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Ursula Nonnemacher spricht zum Gesetzentwurf der SPD-Fraktion und der Fraktion DIE LINKE „Gesetz zur Erweiterung des Wahlrechts im Land Brandenburg“

- Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede!

„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“ Artikel 20 Absatz 2 unseres Grundgesetzes stellt eine der Grundbedingungen unseres demokratischen Verfassungsstaates dar.

Zum Volke zählen auch Menschen, für die ein rechtlicher Betreuer oder eine rechtliche Betreuerin bestellt sind und Menschen, die sich aufgrund einer Einweisung in psychiatrischen Krankenhäusern befinden. Auch Artikel 29 der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen zur Teilhabe von Behinderten am politischen und öffentlichen Leben, die seit 2009 in Deutschland geltendes Recht darstellt, sieht das Wahlrecht als wesentlichen Bestandteil eines selbstbestimmten Lebens an. Die Konvention unterscheidet nicht zwischen Personen, welche die Fähigkeit zur Wahl besitzen und solchen, die sie nicht besitzen. Sie fordert vielmehr eine inklusive, partizipative und nichtdiskriminierende Ausgestaltung des Rechts auf politische Teilhabe und stellt die Befähigung und Unterstützung derjenigen in den Vordergrund, die ihrer bedürfen. Ein Ausschluss vom Wahlrecht ist von der Behindertenrechtskonvention nicht vorgesehen und nach ihr auch nicht zulässig.

Im März 2017 hat der Europarat eine Resolution über die politischen Rechte von Menschen mit Behinderungen beschlossen. Die Mitgliedsstaaten werden darin aufgerufen, die in der UN-Behindertenrechtskonvention festgelegten Menschenrechtsstandards vollständig umzusetzen.

§ 7 des Brandenburgischen Landeswahlgesetzes sowie § 9 des Brandenburgischen Kommunalwahlgesetzes verwehren Menschen, die sich in Betreuung oder einem psychiatrischen Krankenhaus befinden, jedoch sowohl das aktive als auch das passive Wahlrecht. Diesen Menschen wird pauschal eine fehlende Einsichtsfähigkeit zugeschrieben, mit welcher der Wahlrechtsausschluss gerechtfertigt wird. Es ist jedoch nicht ersichtlich, weshalb eine in Betreuung befindliche Person nicht in der Lage sein sollte, eine politische Willensbildung vorzunehmen und anschließend eine Wahlentscheidung zu treffen. Wir Bündnisgrüne bieten z.B. unser Wahlprogramm zur Landtagswahl in einfacher Sprache an, um eine barrierearme Möglichkeit zu eröffnen, sich über unsere politischen Standpunkte zu informieren.

Zur Stärkung der gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ist die Abschaffung der Wahlrechtsausschlüsse im Landes- und Kommunalwahlgesetz ein wichtiger Schritt. Die Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein sind hier bereits mit gutem Beispiel vorangegangen. Thüringen plant die Abschaffung der Ausschlussgründe für das kommende Jahr, in Berlin soll sie 2021 erfolgen.

In unserem inklusiven Parité-Gesetz, welches wir bereits Anfang März im Plenum vorgelegt haben, fordern wir genau jene Änderung von § 7 des Landeswahlgesetzes, welche SPD und Linke nun vorlegen. Die Minimierung der Wahlrechtsausschlüsse trägt zur Stärkung einer sozialen Inklusion des Wahlrechts bei. Damit erhalten Betreute und in psychiatrischen Krankenhäusern Untergebrachte endlich ein Recht, auch politisch auf Veränderungen hinzuwirken.

Was den Ausschluss vom passiven Wahlrecht angeht, gehen wir in unserem Gesetzentwurf zur Änderung des Brandenburgischen Landeswahlgesetzes einen anderen Weg als die Koalitionsfraktionen. Unser Entwurf schließt weiterhin die Gruppe der im Maßregelvollzug Untergebrachten vom passiven Wahlrecht aus, da der Aufenthalt in einem psychiatrischen Krankenhaus durch Anordnung schwer mit der freien Mandatsausübung vereinbar ist. Für die Gruppe der sogenannten Vollbetreuten sehen wir den tiefgreifenden Grundrechtseingriff eines Entzugs des passiven Wahlrechts jedoch nicht als verhältnismäßig an, da das Prozedere der Kandidat*innenaufstellung in Verbindung mit der Wahlentscheidung der Bevölkerung ausreichend Gewähr bietet, Bewerber*innen mit schwerwiegenden Einschränkungen von der Mandatsausübung fernzuhalten. Diese Unterschiede werden in der Anhörung zu thematisieren sein. Ungeachtet der unterschiedlichen Betrachtungsweise im Detail begrüßen wir den Gesetzentwurf und stimmen gerne zu.