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Ursula Nonnemacher spricht zur Aktuellen Stunde der SPD-Fraktion: „Faire und angemessene Kostenverteilung in der Pflege erreichen“

- Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede!

Die bekannte Soziologin Frau Prof Allmendinger hat erst kürzlich auf einer Veranstaltung in Potsdam darauf hingewiesen, dass das deutsche Sozialsystem auf einer Teilung beruht: einer ist erwerbstätig – einer arbeitet unbezahlt. Um es genau zu sagen: eine arbeitet unbezahlt. Dieses traditionelle Modell der Einverdienerfamilie hat trotz zunehmender Erwerbsbeteiligung von Frauen immer noch viele Auswirkungen: die Rationalität des unseligen Ehegattensplittings, die Halbtagsschule, die Mitversicherung beruhen darauf. Auch die heutige Situation in der Pflege spiegelt dieses überkommene Sozialstaatskonzept wider: Frauenarbeit war umsonst und wurde bei der Professionalisierung der Pflege niedrig tarifiert.

Die Beschäftigung in der Pflege ist weiterhin weiblich dominiert: die Frauenquote liegt bei 87%, die Vollzeitquote nur bei 32%. Die durchschnittliche Verweildauer in der Pflege liegt bundesweit bei nur 8,4 Jahren, die Arbeit ist körperlich und seelisch erschöpfend, der Krankenstand weit überdurchschnittlich. Das wissen wir seit Jahrzehnten, es hat sich aber faktisch kaum etwas getan. Zwar wird in wohlfeilen Sonntagsreden immer mal wieder angemerkt, dass das Berufsbild aufgewertet werden müsse und es nicht verständlich sei, warum einer Gesellschaft die Reparatur von Autos mehr wert sei als die Pflege von Menschen. Montags hatte sich dies dann aber meist erledigt und die überwiegend weiblichen Beschäftigten haben auch wenig aufbegehrt: das Rollenbild der in Teilzeit Zuverdienenden, der niedrige gewerkschaftliche Organisationsgrad mit Fehlen von Tarifverträgen und die mangelnde Selbstvertretung der Interessen – zum Beispiel in einer Pflegekammer – taten ein Übriges.

Erst die demografische Entwicklung unserer Gesellschaft mit einer altersbedingt rasant steigenden Pflegebedürftigkeit und einem immer gravierenderen Fachkräftemangel hat den Beschäftigten in der Pflege endlich die Aufmerksamkeit zuteilwerden lassen, die sie verdienen. Die Instrumente zur durchgreifenden Aufwertung des Pflegeberufes und Abwendung des Pflegenotstandes sind für uns klar: bessere Bezahlung durch flächendeckenden Tarifverträgen in der Altenpflege, Verbesserung der Arbeitsbedingungen, Anreize zur Rückkehr in den Beruf, Ausweitung von Vollzeit und Teilzeit mit höherem Stundenanteil, Fortbildung, mehr Ausbildungsplätze und Einführung einer Ausbildungsvergütung, Vertretung professionell Pflegender in den Gremien der Selbstverwaltung durch Förderung von Pflegekammern und –last but not least – verbindliche Personalbemessungsinstrumente.

Einiges davon findet sich in dem Sondierungspapier zwischen CDU/CSU und SPD wieder, bei anderem sind wir doch sehr enttäuscht. Das versprochene Sofortprogramm von 8000 Stellen in der Altenpflege ist ein Tropfen auf den heißen Stein und bleibt weit hinter den 25.000 Stellen oder 1,2 Milliarden jährlich zurück, auf die sich die Jamaika-Sondierer geeinigt hatten. Auch das leichte Nachbessern an umstrittenen Personaluntergrenzen statt verbindlicher Personalbemessung sind dürftig.

Riesengroß und ungelöst ist das Problem, wie steigende Pflegekosten finanziert werden sollen. Schon jetzt erleben wir durch die Pflegestärkungsgesetze und steigende Tarifabschlüsse, dass die Kosten auf die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen umgelegt werden. Die Pflegeversicherung als Teilkaskoversicherung deckt eben nur einen Teil der entstehenden Kosten ab. Der durchschnittliche Eigenanteil an einem vollstationären Pflegeplatz liegt momentan im Bundesdurchschnitt bei 1700 Euro, Tendenz steigend. Eine gesamtgesellschaftliche Diskussion, wie die zu erwartenden Kostensteigerungen in der Pflege aufgefangen werden, steht aus. Wir Grünen fordern seit langem eine solidarische Pflege-Bürgerversicherung mit regelmäßig Dynamisierung der Leistungen. Aber auch damit ließe sich noch keine Vollfinanzierung erreichen.

Dass sich jetzt die SPD dafür abfeiert, dass sie als Trost für die nicht kommende Bürgerversicherung die Arzthonorare für privat und gesetzlich Versicherte angleichen will, halten wir in Anbetracht des Pflegenotstandes für ein total falsches Signal. Was ist denn das für eine sozialdemokratische Logik zulasten der GKV-Versicherten den Honorarturbo für Ärzte anzuwerfen, statt endlich Pflegekräfte stärker in den Blick zu nehmen. Damit führen Sie sich in dieser aktuellen Stunde doch selbst ad absurdum! Wenn Sie einen Schritt in Richtung Bürgerversicherung hätten gehen wollen, wäre die Wahlfreiheit für Beamte das wesentlich bessere Signal gewesen.