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Ursula Nonnemacher spricht zu fünf Anträgen der BVB/Freie Wähler Gruppe zum Kommunalabgabengesetz

- Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede!

Es ist dringend notwendig, dass wir uns hier im Brandenburger Landtag heute mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur rückwirkenden Festsetzung von Kanalanschlussbeiträgen und seinen Folgen befassen.

Dieser Beschluss des Bundesverfassungsgerichts fügt der langen Geschichte um die Beitragserhebung für Anlagen der öffentlichen Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung im Spannungsfeld zwischen Recht und Gerechtigkeitsempfinden ein weiteres Kapitel hinzu.

Denn der Umgang mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts hat Folgen nicht nur für alle Beitragszahler, sondern für alle Kommunen und Zweckverbände, die Beiträge erhoben haben, sowie auch das Land insgesamt, nicht zuletzt auch über das Schuldenmanagement. Die Fragen, die sich jetzt stellen, werden nicht einfach zu beantworten sein und gehen weit über die Rückzahlung von Beiträgen hinaus. Sie betreffen insgesamt die Frage der Finanzierung der öffentlichen Infrastruktur in den Kommunen und konkret die finanzielle Handlungsfähigkeit der Städte und Gemeinden. Aber sie betreffen auch das Vertrauen der BürgerInnen in die Verlässlichkeit und Nachvollziehbarkeit von Verwaltungshandeln sowie in die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte im Land Brandenburg.

Wir brauchen jetzt zwar Sorgfalt im Agieren, aber auch schnelles Handeln. Umso weniger ist nachvollziehbar, dass die Landesregierung bisher so untätig geblieben ist und die betroffenen Verbände genauso wie die BürgerInnen mit den jetzt anstehenden Fragen mehr oder weniger alleine lässt. Einen Monat nach der Veröffentlichung des Beschluss des Verfassungsgerichts hätte man erwarten dürfen, dass die Landesregierung auskunftsfähig ist und die rechtlichen Folgen klar darstellen vermag und der Öffentlichkeit durch eine Abfrage in den betroffenen Zweckverbänden und Kommunen mitteilen kann, wie hoch die Betroffenheit ist, welche Einnahmeausfälle und Kosten drohen bzw. – bsplw. durch Auflösung von Beiträgen – bereits eingetreten sind und wie diese finanziert werden können.

Die Zeit drängt auch deshalb, weil Fristen einzuhalten sind, wenn z.B. Beitragszahler Anträge auf Rückzahlung stellen. Ein oder mehrere Rechtsgutachten können da sicherlich helfen, rechtliche Klarheit herzustellen, aber bis sie ausgeschrieben, vergeben, erstellt und veröffentlicht sind, werden mehrere Monate ins Land gehen. Ich schlage deshalb vor, möglichst schnell ein Kolloquium zu organisieren, in dem Experten ihre Einschätzung vortragen und im Innenausschuss in seiner nächsten Sitzung eine Anhörung durchzuführen und aus den Ergebnissen Handlungsempfehlungen abzuleiten.

Anrede,

die Themen, über die wir reden müssen, sind nicht banal und betreffen eben nicht nur die Frage der Rückzahlung von einigen Anschlussbeiträgen für sog. Altanschließer, sondern alle Grundstücke, die vor dem Jahr 2004 an leitungsgebundene Anlagen angeschlossen werden konnten und deren Aufgabenträger Beiträge erheben. Wenn diese Beiträge jetzt nicht mehr vollständig erhoben oder zurückgezahlt werden sollen, um eine Gleichbehandlung zu gewährleisten, stellt sich die Frage, ob nicht alle anderen Beitragszahler Anspruch auf eine Rückzahlung haben.

Wenn alle erhobenen Beiträge wieder zurückgezahlt werden sollen, wie es ja auch schon gefordert wurde, dann stellt sich die Frage der Refinanzierung mit einer Wucht, die offensichtlich bisher nicht gesehen wurde oder jedenfalls öffentlich nicht erörtert wird. Dann reden wir nicht über 10 oder 100 Millionen Euro, die zurückerstattet werden müssen, sondern sicherlich über einen Betrag, der die Milliarde deutlich übersteigt. Allein die Zweckverbände aus Königs Wusterhausen, Strausberg-Erker, Fürstenwald und Eisenhüttenstadt müßten zusammen dann einen Betrag zurückzahlen, der die Rücklage des Landes schon deutlich übersteigt. Und das wäre nur der Primärschaden: Hinzu kommen die Beitragseinnahmen, die durch die gesetzlich vorgeschriebene Auflösung der Beiträge in den vergangenen 25 Jahren durch Gebührensenkungen faktisch bereits erstattet worden sind, ferner die Kosten der zahlreiche Prozesse, Zinszahlungen auf Erstattungen und die Rückzahlung von Ablösebeträgen aus Erschließungsgebieten. Nicht zu vergessen: Das Junktim zwischen Beiträgen und Gebühren führt zu einer unmittelbaren Durchwirkung fehlender Beiträge auf die Gebührenhöhe; schließlich wären auch sämtliche Jahres- und Steuerabschlüsse der Aufgabenträger in den Vorjahren, die von einer Erstattung von Beiträgen betroffen sind, wieder offen.

Wenn dann noch rechtliche Zweifel bestehen, ob eine Finanzierung der Rückzahlungen über Kredite, wie sie der Innenminister ins Spiel gebracht hat, überhaupt zulässig ist, wird immer deutlicher, welche Sprengkraft dieses Thema hat.

Die Aufgabenträger haben nur die Möglichkeit, für die Zukunft im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten, ihre laufenden Entgelte insoweit zu erhöhen, als die entstehenden Aufwendungen gebührenfähig sind. Für den allergrößten Teil der sich abzeichnenden Fehlbeträge müssten dann aber die Verbandsmitglieder, also die Städte und Gemeinden, über die Verbandsumlage zur Finanzierung herangezogen werden bzw. müßte das Land einspringen, was aber den bestehenden Schuldenmanagementfonds bei weitem sprengen würde. So oder so würde das bestehende Verbandssystem kollabieren und auf die Gemeinden kämen Forderungen zu, die die kommunalen Haushalte überfordern.

Vor diesem dramatischen Hintergrund brauchen wir jetzt Klarheit über die rechtlichen und finanziellen Folgen in all ihrer Komplexität. Wegen der bestehenden kommunalabgaben- und verwaltungsrechtlichen Fristen, ist Eile geboten. Deshalb sollten wir im nächsten Innenausschuss ein Expertenhearing zu dem Thema ansetzen und das Ministerium des Innern und für Kommunales muss bis dahin eine umfängliche Stellungnahme vorlegen, damit wir einen Überblick über die Folgen der Verfassungsgerichtsbeschlusses erhalten. Die Beantwortung des Fragenkatalogs, den die Stadt Cottbus schon an den Minister gerichtet hat, kann hierfür schon ein erster Ansatz sein. Ich glaube, in einem zweiten Schritt, werden wir auch nicht an einer Überarbeitung des KAG vorbei kommen. Auch das sollten wir im Auge behalten.

Man muss also keine Prophetin sein, um festzustellen, dass uns diese Fragen auch bis zum Ende dieser Legislaturperiode bewegen werden. Wegducken ist dabei keine Lösung, denn neben juristischen und finanziellen Fragen geht es eben vor allem darum, den entstandenen Vertrauensverlust von Teilen der Bevölkerung in seine Verwaltungen nicht noch größer werden zu lassen.

Wir halten es deshalb für sinnvoll, die vorliegenden Anträge 3306 und 3307 der BVB/Freie Wähler in den Innenausschuss zu verweisen und in die anstehende Diskussion einzubeziehen, auch wenn wir sie in der derzeitigen Form nicht unterstützen können. Die anderen Anträge werden wir ablehnen. Sie sind zwar hübsch populistisch, bringen uns in der Sache aber nicht weiter.