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Ursula Nonnemacher spricht zum Antrag der CDU-Fraktion „Früherkennung und Prävention von Diabetes mellitus weiter vorantreiben“

- Es gilt das gesprochene Wort!

Chronische Erkrankungen wie Typ 2 Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen und Adipositas werden ganz überwiegend durch modifizierbare Faktoren des Lebensstils verursacht. Diese Lebensstil-bedingten Erkrankungen, auch Wohlstandserkrankungen oder nichtübertragbare Krankheiten genannt, nehmen in Deutschland und weltweit dramatisch zu. Die Diabetesprävalenz wurde erstmals 1960 in der Bundesrepublik systematisch erfasst und lag bei 0,6% der Bevölkerung. Sie stieg auf 4,5% 1990, 2015 wird die Häufigkeit der diagnostizierten Zuckererkrankungen auf 7-8% der Bevölkerung beziffert, in Brandenburg nach Zahlen der AOK Nordost auf 13%. Hinzu kommt eine beträchtliche Dunkelziffer an noch nicht erkannten Erkrankungen. Der sogenannte Typ 2 Diabetes stellt etwa 95% der Fälle, tritt meist in höherem Lebensalter auf und ist mit Übergewicht und mangelnder Bewegung assoziiert.

Die Zuckerkrankheit war bei den Ureinwohnern von Australien und Neuguinea unbekannt. Die Juden aus dem Jemen, die 1949/50 nach Israel kamen, hatten praktisch keinen Diabetes. Zwanzig Jahre später waren 13% von ihnen zuckerkrank. Die Diabeteshäufigkeit steigt in Ländern, die schnell an Wohlstand gewonnen haben, am rasantesten an: die arabischen Ölstaaten sind mit 15% weltweit führend. Das menschliche Genom ist seit Zehntausenden von Jahren im wesentlichen unverändert, die drastischen Änderungen in unserer Lebensweise bemisst sich nach Jahrzehnten und ist die Ursache der beschriebenen Entwicklung.

Eine weitere Erkenntnis aus großen bundesweiten Studien ist, dass der Typ 2 Diabetes signifikant häufiger bei Menschen mit niedrigem Sozialstatus auftritt. Dieser Unterschied ist bei Frauen deutlicher ausgeprägt als bei Männern. Die Bewohner sozial schwacher Regionen in Deutschland sind besonders betroffen von den Volkskrankheiten Adipositas und Diabetes. Im brandenburgischen Bad Belzig ist die Diabeteshäufigkeit dreimal so hoch wie rund um die Hamburger Elbchaussee. Oder noch eindrücklicher: Die Lebenszeitprävalenz für Diabetes liegt bei Frauen in der gesetzlichen Krankenversicherung bei 7,8%, bei privat Versicherten bei 1,2%! Soziale Ungleichheit fördert ungesunde Ernährung und Übergewicht, der Verzehr von weniger Obst, Fisch und Wasser sowie deutlich mehr Limonade ist belegt. Der tägliche Konsum von mindestens einem süßen Softdrink erhöht das Risiko von Typ-2 Diabetes bereits um 20%.

Absolut besorgniserregend ist auch der Blick auf die Jüngsten: der Anteil von Kindern mit Übergewicht und Adipositas hat sich in den letzten 10 Jahren verdoppelt, die Typ-2 Diabetes-Neuerkrankungsrate bei Jugendlichen verfünffacht.

Vor dem Hintergrund dieser bedrückenden Zahlen und parallel zur Nationalen Diabetes-Surveillance fordern jetzt die beiden sehr ähnlichen Anträge von CDU und Koa, 2019 einen Diabetes Bericht für Brandenburg vorzulegen und Strategien für Prävention und Früherkennung voranzutreiben, ein Anliegen, welches wir Bündnisgrünen ausdrücklich unterstützen. Wir werden den Anträgen auch zustimmen. Ich möchte aber darauf aufmerksam machen, dass wir bereits seit dem Jahr 2003 durch große Studien wissen, dass die Prävention des Typ 2 Diabetes machbar ist. Wissenschaftler beziffern unter dem Motto „Lebensstil als Medizin“ das Potential für die Prävention von chronischen Erkrankungen auf 50% bei Schlaganfällen, 80% bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und 90% bei Typ-2 Diabetes.

Bis zu 90% aller Typ 2-Diabetes Fälle mit all den Folgekrankheiten wie Herzinfarkte, Erblindung, Amputationen und Nierenversagen wäre bei einer konsequent gesunden Lebensweise vermeidbar!!Dabei geht es nicht um Askese und nicht darum, Extreme zu praktizieren. Wir wissen bereits heute sehr viel über Diabetesprävention, sind aber bei der praktischen Umsetzung kaum weitergekommen. Prävention kann sich nicht in moralischen Appellen an die Betroffenen erschöpfen, sondern wir brauchen eine verbindliche gesundheitsfördernde Umgestaltung von Lebenswelten. Im Gesundheitsbericht Diabetes 2016 empfehlen die Fachgesellschaften:

- täglich mindestens eine Stunde Bewegung in Schule und Kindergarten

- adipogene Lebensmittel (Zucker/Fett) besteuern und gesunde Lebensmittel entlasten

- verbindliche Qualitätsstandards für Kindergarten- und Schulverpflegung

- Verbot von an Kinder und Jugendliche gerichtete Werbung für übergewichtsfördernde Lebensmittel

Daran, meine Damen und Herren, haben wir uns als Gesetzgeber zu orientieren. Süßigkeitenautomaten haben in Schulen nichts verloren, Schokoriegel machen Kinder nicht froh, sondern dick und Eistee ist kein Tee, sondern konzentrierte Zuckerlösung. Wer den täglichen Grillteller zur deutschen Leitkultur erhebt und gezielte Gesundheitsförderung als Verbotskultur verteufelt, der wird weiter hilflos zusehen, wie sich die Volkskrankheit Diabetes immer weiter ausbreitet.