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Michael Jungclaus spricht zum Antrag der Fraktion DIE LINKE „Wie weiter nach dem Referendum zum BREXIT? – Brandenburg als Teil einer starken, demokratischen und sozialen Europäischen Union“

- Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste,

am 23. Juni haben knapp 52 Prozent in Großbritannien für den Austritt aus der EU gestimmt. Diese Entscheidung muss man einerseits akzeptieren, kann sie als überzeugter Europäer aber auch zutiefst bedauern.

Die EU ist eine historisch und weltweit einzigartige Errungenschaft. Sie ist Garant für Frieden, das Überwinden von Grenzen, für gemeinsame Freiheit und gleiches Recht. Wir reisen mehr und mehr, ohne einen Pass vorzeigen oder Geld umtauschen zu müssen. Wir haben Freunde in Warschau, können unkompliziert in Madrid studieren oder in Brüssel arbeiten.

Unser Ziel sollte daher sein, den Zusammenhalt der verbleibenden EU-Mitgliedstaaten zu bewahren und zu stärken. Mit Großbritannien fordern wir, faire und zügige Verhandlungen aufzunehmen, sobald der Austrittsantrag vorliegt.

Dabei muss aber klar sein, dass es die vier Grundfreiheiten der EU nur im Paket gibt: Wer Kapital, Waren- und Dienstleistungsfreiheit will, kann nicht gleichzeitig die Bewegungsfreiheit von Personen einschränken.

Bei allen negativen Aspekten (in Brandenburg beispielsweise die Folgen für die Wirtschaft sowie die ab 2020 möglicherweise sinkenden EU-Fördermittel):

Das Votum der Britinnen und Briten bietet auch eine Chance, die genannten Vorteile von Europa deutlich zu machen und den Skeptikern zu zeigen, was sie an Europa haben und was ihnen bei einem Austritt möglicherweise verloren geht. Viele in Großbritannien merken erst jetzt, was der Brexit bedeutet: Bislang vor allem Führungslosigkeit und Zerstrittenheit der Parteien sowie eine drohende Spaltung Großbritanniens. Schottland möchte in der EU bleiben, Nordirland befürchtet ein Aufflammen des alten Konfliktes.

Ratingagenturen erwarten ein geringeres Wirtschaftswachstum und weniger Investitionen - vor allem in den wirtschaftlich schwächeren Landesteilen.

So stimmte zum Beispiel im strukturschwachen Cornwall eine Mehrheit für den Brexit. Kurz nach der Abstimmung fragte die lokale Verwaltung dann prompt, ob die britische Regierung nun die Millionensubventionen aus Brüssel ersetzt.

Kurz nach dem Referendum nutzten auch Rechtspopulisten in Deutschland den Brexit, um ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft zu fordern: „Ich weiß, auch das deutsche Volk will mehrheitlich raus aus der EU- Sklaverei!“ so AfDler Höcke. Woher er das weiß, steht in den Sternen: Aus einer aktuellen Forsa-Umfrage für das Handelsblatt geht jedenfalls hervor, dass 71 Prozent der Deutschen keine Volksbefragung über die Zugehörigkeit zur EU wünscht und fände eine solche statt, würden 82 Prozent für einen Verbleib in der EU stimmen.

Die Aussage zeigt, worum es Rechtspopulisten bei der Forderung nach mehr direkter Demokratie eigentlich geht: Nicht, einen Diskussionsprozess anstoßen, sondern suggerieren, dass sie angeblich den Willen des Volkes erkannt haben.

Wir Bündnisgrünen sagen Ja zu Europa und fordern gleichzeitig Mut zu Veränderung denn die Vorstellung, mit dem Austritt aus der EU mehr Souveränität zurückzugewinnen, ist angesichts der grenzüberschreitenden Herausforderungen eine Illusion.

Ich möchte abschießend vor allem zwei Aspekte der EU-Zukunft hervorheben:

Erstens: Der Blick auf die junge Generation. 73 Prozent der 18- bis 24jährigen hatten sich gegen den Brexit ausgesprochen. Gleichzeitig war die Wahlbeteiligung in dieser Altersgruppe mit Abstand die geringste. Wir müssen daher zukünftig noch viel stärker auf die Jugend setzen und beispielsweise an Austauschprogrammen festhalten und die Jugendarbeitslosigkeit entschlossener bekämpfen.

Und Zweitens müssen wir uns fragen, wie das Projekt Europa besser kommuniziert werden kann. Die EU darf nicht ständig zum Sündenbock für das Versagen nationaler Politik sein – bzw. von Politik, Gesellschaft und Medien zu einem solchen gemacht werden.

Gute europäische Projekte müssen sichtbarer, die EU transparenter, bürgernäher und demokratischer werden.

Dies kann gelingen, indem zum Beispiel Rat und Eurogruppe öffentlich tagen, Hürden für die Europäische Bürgerinitiative abgebaut werden und das EU- Parlament, als einzig direkt gewählte EU- Institution zentraler Ort demokratischer Entscheidungen wird.

Hier haben natürlich Politik und Medien eine große Verantwortung.

Ich sage beim Thema Kommunikation aber auch ganz klar: Informationsbeschaffung als politische Entscheidungshilfe ist nicht ausschließlich eine Bringschuld.

Auch wenn es in einer ständig komplexer werdenden Welt immer schwieriger wird: Es ist auch eine Holschuld mündiger Bürgerinnen und Bürger sich vor Wahlen und Abstimmungen ausreichend zu informieren und nicht erst im Nachhinein die zu erwartenden Auswirkungen ihrer Entscheidung in Wahlprogrammen oder bei Google zu recherchieren.

Vielen Dank !