Zum Inhalt springen

Axel Vogel zum Gesetzentwurf der Landesregierung „Zur Änderung des Haushaltsgesetzes 2017/2018 (Nachtragshaushaltsgesetz 2018 - NTHG 2018)“

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Lassen Sie uns über Geld reden.

(Heiterkeit der Abgeordneten Lehmann [SPD])

Sie haben für Ihr Girokonto von Ihrer Bank einen Kreditrahmen von .18 180 Euro eingeräumt bekommen, bislang aber nur 16 000 Euro in Anspruch genommen. Nach einem guten Geschäft gehen Sie zur Bank, zahlen 180 Euro ein und lassen im Überschwang Ihrer Gefühle zugleich den Kreditrahmen auf 18 000 Euro absenken. Kurz vorm Rausgehen sagen Sie zum Kassierer: „Ach ja, 155 Euro nehme ich noch in bar mit!"

Preisfrage: Um wie viel Euro ist Ihre Verschuldung gesunken? Lassen Sie sich mit der Antwort ruhig Zeit, ich komme später darauf zurück.

(Heiterkeit der Abgeordneten Nonnemacher [B90/GRÜNE], Lehmann [SPD] und Dr. Redmann [CDU])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Nachtragshaushalte sind normalerweise eine Routineangelegenheit: Bürokratisches Nacharbeiten plus ein paar politische Akzente - das dürfte auch den Inhalt dieses Nachtragshaushalts am besten charakterisieren. Jetzt wird ein Riesenbohei um dessen Volumen von fast 500 Millionen Euro gemacht.

(Zuruf der Abgeordneten Mächtig [DIE LINKE])

Der Großteil dieser Mittel sind aber einfach Weiterleitungen von Steuern und Bundesmitteln an die Kommunen, zum Beispiel für den Unterhaltsvorschuss, oder Mittel, die bereitgestellt werden müssen, weil es bereits gesetzlich so festgelegt oder in Tarifverhandlungen vereinbart wurde. Weder ist der Nachtragshaushalt geeignet, die drängendsten Probleme dieses Landes zu lösen, noch ist er dafür gedacht. Weder der BER noch die Nachwirkungen der gescheiterten Kreisgebietsreform und schon gar nicht die Beliebtheitswerte des Innenministers oder des Ministerpräsidenten sind Gegenstand des Nachtragshaushalts.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt SPD und DIE LINKE)

Plenarbeiträge, die vertieft in einen Nachtragshaushalt einsteigen wollen, sind daher für die meisten Bürgerinnen und Bürger ungefähr so attraktiv wie Buchhalterwitze - man kann sie sich also sparen. Da dennoch einige Menschen zuhören könnten, blähendann Abgeordneten einzelne Ausgabenpositionen zu Belegen für großartiges Regierungshandeln auf; Oppositionsabgeordnete wie Regierungsabgeordnete greifen zur ganz großen Geste, und insbesondere Oppositionsabgeordnete sind gefährdet, sich in der Trauerarbeit über die mit dem jeweiligen Nachtragshaushalt angeblich oder wirklich verpassten Chancen zu erschöpfen.

(Dr. Redmann [CDU]: Auf weicher Seite standen Sie noch mal? - Wichmann [CDU]: Das weiß er selbst nicht so genau!)

Dabei geht dann leider mitunter die erforderliche Tiefe verloren. Bevor ich jetzt also auch in die Trauerarbeit einsteige, möchte ich kurz einen größeren Zusammenhang aufzeigen.

Wer 500 Millionen Euro mehr ausgeben will, muss erst einmal 500 Millionen Euro mehr einnehmen - sollte man zumindest meinen. Ein genauerer Blick in die Bücher zeigt allerdings: Lediglich 200 Millionen Euro sind Steuermehreinnahmen; 50 Millionen sind Mehreinnahmen aus dem Länderfinanzausgleich. Und wenn Brandenburg mehr aus dem Länderfinanzausgleich bekommt, heißt das, dass unsere Einnahmen relativ zu anderen Bundesländern schrumpfen und nicht steigen, dass wir allem Eigenlob zum Trotz bei der Einnahmekraft hinter anderen Bundesländern zurückbleiben. Ich denke, das ist ein deutliches Warnsignal.

155 Millionen Euro sollen nun also der allgemeinen Rücklage entnommen werden.

Damit kommen wir zurück zur Preisfrage: Fügen Sie sechs Nullen an die vorhin genannten Beträge an, und Sie finden sich in der aktuellen Haushaltsdiskussion wieder. So hat sich die Landesregierung gerade gerühmt, mit dem Haushaltsüberschuss aus dem Jahr 2017 180 Millionen Euro zu tilgen. Gleichzeitig entnimmt sie mit dem Nachtragshaushalt 155 Millionen Euro aus der Rücklage. Haushaltsrechtlich bedeutet das: Die nominelle Staatsverschuldung sinkt um 180 Millionen Euro; die reale Verschuldung am Kapitalmarkt sinkt 2018 auch um 180 Millionen Euro - für eine nominelle Sekunde, um im nächsten Augenblick wieder um 155 Millionen anzusteigen.

Die Antwort auf die Preisfrage lautet also haushaltspolitisch korrekt: Es kommt auf den Blickwinkel an - oder auf Niederdeutsch: Wat dem eenen sin Uhl, is dem andern sin Nachtigall.

Man kann es also so oder so deuten, aber in einem Punkt beißt die Maus keinen Faden ab: Die Entnahme aus der Rücklage ist immer gleichbedeutend mit einer Kreditaufnahme am Kapitalmarkt.

(Minister Görke: Falsch!)

Soweit diese reale Neuverschuldung am Kapitalmarkt dazu dient, dringend notwendige Zukunftsinvestitionen zu tätigen, kann man das verantworten. Wenn wir allerdings die vorgesehenen Einnahmen und Ausgaben einander gegenüberstellen, ergibt sich plötzlich folgendes erstaunliches Bild: 155 Millionen Euro Entnahme aus der Rücklage stehen - 'das zeigt die Powerpoint-Präsentation auf Ihrer Webseite, Herr Finanzminister. - Investitionen von lediglich 100 Millionen Euro gegenüber. 55 Millionen Euro fließen also in konsumtive Ausgaben.

Schuldenaufnahme für Konsum - das nennt man in der Haushaltspolitik normalerweise „strukturelle Unterdeckung“. Landkreise, die Derartiges versuchen, müssen ihren Haushalt vom Innenminister genehmigen lassen. Nur wenn ein überragender Konsolidierungswille erkennbar ist, ist er überhaupt genehmigungsfähig. Beim Landeshaushalt dagegen können gegenwärtig höchstens Opposition und Landesrechnungshof mahnend die Hand heben.

Für uns alle in diesem Landtag sind diese Zahlen aber ein großes Menetekel, bedeuten sie doch nichts anderes, als dass die vom Finanzminister verbreitete Stimmung besser als die finanzpolitische Lage ist. Trotz boomender Wirtschaft und Rekordsteuereinnahmen greift Rot-Rot in die Rücklagen und damit in die Schwankungsreserve für schlechtere Zeiten. Unverändert gelingt es nicht, von vornherein Schuldentilgungen im Haushalt zu verankern.

(Beifall B90/GRÜNE)

Die traurige Botschaft ist: Großzügige Ausgabenprogramme können wir uns unverändert nicht leisten. Und vorgezogene Wahlkampfgeschenke, wie die 22 Millionen Euro für Witterungsschäden in der Landwirtschaft - einer Landwirtschaft, die bereits mit über 300 Millionen Euro pro Jahr aus EU-Mitteln gefördert wird -‚ sollte man da lieber gleich im Sack lassen.

(Zuruf des Abgeordneten Domres [DIE LINKE])

Liquiditätshilfen für notleidende Betriebe? Ja! Vorzeitige Auszahlungen? Ja! Aber Landesmittel noch zusätzlich obendrauf packen? Nein! Programme, in die man 2018 mit niedrigen Beträgen einsteigt, deren Kosten dann in den nachfolgenden Jahren zu explodieren drohen, muss man besonders kritisch hinterfragen.

Mit ihrem expansiven Nachtragshaushalt setzt die Landesregierung also auf das Prinzip Hoffnung und vertraut darauf, dass in den nächsten Jahren zusätzliche Bundesmittel fließen. Das könnte mit der GroKo so kommen; aber solange wir nicht wissen, wie am Ende überhaupt die Koalitionsvereinbarung aussieht und ob die neuen Dreimonatsmitglieder der SPD dem überhaupt zustimmen werden, können wir das nicht ernsthaft einrechnen.

In ihrer Problembeschreibung zum Gesetzentwurf schreibt die Landesregierung, sie habe zahlreiche Bereiche identifiziert, in denen im Land Brandenburg aktuelle Handlungsbedarfe bestünden. Das glauben wir sofort. Dringenden Nachholbedarf gibt es demnach bei der Infrastruktur des Landes. Und in den Bereichen Verkehr, Digitalisierung und Bildung ergeben sich besondere Herausforderungen, die nicht nur benannt, sondern auch angepackt werden müssen. Da reicht es aber eben nicht, eine Million hierhin und eine Million dorthin zu schieben, sondern da muss über den Haushalt im Gesamtzusammenhang diskutiert werden.

Die Hoffnungen nun auf den Nachtragshaushalt zu konzentrieren und große Erwartungen zu haben, dass der jahrelange Unterhaltungsrückstand bei Land- und Wasserstraßen oder die Überalterung des Fahrzeugbestands der öffentlichen Verkehrsträger mit einem Schlag beseitigt werden können, geht fehl. Zu lang hat die Regierung dem Werteverzehr der öffentlichen Infrastruktur zugeschaut, als dass jetzt mit 100 Millionen Euro mehr der Unterhaltungsrückstand kurzfristig aufgeholt werden könnte. Aber besser spät als überhaupt nicht, und so werden wir diesen Investitionen zustimmen.

Genauso stimmen wir dem um 92 Millionen Euro erhöhten Personaletat zu, allerdings mit einer deutlichen Kritik. Mit dem neuen Besoldungsgesetz wurden mehrere Tausend Lehrkräfte, Polizistinnen und Polizisten und Justizvollzugsbedienstete höhergruppiert; ergänzend gibt es weitere Absprachen mit den Gewerkschaften. Die damit verbundenen Änderungen in den Stellenplänen tauchen im Nachtragshaushalt nicht auf. Die Mittel werden nicht auf die Ressorts aufgeteilt, sondern im Bereich der allgemeinen Finanzwirtschaft in den Titel für die Personalverstärkungsmittel eingestellt. So kann niemand erkennen, welche Verbesserungen sich bereits 2018 im Einzelnen ergeben. Wie sieht es mit der Justiz tatsächlich aus? Was passiert in den Finanzämtern? Wird der Stellenabbau im Landesamt für Umwelt bereits 2018 gestoppt? Der Verweis des Finanzministers auf den Doppelhaushalt reicht uns - insbesondere bei der Justiz - nicht.

Ich komme zum Schluss. Mit diesem Nachtragshaushalt geht die Landesregierung den Weg des geringsten Widerstands. Sie greift in die Rücklagen, um neben Investitionen auch neue konsumtive Ausgaben zu tätigen. Sie steigt in neue Ausgabenprogramme ein, ohne darlegen zu können, wie deren zukünftige Deckung nachhaltig abgesichert werden kann. Sie lässt sich im Personalbereich hohe Ausgabenansätze genehmigen, ohne aufzuzeigen, wofür die Mittel genau verwendet werden sollen. Dieser Nachtragshaushalt ist nicht nur ein Vorbote des Doppelhaushalts 2019/2020, er ist insbesondere schon ein Vorbote des heraufziehenden Wahlkampfes 2019 und deshalb mit Vorsicht zu genießen. Entsprechend werden wir ihn mit spitzen Fingern anfassen und in den Ausschussberatungen unsere Bedenken und Anregungen vorbringen. Sie können sich auf eine ganze Masse von Fragen vorbereiten. Der ÜberWeisung stimmen wir selbstverständlich zu. - Recht herzlichen Dank.

(Beifall B90IGRÜNE und CDU sowie des Abgeordneten Wilke [DIE LINKE])

Präsidentin Stark:

Vielen Dank. - Das Wort erhält nun der fraktionslose Abgeordnete Vida.