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Axel Vogel spricht zum "Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplanes des Landes Brandenburg für die Haushaltsjahre 2019 und 2020 (Haushaltsgesetz 2019/2020 - HG 2019/2020)"

- Es gilt das gesprochene Wort!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich zitiere aus dem Finanzplan 2018 bis 2022, Seite 31:

„Eine zukunftsweisende Finanzpolitik beachtet sowohl die kurzfristigen Budgetziele als auch die langfristige Tragfähigkeit von Haushaltsstrukturen. Deshalb wird durch die von der Landesregierung verfolgte ‚Nachhaltigkeit der Finanzpolitik die politische Handlungsfähigkeit des Landes gewährleistet, sodass kommende Generationen nicht über Gebühr belastet werden."

Das sind hehre Worte, an deren Wahrheitsgehalt allerdings nicht nur der Landesrechnungshof mit Fug und Recht grundsätzliche Zweifel anmeldet.

Ging der Landesrechnungshof in seinem Jahresbericht 2018 bei seinen Betrachtungen noch von einem Griff in die Rücklagen bis zum Jahr 2022 in Höhe von 1,05 Milliarden Euro aus, so wird dieser Betrag jetzt bereits im Jahr 2020 - zwei Jahre früher - überschritten. Die Rücklagen reichen daher nicht mehr aus, die bis 2022 auflaufenden Defizite abzudecken. Vor dem Hintergrund der bereits getroffenen Haushaltsentscheidungen sind sowohl die gestern verabschiedete Personalplanung, wie auch die mittelfristige Finanzplanung bis 2022 bereits jetzt völlig überholt und Makulatur. Der neuen Landesregierung und dem neuen Landtag werden damit schwere Hypotheken überlassen, die wir auch nur schwer bewältigen können.

Die Frage, auf die ich mich konzentrieren werde, ist aber: Wie konnte das nach all den Jahren solider Haushaltspolitik seit 2010 passieren? Bislang war doch eigentlich alles ganz gut gelaufen: Die rot-rote Regierung hatte nach Überwindung der von der Finanzkrise 2009 bedingten Anlaufschwierigkeiten seit dem Jahr 2010 eine Glückssträhne. Einer guten Konjunktur folgende Steuermehreinnahmen und niedrige Zinssätze ermöglichten Haushaltsüberschüsse, die trotz steigender Ausgaben noch Schuldentilgungen von 702 Millionen Euro, den Aufbau einer Allgemeinen Rücklage in Höhe von 1,5 Milliarden Euro und eines Pensionsfonds von 600 Millionen Euro ermöglichten.

Möglich wurde diese solide Finanzpolitik auch, weil Regierung und Opposition, rot-rot wie schwarz und grün gleichermaßen, in den letzten 9 Jahren bei haushaltsrelevanten Forderungen Maß hielten. Wenn wir Grünen mehr Geld für die Kommunen forderten, dann ging es höchstens einmal um die Streichung des Vorwegabzugs in Höhe von 50 Millionen Euro. Die Angleichung der Bezüge der Lehrkräfte in den Grundschulen und der SEK 1 wollten wir genauso wie Verbesserungen beim Kita-Betreuungsschlüssel oder der Polizeibesoldung über Stufenprogramme erreichen. Und wenn es um Verbesserungen im Bildungsbereich ging, diskutierten wir sehr ernsthaft darüber, ob wir die 3 Millionen Euro für das Schüler-BAföG nicht besser für zusätzliche Lehrkräfte ausgeben sollten.

(Beifall der Abgeordneten von Halem [B90/GRÜNE])

Jetzt aber, nach neun Jahren solider Haushaltspolitik, legt die Landesregierung eine Kehrtwende hin, mit der sie die Regierungsfraktionen und die Opposition gleichermaßen in eine schwierige Situation gebracht hat. Der Ausgangspunkt für die Kehrtwende lässt sich dabei ziemlich genau bestimmen: Es ist die Verkündung des Scheiterns der Kreisgebietsreform im November 2017 mit den nachfolgenden Versuchen, sich bei den Kommunalen Spitzenverbänden lieb Kind zu machen. Es ist aber auch der nachfolgende Versuch gewesen, im Vorfeld der Wahlen möglichst viele Widerstände gegen die Landesregierung ruhig zu stellen. Dazu zählt auch die Bereitschaft, in der Tarifpolitik eine Vielzahl jahrelang zurück gewiesener Gewerkschaftsforderungen nunmehr mit einem Schlag zu erfüllen.

Jetzt könnte die Landesregierung resigniert die Schlussfolgerung ziehen: Egal, was man macht, für die Grünen ist immer alles verkehrt. Das wäre allerdings eine arg verkürzte Darstellung. Richtig ist, dass eine immer wieder beklagte Konsequenz dieses Wegs des geringsten Widerstandes ist, dass die Rücklage schmilzt wie der Schnee auf einer heißen Schrippe; das ist die eine, die negative Seite der Medaille.

Auf der anderen Seite der Medaille steht, dass mit den Entscheidungen zum Haushalt von der Landesregierung eine Fülle von Maßnahmen umgesetzt werden, die auch von der Opposition gewollt wurden, auch uns am Herzen liegen und denen wir und teilweise auch die CDU, Einzelfall für Einzelfall zugestimmt haben. Ich nenne beispielhaft: das FAG mit Erhöhung der Schlüsselmasse für die Kommunen -2019 um 93 Millionen, 2020 um 196 Millionen und ab 2021 um weitere 250 Millionen Euro, ich hoffe, Sie merken die Dynamik, die dort drinsteckt; das Besoldungsgesetz mit Verbesserung der Besoldung der Lehrkräfte, Polizistinnen und Polizisten, Justizbeamten etc.; Umkehr in der Personalbedarfsplanung mit einem weitestgehenden Stopp des Personalabbaus und Schaffung zusätzlicher Stellen bei Justiz, Lehrkräften usw., dadurch bedingte Mehrausgaben im Jahr 2019 193 Millionen Euro, ansteigend bis 2022 auf 500 Millionen Euro; mehr Geld für Kitas, egal ob für Qualitätsverbesserung oder Beitragsfreiheit, mit ansteigenden Mehrkosten von 386 Millionen Euro 2018 auf bis zu 1 Milliarde Euro im Jahr 2030.

Ich hoffe, Sie erkennen das Problem: Fast jede Einzelmaßnahme war für uns alle zustimmungsfähig, obwohl bei Verabschiedung aller Wünsch-Dir-was-Maßnahmen im Paket klar sein musste, dass man sich alle Maßnahmen zusammengenommen kaum leisten kann. Frau Ludwig hat versucht, das mit dem Begriff Kuschelquote darzustellen und gezeigt, dass 43% Konsensquotient im Haushaltsausschuss vorhanden war. Egal, wie man es dreht und wendet, mit diesen Entscheidungen verstoßen wir gegen das Ziel einer nachhaltigen Haushaltspolitik, kommen in den Folgejahren mit der Schuldenbremse in Konflikt und laufen Gefahr, bei einem Konjunktureinbruch nichts mehr zuzusetzen zu haben.

Wenn man aber diese grundsätzlich begrüßenswerten und sehr sinnvollen Vorhaben abgelehnt hätte, hätte man die Chance vergeben, langjährige Wünsche zu verwirklichen, Verbündete vor den Kopf gestoßen und Ärger im eigenen Haus bekommen. Das ist eigentlich ein klassisches Problem von Regierungsfraktionen, denen die Opposition per Antrag Auszüge ihres Wahlprogramms verlockend vor die Nase hält, wohlwissend, dass das Geforderte nicht verwirklicht werden kann, dieses Mal aber ein Problem für uns alle. Als Entscheidungsträger befinden wir uns alle in einem klassischen Appetenz-Aversions-Konflikt, umgangssprachlich auch Zwickmühle genannt: Bei der Abwägung der negativen und positiven Effekte halten sich beide Seiten der Handlungsfolgen die Waage, sodass der Betroffene es schwer hat, eine Entscheidung zu treffen. Das kann bis zur Handlungsunfähigkeit gehen.

„Seid realistisch, fordert das Unmögliche!" oder „Wir wollen alles, und zwar sofort!" kann man zwar propagieren, um für sich selbst durch die Verweigerung, überhaupt einen Konflikt zu sehen, einen scheinbaren Ausweg aus dieser Ambivalenz zu finden. Das ist zwar kein wirklicher Ausweg, trotzdem findet diese Herangehensweise auch hier im Landtag ihre Liebhaber.

Musterbeispiel hierfür war die Rede von Herrn Kalbitz zum Auftakt der Haushaltsberatungen am Mittwoch, der in einem Atemzug die absehbare Steigerung der Steuereinnahmen des Landes und die steigenden Ausgaben kritisierte und neben Steuersenkungen und Schuldentilgung zugleich mehr Personal im öffentlichen Dienst, höhere Löhne und mehr Investitionen in die Infrastruktur forderte. Herr Galau war heute nicht viel anders. Die Forderungen nach Erlass der Straßenausbaubeiträge wurden natürlich auch nicht vergessen. Herr Vida, der ansonsten bei jeder Gelegenheit neue Kreditaufnahmen fordert, wollte bei dieser Gelegenheit noch 300 Millionen Euro für die Altanschließer obendrauf packen, obwohl wir alle wissen, dass dieser Haushalt nicht nachhaltig ausfinanziert wird.

Da treffen sich die beiden hervorragend mit einem Teil der französischen Gelbwesten, die in einem 25-Punkte-Programm an allererster Stelle die Halbierung der Staatsquote - also des Staatsanteils am Bruttoinlandsprodukt - und zugleich umfassende Neueinstellungen im öffentlichen Dienst oder massive Erhöhungen der Renten und Löhne fordern, und diese Mehrausgaben zum Teil durch Streichung der Zinsen auf Altschulden abdecken wollen. Fragt sich nur, wer ihnen dann neue Kredite gibt.

Ich kann daher verstehen, wenn sich Herr Kalbitz, als Bruder im Geiste, vor Menschen in gelben Westen ablichten lässt, wohl in der Hoffnung, hierzulande eine ähnliche Bewegung zu starten. Erst vor drei Tagen wurde übrigens in Rostock einer AfD-Demo verboten, mit gelben Westen aufzumarschieren.

(Zuruf: Da sind sie schon!)

Völlig unverständlich ist allerdings, wie der Bundesvorstand der Linken einstimmig Solidaritätsbekundungen an die Gelbwesten verabschieden kann. Damit, denke ich, ist niemandem gedient.

(Beifall B90/GRÜNE, vereinzelt SPD und CDU)

Aber zurück zum Thema. Die Lösung für solche Ambivalenzkonflikte heißt normalerweise: professionelle Hilfe von außen, um zu einer Prioritätensetzung zu finden. Die professionelle Hilfe von außen könnte für die Regierung, wie in den letzten Jahren auch, eine Opposition sein, die zum Maßhalten aufruft und sich bei ihren Forderungen an den finanzpolitischen Realitäten ausrichtet. Problem ist allerdings, dass durch das Vorbild der Regierungsfraktionen bis in die Reihen der CDU hinein die Lust am Ausgeben mit vollen Händen überhandgenommen hat

(Zuruf von der SPD: Bei euch aber auch!)

und damit die Koalition in der nächsten Zeit weiter unter Druck gesetzt werden könnte. Ich nenne als Beispiele das heute diskutierte Thema Straßenausbaubeiträge oder den sogenannten Heimateuro: eigentlich ein Ortsteilbudget und damit unmittelbare Entscheidungszuständigkeit der Kommunen, der nach den Vorstellungen der CDU nun aber vom Land finanziert werden soll.

Richtig wäre es jetzt aber, wenn wir alle konsequent nur noch finanzielle Forderungen erheben, die durch Einsparungen an anderer Stelle erwirtschaftet werden können. Sie merken: Geldausgeben kann zur Droge werden, und das Entzugsprogramm ist in diesem Fall die Schuldenbremse des Grundgesetzes. Meine Hoffnung ist, dass sich die Fraktionen jetzt zügig auf die Verankerung der
Schuldenbremse mit klaren einfachgesetzlichen Regeln zu Tilgungsverpflichtungen und zur Ausgestaltung der Schwankungsreserve - in der brandenburgischen Verfassung verständigen. Ich weiß, Herr Minister, dass wir da schon nahe dran sind, und ich habe die Hoffnung, dass diese Regelungen dann disziplinierende Wirkung auf uns alle entfalten werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach dem Haushalt ist vor dem Haushalt. Deshalb lassen Sie uns schon heute ein wenig über Zukunftsprobleme reden. Prioritätensetzung alleine wird nicht reichen, um die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen. Und auch Geld alleine, wenn wir es denn im Haushalt finden, wird als Anreiz nicht reichen, wenn das Land für freie Stellen kein Personal findet Wir müssen also neue Wege finden, um die Kernaufgaben des Landes zu erfüllen.

Ich nehme das Beispiel des Justizsystems, das von Herrn Raschke auch schon angesprochen wurde. Wenn die Strafgerichte so stark überlastet sind, dass wegen Formfehlern oder überlanger Verfahrensdauer Verurteilte wieder entlassen werden müssen, dann heißt die Antwort nicht, ohne Ende neue Richter einzustellen. Dann müssen wir zur Entlastung der Gerichte ernsthaft über eine Entkriminalisierung bisheriger Kleinkriminalität nachdenken. So werden zum Beispiel in Brandenburg pro Jahr 4 000 Fälle nach dem Betäubungsmittelgesetz verhandelt, und teilweise deswegen, weil in
Brandenburg ein Eigengebrauch von 6 Gramm man kann straffrei mit 6 Gramm Haschisch angetroffen werden -‚ in Berlin aber von 15 Gramm zulässig ist. Sie überschreiten die Landesgrenze und schon lösen Sie ein Strafverfolgungsverfahren für sich aus. Auch wiederholte Schwarzfahrten gehören zur Kleinkriminalität.

Angesichts fehlender Richter müssen wir auch darüber nachdenken, Aufgaben nach unten - an Gerichtsvollzieher und Rechtspfleger oder Sekretariate - zu delegieren, um die vorhandenen Richter zu entlasten. Und wenn die Zahl der Juristen mit Zweitem Staatsexamen mit dem Bedarf an Richterinnen und Richtern nicht Schritt hält, dann müssen wir vielleicht im öffentlichen Dienst weniger Stellen mit einem solchen Erfordernis des Zweiten Staatsexamens ausschreiben; viele Aufgaben können genauso gut von Verwaltungswissenschaftlern oder Ökonomen erledigt werden. Und wenn an den Sozialgerichten in Berlin und Brandenburg innerhalb von Monaten 69 000 Klagen aufgrund eines missglückten Gesetzes von Herrn Spahn eingehen, dann muss das Gesetz geändert und nicht die Sozialgerichtsbarkeit aufgepumpt werden.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt ja ein paar Hoffnungsschimmer, auch für die Zukunft. Einer der Hoffnungsschimmer ist, dass der Bund mit Milliardenbeträgen in die Bildungsförderung oder in den Breitbandausbau einsteigen will. Das Ganze liegt beim Vermittlungsausschuss und war auch schon Thema. Aber an einer Stelle hat der wegen seiner Kritik an der Aufhebung des Kooperationsverbotes viel gescholtene Winfried Kretschmann recht: Wir bräuchten über derartige Klimmzüge zur Änderung der Verfassung nicht zu reden, wenn die Länder vom Bund mit ausreichend Geld ausgestattet würden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zu einem weiteren Hoffnungszeichen am Horizont. Nehmen wir den Hoffnungsträger Braunkohleausstieg. Herr Schmidt, ganz im Gegensatz zu dem, was Sie gesagt haben: Der Braunkohlelausstieg wurde von uns niemals plötzlich gefordert, und er wird auch nicht überstürzt betrieben, jedenfalls nicht von uns.

Ich weiß nicht, wer Ihnen das eingepflanzt hat.

Die massiven Forderungen der Ministerpräsidenten nach Anpassungshilfen zeigen Wirkung, und es entsteht die große Chance, aus der Rohstoffregion Lausitz eine moderne Zukunftsregion zu machen. Ich erinnere daran, dass mehrere Lausitzer Kreise im Zukunftsatlas vom Prognos-Institut Jahr für Jahr als die am wenigsten zukunftsfähigen Kreise Deutschlands eingestuft wurden: Von 402 Kreisen und kreisfreien Städten war Spree-Neiße zuletzt auf Platz 396 und Elbe-Elster auf Platz 398. Im Bereich Wirtschafts- und Arbeitsmarkt landete Spree-Neiße gar auf dem letzten Platz.

Mit den mit dem Kohleausstieg verbundenen Mitteln könnte eine beispielhafte wirtschaftliche Dynamik in Gang gesetzt werden, wenn aufnahmebereite Strukturen vor Ort geschaffen würden, die die Mittel bestmöglich einsetzen. Dazu dienten auch unsere Änderungsanträge zum Haushalt - leider wurden sie abgelehnt.

Wenn die Mittel aber in erster Linie für Entschädigungszahlungen an die LEAG fließen oder mangels ausreichend hoher und sicherer Rücklagen die Sanierungskosten beim Land hängen bleiben, sind die Milliarden ohne nachhaltige wirtschaftliche Effekte bald aufgebraucht. Und da macht es uns schon Sorgen, dass im Gutachten für die Landesregierung herausgearbeitet wird, dass die Rückstellungen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro zwar steuer- und finanzrechtlich sauber abgebildet sind, aber abhängig vom Ausstiegsdatum der Höhe nach nicht benannte Defizite - möglicherweise in Milliardenhöhe - zwischen Sanierungskosten und Rückstellungen bestehen. Das unternehmerische Betriebsrisiko eines Kohleausstiegs vor einer vollständigen Auskohlung der Tagebaue wird also auf die Steuerzahler abgewälzt.

Dies zu verhindern ist Ihre Aufgabe, Herr Woidke, und damit zugleich eine Chance, den mit dem Abschied von der Braunkohle möglichen nachhaltigen Strukturwandel zu gestalten. Aber bitte, Herr Dr. Woidke, auch wenn Sie Lausitzer sind, vergessen Sie nie, dass Brandenburg mehr als die Lausitz ist und sich Prignitz oder Uckermark auf ganz anderen Entwicklungspfaden befinden.

Es gibt auch Probleme, die sich mit dem Verzicht auf die Kreisgebietsreform nicht erledigt haben. Die neusten Prognosen des Statistischen Landesamtes - ich denke, wir alle haben sie zur Kenntnis genommen - zeigen, dass die Entwicklung in Brandenburg auseinandergeht. Während das Berliner Umland bis 2030 8 % Einwohner gewinnen wird, verliert der berlinferne Raum aufgrund des Geburtendefizits in gleicher Höhe. Aufgrund der Ausrichtung an der Bevölkerungszahl steigen parallel die Mittel aus dem Kommunalen Finanzausgleich für das Berliner Umland stärker an als für die Peripherie. Das sehen wir mit Sorge.

Die Koalition hat zwar jetzt eine Lausitzkoordination in der Staatskanzlei geschaffen, für die Koordination des ländlichen Raums aber keinen Bedarf gesehen. Das halten wir für einen großen Fehler!

(Beifall B90/GRÜNE)

Die gelben Westen sind nicht von ungefähr im ländlichen Raum entstanden. Auch wenn unmittelbarer Auslöser die Anhebung der Mineralölsteuer in Frankreich war - die Ursachen liegen tiefer. Es geht um mehr als nur die Angst, nicht mehr von A nach B zu kommen, es geht um die Auswirkungen der Zentralisierung, das Gefühl, abgehängt zu sein und keine Chance mehr zu bekommen.

Ich will hier nicht viel zu den relativ größeren Einkommens- und Vermögensunterschieden in Frankreich ausführen. Klar sollte aber sein, dass der ländliche Raum eine ganz andere Wertschätzung und Entwicklungsperspektiven braucht. Die Zukunft liegt nicht im verbilligten Bauerndiesel für alle, sondern in einem guten öffentlichen Nahverkehr. Jede Stunde für 1 Euro pro Tag überall hinkommen, wie es das 365-Euro-Ticket und Brandenburg-Takt ermöglichen könnten, ist eine solche andere Entwicklungslogik,

(Beifall B90/GRÜNE)

Gewerbe und Arbeitsplätze zu den Menschen zu bringen statt Pendler zu produzieren, eine andere Idee. Vieles davon wird sich in den Ergebnissen der Enquetekommission finden. Sorgen Sie dafür, dass es auch umgesetzt wird. Führen Sie Stadt und Land, Neubrandenburger und Alteingesessene zusammen!

Keine gute Idee ist es dagegen, Menschen auseinanderzudividieren und sie gegeneinander in Stellung zu bringen. Das gilt bei allen graduellen Unterschieden - wie bei der Ost-Quote von Frau Hildebrandt -, aber noch viel stärker für die Ausgrenzung von Migranten durch die AfD. Brandenburg war schon immer Einwanderungsland, und es ging immer darum, Integration zu gestalten, und nicht darum, die Gesellschaft nach Herkunft zu desintegrieren.

(Beifall B90/GRÜNE)

Herr Ministerpräsident, auch wenn das jetzt etwas pathetisch klingt: Am Ende sitzen demokratische Opposition und Regierung - wenn auch mit unterschiedlichen Rollen - alle in einem Boot, wenn es um die Zukunftsgestaltung dieses Landes geht. Manchmal ist man Lotse, manchmal Rudergänger, mal Bootsmann oder Kapitän. Und ein Funktions- und Rollentausch scheint, je näher der 1. Septem 2019 rückt, immer weniger ausgeschlossen.

Wir stellen nicht die mögliche Verfassungswidrigkeit des Doppelhaushalts für das Jahr 2020 in die Mitte unserer Darstellungen. Wir denken, das wird sowieso kein Gutachter und keine Rede hier entscheiden, das entscheidet allein das Verfassungsgericht, wenn es angerufen wird. Viel wichtiger ist, dass wir erkennen, dass die Lasten, die Sie den nachfolgenden Landtagen mit diesem Haushalt und den Begleitgesetzen auferlegt haben, von uns allen getragen werden müssen. Dieser Haushalt ist kein Vorbild für die Zukunft. Er verstößt gegen das entscheidende Ziel jeglicher Haushaltspolitik. Ich wiederhole meine Einführungssätze dieser Rede:

"Eine zukunftsweisende Finanzpolitik beachtet sowohl die kurzfristigen Budgetziele als auch die langfristige Tragfähigkeit von Haushaltsstrukturen. Deshalb wird durch die von der Landesregierung verfolgte „Nach haltigkeit der Finanzpolitik' die politische Handlungsfähigkeit des Landes gewährleistet, sodass kommende Generationen nicht über Gebühr belastet werden."

So soll es sein, so muss es sein! Lassen Sie uns bereits morgen damit beginnen, die zukünftigen Haushalte in den Griff zu bekommen. Die Verankerung der Schuldenbremse in der Verfassung bietet dazu die erste Gelegenheit. - Recht herzlichen Dank.

(Beifall B90/GRÜNE und vereinzelt CDU und Abg. Schmidt, SPD)