichten von Dingen erzählen, die er oder sie selbst schon erlebt hat oder - besser gesagt - erleben musste.

Einige haben ihre Laptops aufgeklappt. Wahrscheinlich hat jeder schon einmal einen Virus angezeigt, worunter einige waren, bei denen die Erpressung - „Wir schalten Ihren Computer erst frei bzw. löschen den Virus erst, wenn Sie Geld zahlen!" - gleich hinterherkam.

Viele von uns sind schon privat anonym beleidigt worden oder kennen Geschichten aus dem Bekanntenkreis, bei denen es darum geht, dass jemand auf fremde Kosten eingekauft, also ein Konto gehackt hat, um online zu shoppen.

Wer von Ihnen Kinder oder Enkelkinder hat, weiß: Mobbing auf dem Schulhof ist nicht mehr das einzige, auch digitales Mobbing ist an der Tagesordnung.

Vielleicht hat es auch die Frauen unter Ihnen schon getroffen: sexuelle Gewalt im Internet beispielsweise durch das Zusenden anstößiger und unmissverständlicher Bilder per E-Mail.

All das ist Alltag in Brandenburg. All diese Straftaten nehmen zu, weil unsere Welt immer digitaler und vernetzter wird, unsere Kühlschränke inzwischen die Milchstände aufs Smartphone funken und alle Schülerinnen und Schüler inzwischen ein Smartphone in der Tasche haben. Uns allen ist klar, dass das zunimmt, und auch, dass das von Übel ist, weil da massiv in Rechte eingegriffen wird: in das Recht auf Privatsphäre, auf körperliche und persönliche Unversehrtheit und in die Gesundheit insbesondere von Kindern und Frauen, von denen also, die besonders schutzwürdig sind.

Und auch die wirtschaftlichen Schäden sind enorm. Wir hatten hier bei der letzten Debatte beinahe einen Überbietungswettbewerb: Welche Fraktion bringt die Studie vor, welche die meisten wirtschaftlichen Schäden durch digitale Angriffe nachweist? Uns ist das allen klar, und das ist alles Grund genug, das immer wieder zu diskutieren und immer wieder neue Vorschläge zu machen, wie wir uns gegen digitale Gewalt und Cyberkriminalität schützen können.

Aber nun ist etwas passiert - und das ist Anlass für unsere Aktuelle Stunde -‚ was das Ganze auf eine neue Stufe hebt: Wir haben in den letzten Monaten mehrere Fälle erlebt, in denen viele, die hier sitzen, nicht nur privat, sondern politisch angegriffen wurden. Unser Antrag auf die Aktuelle Stunde „Für Freiheit und Sicherheit im Netz" hat insbesondere mit dem Doxing-Vorfall zu tun. Sie erinnern sich: Im Dezember und vor allem im Januar dieses Jahres sind Tapsende von Daten veröffentlicht worden - insbesondere von Politikerinnen und Politikern -‚ diffamieren sollten, die schaden sollten. Das war ein bewusster Angriff auf unser Wertesystem und unsere Demokratie - auch hier im Raum: 50 % meiner Fraktion hat es getroffen. Die Adresse des Ministerpräsidenten wurde veröffentlicht, um ihn zu diskreditieren, der Chatverlauf der geschätzten Kollegin Klara Geywitz war nachzulesen, Handynummern der Linken, E-Mail-Adressen der CDU - alle Fraktionen jenseits der AfD hat es in diesem Landtag getroffen.

Und es ist bundesweit genau das gleiche Bild: Alle Fraktionen jenseits der AfD hat es getroffen, und alle Künstlerinnen und Journalistinnen, die getroffen wurden, zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine klare Haltung gegen Rechts haben.

Das Ganze zeigt, dass Cyberangriffe und digitale Gewalt längst auch ein Mittel der politischen Auseinandersetzung geworden sind - dass sie dazu dienen, unser System und unsere Demokratie anzugreifen.

Selbst der Verfassungsschutz warnt inzwischen mit Blick auf die Kommunalwahlen, die wir vor uns haben, auf die Europawahlen, auf die Landtagswahlen, dass wir uns auf immer mehr digitale Angriffe, auf Propaganda, auf Desinformationskampagnen gefasst machen müssen. Spätestens jetzt ist klar: Wir müssen mehr tun, als wir bisher getan haben. Das, was bisher gegen digitale Gewalt erreicht wurde, reicht nicht aus. Wir müssen entschieden dagegen vorgehen. Aber auch das müssen wir tun - wir müssen dabei die Balance halten. Der Titel unserer Aktuellen Stunde ist kein Zufall. „Für Freiheit und Sicherheit im Netz". Das ganze kann jedoch kein Grund sein, mit anlassloser und lückenloser Überwachung zu beginnen. Das Ganze kann kein Anlass sein, staatliches Eindringen in die Privatsphäre zu fördern und Schutzlücken staatlich zu nutzen, anstatt sie zu schließen. Das kann kein Anlass sein, dem Antrag der CDU zuzustimmen, denn dann ist es mit der Freiheit im Netz vorbei.

Deshalb danke ich Ihnen, den Kolleginnen und Kollegen von der SPD und den Linken, sehr, dass wir uns auf einen gemeinsamen Antrag verständigen konnten - auf einen guten Antrag, auf einen Antrag, der genau diese Balance wahrt. Der es schafft, dass wir mehr Freiheit und Sicherheit im Netz haben und die Balance nicht ins Kippen gerät, wie das beim CDU-Antrag der Fall wäre. Wir werden mit unserem Antrag die Landesregierung beauftragen, erstens - und das ist das Wichtigste - uns alle in die Lage zu versetzen, uns selber zu verteidigen - alle Bürgerinnen in die Lage zu versetzen, dagegen vorzugehen, indem sie überhaupt wissen, was da passiert. Wissen ist Macht, und deswegen ist der erste Schritt Aufklärung. Die Landesregierung muss landesweite Aufklärungskampagnen starten. Die Bildung an den Schulen und die Jugendarbeit müssen noch stärker darauf ausgerichtet werden, insbesondere neue Phänomene wie Cybersexismus oder Cybermobbing zu behandeln. Da sind wir uns einig geworden, und das ist gut. Gut ist auch, dass wir den guten Landesaktionspian gegen Gewalt an Frauen und Kindern noch stärker in die digitale Welt holen - der ist bisher sehr analog ausgerichtet. Auch das ist ein guter Schritt, auf den wir uns einigen konnten.

Wichtig ist auch - das ist das zweite große Paket, das wir vorschlagen -‚ unseren Sicherheitsbehörden den Rücken zu stärken. Aber nicht so, wie es die CDU vorschlägt, sondern indem wir erst einmal die Ausbildung verbessern, wir die Ausbildungsmodule an der Fachhochschule der Polizei verbessern. Indem wir mehr Polizistinnen und Polizisten in die Lage versetzen, in den sozialen Medien stärker ansprechbar zu sein, und - auch das ist ein Erfolg unserer Verhandlung und Zusammenarbeit- indem wir ihnen mehr Wissen an die Hand geben. Wir brauchen auch bei der Polizei mehr Wissen darüber, wie insbesondere Gewalt gegen Frauen aussieht. Dazu gibt es bisher keine statistische Grundlage, und wir konnten uns darauf einigen, nicht ob, sondern wie diese Daten in Zukunft ermittelt werden - dafür auch herzlichen Dank. Vor allem aber - und das haben wir aus dem Doxing-Vorfall gelernt - geht es um bessere Zusammenarbeit und Vernetzung. Viele andere Bundesländer wussten schon, was da los ist, hatten Ahnung, dass da Accounts gehackt wurden, was da schon läuft, und man hat sich einfach nicht miteinander abgesprochen. Da hilft, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, kein Staatstrojaner. Da hätte es eine einfache Telefonkonferenz getan.

Und deshalb: So einig wir uns sind, dass die Welt immer vernetzter und digitaler wird, und so einig wir uns sind, dass die Straftaten zunehmen, so einig sind wir uns auch, dass wir noch stärker als jemals zuvor die Aufgabe haben, uns alle dagegen zu schützen. Aber - und das ist das Entscheidende - dabei auch die Balance zu wahren. Wir haben in unserem Entschließungsantrag einige gute Schritte in die Richtung unternommen. Wir schaffen es, die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit zu wahren.

Ich freue mich auf Ihre Debattenbeiträge und werbe um die Zustimmung zu unserem Antrag. Herzlichen Dank.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. -Auch Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, herzlichen Dank für die Debatte, die zunächst einmal gezeigt hat: Ja, wir alle sind in der Verantwortung, uns selber zu schützen. Das ist der erste und wichtigste Schritt. Die Debatte hat auch gezeigt, dass wir bei den staatlichen Maßnahmen die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit wah-ren müssen und dass hier der Unterschied insbesondere zur CDU liegt. Lieber Kollege La-kenmacher, ich bin ein bisschen enttäuscht, dass sich Ihr Antrag nach der guten Anhörung, dem Fachgespräch im Ausschuss nicht wesentlich verbessert hat. Dass uns im Grunde hier wieder die gleichen Forderungen vorliegen, auch die Forderung nach dem Staatstrojaner, der ein massiver Grundrechtseingriff, durch nichts zu rechtfertigen und vor allen Dingen nicht not-wendig ist.

Schauen wir uns noch einmal den Doxing-Vorfall an. Andere Landesbehörden wussten, was los ist. Was wollen Sie da mit einem Staatstrojaner? Wollen Sie aus Brandenburg das LKA in Hessen ausspionieren? Das kann ja wohl nicht Ihr Ernst sein. Also: Das brauchen wir nicht.

Das Dritte, was die Debatte gezeigt hat - da danke ich vor allem Frau Gossmann-Reetz -‚ ist, dass wir die parlamentarische Demokratie schützen müssen.

Ich will meine restliche Redezeit nutzen, um auf einen Zwischenruf von Herrn Galau einzugehen. Er hat gefragt: Ja, was können wir denn dafür? - Er hat sozusagen jede Schuld von sich gewiesen, dass es inzwischen ein Mittel der politischen Auseinandersetzung geworden ist, diese lnternetschwächen ausnutzen. Das kann ich so nicht stehenlassen. Wir stehen in einer politi-schen Auseinandersetzung, in der Ihnen als Fraktion, als Partei inzwischen jedes Mittel recht ist, an die Macht zu kommen.

Ihnen ist die Wahrheit nicht heilig. Der Anstieg von Fake News und der AfD ist ja wohl kein Zufall. Ihnen ist die Demokratie nicht heilig.

Ihnen ist die Sicherheit nicht heilig, die Freiheit nicht heilig. Sie, Herr Kalbitz - das mussten wir heute Morgen lesen - stehen im Verfassungsschutzbericht mit Zitaten, in denen Sie zu einem gewaltsamen Umsturz aufrufen. Ich sage nur: "Helm auf!" - Ihnen ist das alles nicht heilig.

- Sie können sich gern melden. - Ich machen Ihnen nicht den Vorwurf, selber Feuer gelegt zu haben und Cyberattacken durchzuführen, aber ich machen ihnen den Vorwurf, das Klima zu schüren, Brandstiftung zu betreiben.

Sie schüren ein Klima, in dem Minderheiten geächtet werden, in dem Lehrer an den Pranger gestellt werden, in dem Menschen aufgefordert werden, Selbstjustiz zu betreiben und solche Attacken durch-zuführen. Ich sage Ihnen: Damit kommen Sie nicht durch, damit haben Sie die Mehrheit des Hauses gegen sich.