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Ursula Nonnemacher spricht zu unserer Großen Anfrage 27 „Die Situation von Alleinerziehenden im Land Brandenburg“

>> Unsere Große Anfrage und die Antwort der Landesregierung findet ihr hier als pdf-Datei

- Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede!

Das Thema Alleinerziehende ist und bleibt für uns Bündnisgrüne ein wichtiges Thema. Bereits im letzten Jahr haben wir hier im Landtag dafür gekämpft, dass der Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende als familienpolitische Leitung erhalten bleibt. In den Anhörungen zu unserem Antrag und durch die sich fast zeitgleich vollzogenen bundesrechtlichen Änderungen wurde überdeutlich, wie viele Herausforderungen es für Alleinerziehende gibt, wie komplex und facettenreich diese Lebensform ist. In jeder vierten Familie im Land Brandenburg ist ein Elternteil alleinerziehend. Wir finden, dieser doch relativ hohe Anteil rechtfertigt es, mit der vorliegenden Großen Anfrage erneut ein Licht auf deren besondere Lebenssituation zu werfen. Die Antworten der Landesregierung, die leider an vielen Stellen lückenhaft oder nur wenig differenziert sind, bestätigen unsere Eindrücke. Vor allem bestätigten die Antworten, dass viele der Faktoren, die grundsätzlich auf Familien einwirken, sich bei Alleinerziehenden wie durch ein Brennglas potenzieren. Für uns stellt sich das an einem Faktor besonders deutlich dar: Kinderarmut. Warum?
Das Risiko für Kinderarmut ist in Ein-Eltern-Familien außerordentlich hoch. Der aktuelle Sozialbericht zeigt, dass im Land Brandenburg Personen in Haushalten von Alleinerziehenden mit 40,9% am weitaus stärksten armutsgefährdet sind. Weit über ein Drittel aller Alleinerziehenden stecken im Sozialleistungsbezug förmlich fest. Armutsgefährdung und Sozialleistungsbezug haben natürlich Folgen. Und die werden, das ist lange bekannt, zu einem großen Teil von den Kindern getragen. Wir sehen aus den Antworten auf unsere Große Anfrage, dass vor allem bei Hilfen zur Erziehung ein sehr großer Handlungsbedarf besteht. Bei sieben von acht Maßnahmen, die von Familien hier im Land in Anspruch genommen wurden, besteht eine überdeutlich höhere Inanspruchnahme von Alleinerziehenden. Als Beispiele seien genannt: Die Erziehungsberatung, die sozialpädagogische Familienhilfe, die Einzelbetreuung und besonders erschreckend, die Vollzeitpflege. Es mag sein, dass diese Zahlen lediglich bedeuten, dass Hilfsangebote in Anspruch genommen werden, und das wäre dann ein gutes Zeichen. Es mag allerdings auch sein, dass diese Zahlen verdeutlichen, wie dringend Alleinerziehende Hilfe und Unterstützung brauchen und diese Maßnahmen, deren Inanspruchnahme ja schon Überwindung kostet, der letzte Ausweg nach einer Reihe von vorher gescheiterten Versuchen sind. Warum müssen so viele Alleinerziehende auf das Angebot der Vollzeitpflege für ihre Kinder zurückgreifen? Welche niedrigschwelligen Beratungs- und Unterstützungsangebote hat es vorher gegeben oder eben auch nicht? Wie kann diesen Eltern und vor allem ihren Kindern im Alltag besser geholfen werden, damit Probleme erst gar nicht eskalieren? Welche Konzepte gibt es zum Beispiel für eine Familienbegleitung Alleinerziehender? Das Netzwerk Gesunde Kinder funktioniert doch auf ähnliche Weise und ist mittlerweile an vielen Stellen recht erfolgreich. Wie wäre es denn, wenn die Landesregierung konkrete Konzepte der Alleinerziehendenverbände zur Familienbegleitung durch Patenschaftsmodelle aufgreift?

Auch ein weiterer Befund erschreckt uns. Kinder von Alleinerziehenden haben zu 69% einen klinisch relevanten Befund bei den Einschulungsuntersuchungen. Uns ist klar, dass die Befundhäufigkeit bereinigt wird durch den Sozialstatus der Familie. Solange in diesem Land Armut und alleinerziehend Hand in Hand gehen, ist das doch aber kein Grund zur Erleichterung, so wie es in der Antwort auf unsere große Anfrage fast anklingt! In der Antwort verweist die Landesregierung auf die Zuständigkeit der Krankenkassen für gesundheitliche Präventionsmaßnahmen. Eine kurze Internetrecherche ergab zumindest bei uns keine Treffer für Kurse für Alleinerziehende bei verschiedenen Krankenkassen. Auch die Suche nach den Stichwörtern „Vorschulkinder“ und „Kita“ ergab nicht viel. Einige Angebote existieren im Bereich der Adipositasprävention bei jüngeren Kindern. Angebote zur Sprachförderung haben wir vergeblich gesucht. Ebenfalls vergeblich suchen wir nach Ideen der Gesundheitsprävention in der Dokumentation der Fachtagung „Alleinerziehende nicht allein lassen“. Diese Veranstaltung fand im Rahmen des „Runden Tisches gegen Kinderarmut“ der Landesregierung statt. Warum wurden gesundheitliche Fragen hier nicht thematisiert? Unser Unverständnis wächst, wenn wir weiter in den Antworten zur Großen Anfrage lesen: „Für den Zugang alleinerziehender Eltern zur Inanspruchnahme gesundheitlicher Maßnahmen können Beratungsstellen eine Schlüsselfunktion einnehmen. Sie unterstützen darüber hinaus bei der psychosozialen Bewältigung der Lebenssituation, aber auch hier ist das Angebotsspektrum in der Regel nicht spezifisch auf Alleinerziehende zugeschnitten.“ Werden diese Nachteile und Ungerechtigkeiten von der Landesregierung weitgehend stillschweigend hingenommen? Das darf nicht sein! Vor allem nicht bei einer Landesregierung, die die Bekämpfung von Kinderarmut ganz oben auf ihre Agenda gesetzt hat.

Was erwarten wir konkret? An allererster Stelle möchten wir gerne wissen, welche Erkenntnisse durch den „Runden Tisch gegen Kinderarmut“ bereits gewonnen wurden. Im Zusammenhang dazu auch, welche Maßnahmen aus diesen Erkenntnissen entwickelt und umgesetzt wurden. Der Runde Tisch arbeitet mit einem stark regionalen Fokus. Aber welchen Einfluss haben Ergebnisse des Runden Tisches auf die Strategien gegen Armut auf Landesebene? Und warum gibt es eigentlich für das Megathema Kinderarmut keinen eigenen Maßnahmeplan?

Wenn 41,5 % der arbeitslosen alleinerziehenden Frauen keine abgeschlossene Berufsausbildung haben, fordern wir dringend noch mehr Anstrengungen der Landesregierung für die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Kindererziehung. Gerade für Alleinerziehende ist dafür eine hochqualitative Betreuung in Kitas und Ganztagsschulen wichtig. Wir wissen, auch ohne Runden Tisch, dass Alleinerziehende oft Betreuungsprobleme in Randzeiten haben. Hier könnte die Landesregierung konkret unterstützen, trotz kommunaler Zuständigkeit! Wir wissen auch, dass Alleinerziehende deutliche Unterstützung bei der Aufnahme einer Beschäftigung oder der beruflichen Weiterqualifizierung benötigen. Das Landesprogramm „Förderung für Langzeitarbeitslose und Familienbedarfsgemeinschaften“ ist ein guter Schritt. Die Zahlen zeigen doch aber, dass das Programm alleine nicht reicht! Folgen müssen gezielte Ansprachen an (alleinerziehende) Frauen, Berufe mit guten Einkommen und Aufstiegsmöglichkeiten zu ergreifen. Denn, auch wenn der Anteil alleinerziehender Männer in Brandenburg leicht angestiegen ist, beträgt er dennoch nur rund 13%. In den allermeisten Fällen ist die Mutter der alleinerziehende Elternteil. Unsere große Anfrage zeigt: Sie sind ärmer als alleinerziehende Männer. Das kann daran liegen, dass sich der Vater nicht an der Existenzsicherung des Kindes beteiligt. Das kann auch daran liegen, dass alleinerziehende Frauen größtenteils vorher in Paarfamilien Kinder großgezogen und zugunsten der Karriere des Mannes in Teilzeit gearbeitet oder keine Erwerbstätigkeit ausgeübt haben. Mit allen negativen Folgen für die Höhe ihres Einkommens, ihrer Aufstiegsmöglichkeiten und Gestaltungsmöglichkeiten im Job.

All das darf jedoch nicht zu Lasten der Kinder gehen. Sie haben alle Startchancen verdient, unabhängig davon, in welchen Familien sie aufwachsen. Sonst vererbt sich Armut auf die nachfolgende Generation. Unsere Anfrage zeigt: Die Landesregierung muss endlich Ergebnisse aus ihrer Arbeit gegen Kinderarmut liefern!